# taz.de -- Streit um das bessere Leben: Essen mit Anspruch | |
> In Kreuzberg soll ein Aldi raus aus der Markthalle Neun. Eine | |
> Verdrängungsgeschichte, bei der es um mehr als nur einen Discounter | |
> geht. | |
Bild: Zwei Einkaufkonzepte, in der Markthalle Neun noch an einem Standort verei… | |
Berlin taz | Die Tür des Kreuzberger Stadtteilzentrums in der Lausitzer | |
Straße 8 steht offen an diesem Sonntagmittag. Drinnen drängeln sich mehrere | |
Menschen an der Tür zum Hinterzimmer, eine Frau steht auf einem Stuhl, um | |
besser sehen zu können. Rund 60 Menschen haben sich in dem Raum versammelt, | |
dessen Wände mit in Schwarz-Weiß ausgedruckten Aushängen bedeckt sind: | |
„Kiez-Markthalle statt Luxus Food-Halle“ steht in Großbuchstaben darauf, | |
oder „Aldi bleibt“. | |
Vorne spricht ein Mann, der sich als „Andreas aus der Muskauer“ vorstellt. | |
Er trägt einen schwarzen Kapuzenpullover, sein Mitstreiter neben ihm Hemd | |
unter dem Pullover mit V-Ausschnitt. „Ich finde zuallererst mal: Aldi soll | |
bleiben“, sagt Andreas Wildfang, wie der Mann mit vollem Namen heißt. Die | |
meisten Anwesenden nicken. Aldi sei für viele Anwohner ein Treffpunkt im | |
Kiez. Ein Kiez, dessen Charme „gar nicht so ein erzwungenes Miteinander, | |
sondern eher ein respektvolles Nebeneinander ist“, findet Wildfang, der in | |
den achtziger Jahren das Eiszeit-Kino gleich um die Ecke mitgegründet hat, | |
eine Kreuzberger Institution, die im vergangenen Jahr nach Streitigkeiten | |
mit dem Vermieter schließen musste. | |
Ob nun Mit- oder Nebeneinander: Mit beidem gibt es momentan ein Problem | |
hier im Kiez rund um den Lausitzer Platz in Kreuzberg 36. | |
Seit die Betreiber der [1][Markthalle Neun] in der Eisenbahnstraße | |
angekündigt haben, dass der in der Markthalle ansässige Aldi-Supermarkt zum | |
31. Juli schließen und Anfang 2020 durch eine Filiale der Drogeriekette dm | |
ersetzt wird, gibt es in der Nachbarschaft lautstarken Protest. Jeden | |
Sonntag soll es nun eine Anwohnerversammlung zu dem Thema geben, an diesem | |
Samstag ist eine [2][Kundgebung vor der Markthalle] geplant. | |
## Für wen ist dieser Ort? | |
Wer der Versammlung hier im Stadtteilladen zuhört, merkt schnell: Die | |
Aldi-Schließung ist für viele nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum | |
Überlaufen brachte. | |
Eigentlich geht es um mehr: Um die Frage, zu was für einem Ort die Ende des | |
19. Jahrhunderts für die [3][Lebensmittelversorgung] der armen Bevölkerung | |
gebaute Eisenbahnmarkthalle geworden ist, seit sie 2011 von der Stadt | |
verkauft wurde und seitdem als Markthalle Neun betrieben wird. Und vor | |
allem geht es darum, für wen dieser Ort ist und für wen nicht. | |
Der Konflikt spielt in einem Kiez, der sich in den letzten Jahren stark | |
verändert hat, aber noch lange nicht „durchgentrifiziert“ ist. Ende 2016, | |
zum Zeitpunkt der letzten Erhebung durch das Monitoring soziale Stadt, | |
bezogen fast 30 Prozent der Anwohner im Planungsraum Lausitzer Platz | |
staatliche Transferleistungen. Deutlich weniger als zehn Jahre zuvor, der | |
Arbeitslosenanteil etwa hatte sich in diesem Zeitraum fast halbiert. Doch | |
auch zu diesem Zeitpunkt lag etwa der Anteil der Kinder und Jugendlichen, | |
die in Hartz-IV-Familien leben, mit mehr als 40 Prozent noch gut zehn | |
Prozentpunkte über dem Berliner Durchschnitt. | |
Gar nicht so verwunderlich also, dass der schon seit Langem schwelende | |
Konflikt um die Markthalle Neun nun mit der angekündigten Aldi-Schließung | |
an Fahrt aufnimmt. Nachdem der Drogeriemarkt Drospa und der | |
Textildiscounter Kik aus der Halle auszogen, der Trinker-Treffpunkt in der | |
Hallenmitte einem Kaffeestand weichen musste und auch der Schreibwarenladen | |
in der Eisenbahnstraße von der erkrankten Besitzerin aufgegeben wurde, | |
wirkt die Aldi-Filiale in der Halle wie das letzte Relikt aus einer anderen | |
Zeit. | |
Um dieses Relikt wird nun gestritten, und das mit Vehemenz: Seit an | |
Straßenlaternen Zettel aufgetaucht sind, auf denen in Anlehnung an ein Lied | |
von Ton Steine Scherben gefordert wird, doch endlich „Bernd und Nikolaus | |
und Florian“, die drei Markthallenbetreiber also, aus Kreuzberg | |
rauszuschmeißen, wird dem Protest in einigen Medien attestiert, über das | |
Ziel hinauszuschießen. | |
## Eine sympathisch klingende Idee | |
Auf der Versammlung im Stadtteilzentrum wird an diesem Sonntag allerdings | |
immer wieder angemahnt, die Situation differenziert zu betrachten. „Es ist | |
nicht alles Schwarz-Weiß, gut und böse“, sagt eine Frau. | |
Wie gut oder böse Aldi ist, da ist man sich hier auch schlicht gar nicht | |
einig: „Ich bin nicht dafür, dass wir uns für einen turbokapitalistischen | |
Großkonzern einsetzen, für dessen Produkte auf der ganzen Welt Menschen | |
ausgebeutet werden“, sagt ein hagerer junger Mann. Eine ältere Dame in der | |
ersten Reihe schüttelt den Kopf, kurz vorher hatte sie erzählt, wie wichtig | |
ihr der Aldi als Einkaufsmöglichkeit sei. Kurz sieht es so aus, als würde | |
sie gehen wollen, ihre Handtasche hat sie schon gegriffen, überlegt es sich | |
dann aber offenbar doch anders. | |
Was die Versammelten eint, ist das Gefühl, dass da etwas schief gelaufen | |
ist mit der Entwicklung der Markthalle, dass sie, die Anwohner, von denen | |
sich viele damals gegen einen Verkauf der Halle an einen Großinvestor und | |
für die sympathisch klingende Idee der heutigen Betreiber eingesetzt | |
hatten, irgendwo auf der Strecke geblieben sind. „Wir bieten das | |
Lokalkolorit für ihre Events, ansonsten sind wir unerwünscht“, sagt ein | |
älterer Mann, und viele im Raum nicken. | |
Donnerstagmittag in der Markthalle, wenige Tage nach der Protestversammlung | |
im Stadtteilzentrum. Es ist Mittagessenszeit, die in der Halle | |
aufgestellten Bierbankgarnituren sind gut gefüllt, die meisten Portionen | |
kosten zwischen sieben und zehn Euro. Risotto, Maultaschen, Tapas, | |
thailändischer Papayasalat und amerikanisches Pulled-Pork-Sandwich: Das | |
Angebot ist in etwa so international wie die Kundschaft, wobei | |
international in Berlin natürlich nicht automatisch touristisch heißt. Eine | |
Befragung der Markthallenkunden aus dem Jahr 2017, die eine Mitarbeiterin | |
der Markthalle für ihre Bachelorarbeit durchführte, beziffert den Anteil | |
derjenigen Besucher, die in Berlin wohnen, auf 78 Prozent. | |
## Die Kosten der Lebensmittel | |
Im ehemaligen Welt- und heutigen Markthallenrestaurant an der Pücklerstraße | |
sitzt Florian Niedermeier, grüner Wollpullover und abgewetzte Turnschuhe, | |
vor einem Teller Eintopf. Niedermeier, einer der drei | |
Markthallen-Betreiber, nimmt sich viel Zeit für den Termin. Er zeigt das | |
Konzept, mit dem sich das Team damals um die Markthalle beworben hat, im | |
ersten Konzeptverfahren der Stadt überhaupt. „Wir verstehen, dass uns der | |
Aldi jetzt um die Ohren gehauen wird“, sagt Niedermeier, dem seine | |
Augsburger Herkunft an einem leichten Dialekt anzuhören ist. „Wir behaupten | |
auch nicht, dass wir bisher alles richtig gemacht haben.“ Er sagt aber | |
auch: „Wer in Deutschland Geld für Essen ausgibt, gerät sofort unter | |
Verdacht.“ | |
Man kann sich, auch aus linker Perspektive, trefflich darüber streiten, wie | |
viel Lebensmittel kosten dürfen oder müssen. Klar ist: 1,49 Euro für ein | |
ganzes Suppenhuhn vom Discounter ist ein Preis, der ohne Ausbeutung von | |
Menschen, Tieren und Umwelt nicht zu machen ist. Klar ist aber auch: Den | |
Familieneinkauf auf dem Wochenmarkt in der Markthalle Neun zu erledigen, | |
wäre für viele Anwohner finanziell allerhöchstens möglich, wenn es tagein, | |
tagaus Möhreneintopf geben soll. | |
Das weiß auch Niedermeier. „Für mich ist die Antwort auf dieses Problem | |
aber nicht, den Erzeugern und Händlern weniger zu zahlen, sondern die Leute | |
müssen mehr Geld haben, um sich den wahren Preis von Lebensmitteln leisten | |
zu können“, sagt er. Erhöhung des Mindestlohns, der Hartz-IV-Sätze, der | |
Sozialausgaben: Das alles seien Forderungen, die er „hundertprozentig“ | |
unterschreiben würde. | |
Das hat Niedermeier, der gleich um die Ecke der Markthalle wohnt, | |
sicherlich mit vielen seiner Nachbarn gemein. Nur: Es sind auch | |
Forderungen, deren Erfüllung alles andere als vor der Tür steht. Momentan | |
stehen Hartz-IV-Empfängern für die Ernährung ihrer Kinder bis zum sechsten | |
Lebensjahr 2,77 am Tag zu. Das macht den Einkauf auch beim Discounter | |
schwierig. In der Markthalle bekommt man dafür einen Cappuccino. | |
Auf der Website der Markthalle steht seit einigen Wochen ein Text, in dem | |
auf einzelne Argumente der Kritiker eingegangen wird. „Wer sich auskennt | |
und mit der Saison kocht, kann sogar günstiger einkaufen als im | |
Supermarkt“, steht dort als Antwort auf die Kritik an der Preisgestaltung. | |
Ein Tonfall, der von vielen auf der Anwohnerversammlung als belehrend und | |
überheblich empfunden wird. | |
Klar ist nämlich auch: Es geht bei dem Streit um die Markthalle nicht nur | |
darum, was Lebensmittel kosten dürfen und wer sich was leisten kann. Es | |
geht auch darum, wer in der Markthalle willkommen ist und wer sich | |
ausgeschlossen fühlt, in der eigenen Nachbarschaft. | |
## Es bleibt nur Ah und Oh | |
„Wenn Aldi raus ist, dann bin ich in der Markthalle nicht mehr Kundin, dann | |
bin ich Besucherin“, sagt Eva Schmidt auf der Versammlung im | |
Stadtteilzentrum. Seit 21 Jahren wohnt sie nach eigenen Angaben im Kiez. | |
„Dann kann ich da stehen und Ah und Oh machen, aber ich bin nicht mehr | |
gleichberechtigt mit den Leuten, die da einkaufen.“ Später erzählt die Frau | |
mit dem dunklen Pferdeschwanz davon, wie es sich anfühle, wenn morgens | |
wieder einmal der Markthallenlieferverkehr die Straße zuparke, oder wenn | |
sie von Securities durch einen Korridor zum Aldi gelenkt werde, weil der | |
Rest der Markthalle für ein eintrittspflichtiges Event gesperrt sei. | |
„Die breiten sich immer mehr aus, die ganze Nachbarschaft wird in | |
Mitleidenschaft gezogen“, sagt Schmidt. Auch die Initiative Bizim Kiez, die | |
eine ausführliche und durchaus differenzierte Stellungnahme veröffentlicht | |
hat, adressiert dieses Problem: Es müsse Schluss gemacht werden damit, „im | |
Betrieb der Markthalle Profite zu privatisieren, aber die Kosten (Lärm, | |
Müll, Verkehr, Gentrifizierungsdruck, Verdrängung) der Nachbarschaft | |
aufzubürden, ohne dass sie Mitspracherechte hätte“, wird dort gefordert. | |
Immer wieder wird auf der Versammlung außerdem betont, dass doch gerade | |
Aldi mit seinem Biosortiment die Möglichkeit biete, sich auch mit wenig | |
Geld gesund zu ernähren. „Wir sind auch bio!“, empört sich ein Mann, und | |
viele nicken. Es geht hier auch darum, dass man sich nicht abstempeln | |
lassen will als ignoranter Discounterkunde, der nichts will, als sich mit | |
billiger Tiefkühlpizza vollzustopfen. | |
Was die Verträglichkeit der Erzeugung von Lebensmitteln für Mensch und | |
Umwelt angeht, liegen Welten zwischen dem, was bei Aldi als bio angeboten | |
wird, und den Produkten, die an den Ständen in der Markthalle verkauft | |
werden. Ob der ökologische Fußabdruck der Markthallenkunden aber wirklich | |
kleiner ist als der derjenigen, die bei Aldi einkaufen, ist damit noch | |
lange nicht gesagt: Fernflüge, Sushi-Mahlzeiten und der ein oder andere SUV | |
müssten hier schließlich ebenfalls eingepreist werden. | |
## Eine gemeinsame Sprache finden | |
Aber auch kleinere Fragen als die nach der ökologischen Gesamtbilanz | |
spielen in dem Streit eine Rolle. Zum Beispiel die, auf welcher Sprache man | |
kommuniziert. | |
In der Markthalle Neun findet viel auf Englisch statt, es gibt den Street | |
Food Thursday, das Try Foods Tasting und den Breakfast Market. Auch in der | |
Halle selbst und besonders im von der Markthalle betriebenen Café sprechen | |
nicht nur viele Gäste, sondern auch einige der Angestellten nur englisch. | |
Florian Niedermeier sagt, er verstehe, dass sich Leute davon ausgeschlossen | |
fühlten. Gleichzeitig schätze er an Berlin aber auch die Internationalität, | |
die er in Augsburg vermisst habe. Und in einer internationalen Stadt sei | |
Englisch oft auch eine inklusive Lösung. Trotzdem: „Es stimmt schon, dass | |
wir da noch mal nachdenken sollten, was wir besser machen können, damit | |
sich hier wirklich auch die Anwohner willkommen fühlen“, sagt er. Sämtliche | |
Produkte im Café nur auf Englisch anzupreisen, sei vielleicht nicht die | |
beste Lösung. | |
Es klingt ehrlich, gleichzeitig ist aber auch klar: Die | |
Markthallenbetreiber haben schon seit einer ganzen Weile die Gelegenheit, | |
über diese Fragen nachzudenken und bessere Lösungen zu finden. Denn fast | |
von Beginn an gab es immer nicht nur Zuspruch aus, sondern auch Konflikte | |
mit der Anwohnerschaft. | |
## Der Billigmarkt als Störfaktor | |
„Markthalle für alle“, das sei damals, als der Verkauf der Markthalle an | |
einen Großinvestor drohte, die Forderung der Anwohner gewesen, sagt | |
Niedermeier. „Wir haben schon damals gesagt: Eine Markthalle wie in den | |
fünfziger Jahren wäre nur möglich, wenn die Menschen auch wieder ihren | |
kompletten Lebensmitteleinkauf dort erledigen würden – das ist heutzutage | |
komplett unrealistisch.“ | |
Eine Vermutung, der man mit Blick auf Umfragen zum Einkaufsverhalten der | |
Deutschen zustimmen muss: 2016 gaben bei einer Umfrage des Instituts für | |
Demoskopie Allensbach 84 Prozent der Befragten an, ihren | |
Lebensmitteleinkauf beim Discounter zu erledigen. Nur 17 Prozent teilten | |
mit, dafür keine Supermärkte, sondern kleine Lebensmittelgeschäfte zu | |
besuchen. | |
Alles also nur ein großes Missverständnis, von einer Markthalle für alle | |
war nie die Rede? | |
Auch wenn dieser Slogan im Bewerbungskonzept von damals nicht vorkommt, | |
finden sich dort andere Formulierungen, die zu Recht Erwartungen in der | |
Anwohnerschaft schüren. „Die enge Einbindung der Nachbarschaft ist ein | |
zentrales Anliegen des Konzepts“, heißt es dort etwa, oder als ganz | |
konkrete Vision: „Am Abend treffen sich die Anwohner beim täglichen Einkauf | |
an der Metzgertheke und verweilen auf ein Glas Bier oder Wein.“ Sollten sie | |
den Zuschlag bekommen, so das damalige Versprechen der | |
Markthallenbetreiber, werde die Markthalle ein Ort für Menschen „jeden | |
Alters, aller sozialer Schichten und Nationalitäten“. | |
Genau diese soziale Durchmischung ist es, deren vollständiger Verlust durch | |
die Schließung der Aldi-Filiale nun befürchtet wird. Als „Störfaktor“ ha… | |
der Billigmarkt der „Homogenisierung des Publikums“ entgegengewirkt, | |
schreibt die Initiative Bizim Kiez, selbst aus einer Rettungsaktion für | |
einen kleinen, unabhängigen Lebensmittelhändler entstanden. | |
Dass die Aldi-Filiale, deren Mietvertrag alle sechs Monate verlängert | |
werden müsse, eines Tages ausziehen werde, war von Anfang an im Konzept der | |
Markthallenbetreiber angelegt, eigentlich sogar bereits für einen früheren | |
Zeitpunkt geplant. Dass der Discounter durch einen Drogeriemarkt ersetzt | |
wird, davon findet sich allerdings nichts im Konzept – auch dm mit mehr als | |
3.500 Märkten in 13 Ländern ist schließlich alles andere als der | |
Tante-Emma-Laden von nebenan. | |
Auf der Website der Markthalle wird der dm-Einzug auch damit begründet, die | |
Unternehmensphilosophie der von dem Anthroposophen und Multimillionär Götz | |
W. Werner gegründeten Kette passe besser zur Markthalle als die von Aldi. | |
Im Gespräch mit Niedermeier hört sich die Begründung etwas anders an. Viele | |
in der Nachbarschaft wünschten sich einen Drogeriemarkt, sagt er, vor allem | |
aber: „Die Hoffnung ist, dass das Angebot von dm, anders als bei Aldi, | |
nicht in Konkurrenz zu unseren Markthändlern steht, sondern zusätzlich ein | |
Publikum anzieht, dass dann auch in der Halle einkauft.“ | |
## Eine Markthalle für alle | |
Denn zur Wahrheit gehört auch, dass die Halle bisher noch nicht so läuft, | |
wie es ihre Macher im ursprünglichen Konzept erhofften: Ein Fisch- und ein | |
Gemüsehändler hätten vor Kurzem ihre Stände aufgegeben, weil sich der | |
Betrieb nicht lohne, sagt Niedermeier. Die dm-Filiale garantiert | |
Mieteinnahmen, deren Verzicht sich die Markthalle noch nicht leisten kann – | |
auch deswegen die Abweichung vom ursprünglichen Vorhaben, den Aldi durch | |
Markthändler zu ersetzen. | |
Ohne die vergleichsweise hohen Standmieten und zusätzliche Einnahmen durch | |
eintrittspflichtige Veranstaltungen sei der Betrieb der ehemals defizitären | |
Halle wirtschaftlich nicht machbar, argumentieren die Betreiber. | |
Ob private Eigentümer überhaupt das richtige Modell für die Markthalle | |
seien, wird auf der Anwohnerversammlung diskutiert. „Was ist denn, wenn die | |
die Markthalle irgendwann verkaufen, und dann wird alles noch viel | |
schlimmer?“, fragt eine Frau. Dann fliegen Begriffe durch den Raum: | |
Community Land Trust, Genossenschaftsgründung, Rekommunalisierung. | |
Prinzipiell wolle man sich keiner Diskussion verschließen, sagt Niedermeier | |
zu diesen Vorschlägen. Von einer Rekommunalisierung halte er allerdings | |
wenig angesichts der Stiefmütterlichkeit, mit der das Thema Ernährung von | |
der Berliner Politik behandelt werde: „Ich habe nicht den Eindruck, dass es | |
auf städtischer Seite Konzepte für eine Stadtentwicklungspolitik gibt, die | |
eine nachhaltige, ökologisch und sozial verträgliche Ernährungspolitik | |
berücksichtigt“, sagt er. Anders als etwa in Barcelona, wo die Stadt ihre | |
Markthallen als zentralen Bestandteil der Infrastruktur erkannt habe und | |
entsprechend behandle, stecke das Thema in Berlin noch in den | |
Kinderschuhen. | |
Es gibt erste Versuche der rot-rot-grünen Regierung, das zu ändern. So ist | |
im Koalitionsvertrag festgehalten, „den Anteil an Bioessen in | |
Kindertagesstätten, Schulen, Kantinen, Mensen und beim Catering in | |
öffentlichen Einrichtungen bis 2021 deutlich [zu] erhöhen“. Dabei helfen | |
soll das sogenannte House of Food, ein Konzept aus der dänischen Hauptstadt | |
Kopenhagen. In diesem Modellprojekt solle Großküchen und Caterern gezeigt | |
werden, „wie der Anteil an Bioprodukten, saisonalen und Frischzutaten durch | |
Weiterbildung und Beratung weitgehend kostenneutral erhöht und wie | |
Lebensmittelverschwendung und -verluste vermindert werden können“, heißt es | |
im Koalitionsvertrag. Eine Million Euro sind im Doppelhaushalt 2018/2019 | |
für dieses Vorhaben eingestellt, für den nächsten Haushalt will die | |
Senatsverwaltung für Verbraucherschutz mehrere Millionen für das Projekt | |
beantragen. | |
Noch bis Ende März läuft die Bewerbungsphase für den Betrieb des geplanten | |
Schulungszentrums. Zu den Bewerbern gehört auch die Markthalle Neun: Über | |
der neuen dm-Filiale, so der Plan, soll eine zweite Ebene eingezogen | |
werden, die das House of Food beherbergen werde. | |
## Andere Töne aus der Politik | |
Bislang gab es für die Markthalle Neun viel Lob aus der Stadtpolitik, was | |
den Zuschlag für das House of Food wahrscheinlich erscheinen lässt. Die | |
Übernahme des Großmarkts Beusselstraße in Moabit, um die sich die | |
expansionswillige Markthalle ebenfalls beworben hatte, scheiterte | |
allerdings vor einem Jahr an Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), die | |
die Markthalle zwar ebenfalls als „sehr erfolgreich“ lobte, vor eine | |
mögliche Privatisierung der bislang landeseigenen Beusselhallen aber | |
zunächst einen „Zukunftsdialog Großmarkt“ schalten will. | |
Angesichts der Anwohnerproteste kommen nun auch aus der Bezirkspolitik | |
andere Töne: Zur letzten Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am Mittwoch | |
wollte die SPD zunächst sogar einen Antrag einbringen, mit dem das | |
Bezirksamt dazu verpflichtet worden wäre, sich für den Erhalt der | |
Aldi-Filiale einzusetzen. Kurz vor der Sitzung am Mittwoch wurde der Text | |
geändert und um die Formulierung „oder ein vergleichbarer Einzelhändler“ | |
ergänzt – ein Störsignal in Richtung Markthalle ist der Antrag, der von der | |
BVV angenommen wurde, dennoch. Ebenfalls verabschiedet wurde ein Antrag der | |
Grünen, die einen runden Tisch zum Thema einrichten wollen. „Die | |
Markthallenbetreiber müssen die Offenheit mitbringen, wirklich Angebote für | |
alle zu entwickeln“, sagt Julian Schwarze, Fraktionssprecher der | |
Kreuzberger Grünen. „Wochenmärkte schaffen das schließlich auch.“ | |
Prinzipiell steckten hinter dem Konflikt zwar größere politische Fragen, | |
etwa die nach der ungleich verteilten Subventionierung von Lebensmitteln. | |
Trotzdem glaubt Schwarze, dass die Situation kurzfristig verbessert werden | |
könnte. „Die Gründung eines Markthallenrats, über den die Anwohner Einfluss | |
auf die Ausgestaltung nehmen können, wäre ein Schritt in die richtige | |
Richtung“, sagt er. Aldi zum „Retter der Kiezstruktur“ zu erklären, sei | |
übertrieben. „Aber es stimmt, dass es Treffpunkte geben muss, an denen ich | |
mich auch ohne Konsumzwang aufhalten kann.“ | |
Die Markthallenbetreiber selbst hatten bereits für Dienstagabend zu einem | |
runden Tisch geladen, um den es allerdings ebenfalls Streit gab: Weil die | |
Anwohnerinitiative zu spät eingeladen worden sei, sagten auch Bizim Kiez | |
und das Kreuzberger Gewerbetreibendenbündnis Ora Nostra ihre Teilnahme ab. | |
Statt fand das Treffen trotzdem, das Protokoll liegt der taz vor. Dort wird | |
unter anderem folgender Satz festgehalten: „Ziel aller Beteiligten: Eine | |
‚Markthalle für Alle‘ gestalten!“ Die Markthallenbetreiber werden künft… | |
also nicht mehr darum herum kommen, sich an dieser Parole messen zu lassen. | |
30 Mar 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://markthalleneun.de/ | |
[2] https://kiezmarkthalle.noblogs.org/ | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Markthallen_in_Berlin | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
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