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# taz.de -- Vinylhändler Platten-Pedro im Interview: „Ich wusste: Vinyl stir…
> 1969 eröffnete Platten-Pedro alias Peter Patzek das erste Antiquariat für
> Schallplatten in Berlin. Jetzt gibt der bald 80-Jährige seinen Laden auf.
Bild: Platten-Pedro, weit über Berlin hinaus eine Kultfigur in der Plattensamm…
taz: Herr Patzek, Sie kaufen und verkaufen seit 1969 gebrauchte
Schallplatten, seit Januar 1976 hier am Tegeler Weg in Charlottenburg.
Warum hören Sie jetzt auf?
Peter Patzek: Zum einen werde ich im Dezember achtzig und will mit meiner
Kleenen noch ein paar Jahre durch den Wald spazieren. Ich ziehe zu ihr nach
Neustadt am Rübenberge. Außerdem muss ich gestehen, dass viele Kunden
irgendwann anfangen, einem auf den Geist zu gehen: Alle Platten sollen
immer selten, billig und neuwertig sein.
Nun gab es einen großen Ausverkauf.
Vor zehn Tagen habe ich meinen Restbestand, das waren noch rund 20.000 LPs
und circa 1.200 Singles, auf einen Schlag verkauft. Da waren die Regale
leer.
Was war der Höchststand?
Ende der achtziger Jahre, als die meisten Leute nur noch CDs kauften und
ihre Vinyls loswerden wollten, hatte ich mal eine Viertelmillion Platten.
Haben Sie sich im Laufe der Jahre auch eine Privatsammlung zugelegt?
Ja, die besteht aus rund 1.000 LPs, 120 Singles, 100 Maxis – die Maxis,
weil die so gut klingen – und 150 Schellacks. Bei den Schellacks ist die
erste Single von Elvis dabei, Mystery Train und ein paar des genialen
Gitarristen Django Reinhardt.
Was ist so schön an diesen gewöhnlich schwarzen Stücken Kunststoff, heute
meist Vinyls genannt, dass man sein Leben ihnen verbringt?
Eigentlich gar nix. Ich habe mich auch schon 163.465 Mal dafür geschämt,
dass ich mit Kunststoff handle, mit PVC, so heißt Polyvinylchlorid
abgekürzt. Es sind die Schwingungen, die darin aufgezeichnet sind, um die
geht es.
Wann sind Sie das erste Mal auf eine Schallplatte gestoßen?
Ich habe 1953 von einer Großtante ein Tischgrammofon geschenkt gekriegt,
mit 30, 40 Schellackplatten aus den 1920er und 1930er Jahren. Kleinkunst,
Kabarett. 1952 wurden die ersten Vinyl-Schallplatten in Deutschland
gepresst, aber es gab kaum Plattenspieler. Aus Amerika kamen die Bigbands,
dann Rock ’n’ Roll und Country. Schließlich kriegten wir Radios, es gab
AFN, den Sender für die Ami-Soldaten, und man wollte die Platten haben. Ich
habe in der Brunnenstraße auf der Westseite Platten gekauft. Vorher habe
ich in der Schönhauser Swing-Platten von Amiga gekauft, dem DDR-Label.
Meine erste Vinylplatte war: „The Mess Is Here“ vom Rias-Tanzorchester
unter Leitung von Werner Müller. Das Original von Lionel Hampton war
allerdings schon etwas anderes, der deutsche Bigband-Jazz war damals noch
etwas eckig.
Wie konnten Sie sich damals Platten leisten?
Schule schwänzen war das Geheimnis. Ich habe, statt die Schulbank zu
drücken, bei einem Kohlenhändler am Nordbahnhof Holz gespalten. Eine Mark
West pro Stunde, die ich schwarz gegen fünf Mark Ost eintauschen konnte.
Das Geld musste ich vor meiner Mutter verstecken.
Wie sah Ihr Berlin denn nach dem Krieg aus?
Die Stadt war ein einziger großer Abenteuerspielplatz. Ich bin in der
Gleimstraße zur Schule gegangen. In der Sonnenburger, gleich um die Ecke,
war ein Gymnasium, das die Nazis als Munitionslager genutzt hatten. Das
war ausgebombt. Wir sind über den Zaun geklettert und haben nach Munition
gesucht. Haben bei den Patronen mit einem Stein den Messingmantel
aufgekloppt und das Schwarzpulver rausgeholt. Das haben wir angezündet.
Einer hat mal eine Pistole gefunden auf dem Falkplatz, da waren
Laubenkolonien damals. Ein anderer sagte: „Vorsicht, pack die bloß wieder
weg.“ Der sagte: „Die ist doch gar nicht geladen.“ Er setzte sie sich an
die Schläfe, drückte ab. Und war tot.
Sie sind dann nach Westberlin abgehauen. Warum?
Zunächst war ich überzeugter Jungkommunist. Heute bin ich Altkommunist,
immer noch überzeugt – wohl wissend, dass der Kommunismus mit den Menschen
nicht machbar ist. Aber meine Kumpels verschwanden alle. Unter der U-Bahn
gegenüber vom Metropol-Theater an der Schönhauser Allee trafen wir uns
immer. Einer nach dem anderen verschwand. Du fragtest: „Wo ist denn Kutte
abgeblieben?“ – „Na, der ist im Westen.“ Eines Tages habe ich mich mit
einem Kumpel unterhalten und anschließend haben wir spontan unsere Sachen
gepackt und sind mit der S-Bahn nach Marienfelde zum Auffanglager für
Flüchtlinge gefahren. Weil wir noch keine 18 waren, kamen wir in eine
ehemalige Kaserne in Gatow. Wir warteten darauf, nach Westdeutschland
ausgeflogen zu werden. Aber meine Mutter hatte rausgekriegt, wo ich war,
und holte mich ab. Sie hatte Angst, dass sie die Zweizimmerwohnung, die sie
gerade bekommen hatte, wieder verliert, wenn der Sohn nicht mehr da wohnt.
Da bin ich mit ihr mitgegangen. Im Januar 1960 war ich dann 18 und bin noch
mal abgehauen. Meine Flucht hatte keine politischen Gründe. Ich wollte nach
Kanada. Ich war wirr im Kopf. In dem Alter bist du wirr im Kopf. Ich bin ja
noch heute wirr im Kopf.
Wie war denn das Leben im Westen?
Ich kam nach Friedland, von dort nach Mannheim. Da habe ich in einer Fabrik
Sand gekarrt. Nach Kanada auswandern ging nicht, weil ich keine
Berufsausbildung hatte. Also bin ich nach einem halben Jahr nach Westberlin
zurück, per Anhalter. Und von dort mit der S-Bahn zu meiner Mutter in
Ostberlin. Das war Mitte 1960. Ich habe mir dann einen Job als
Fensterputzer gesucht und so die Erlaubnis bekommen, nach Westberlin zu
ziehen.
Wie haben Sie in Westberlin gewohnt?
Es gab Immobilienmakler, die Zimmervermietungen vermittelt haben. Mit
einem Kumpel aus dem Heim bin ich zusammengezogen. Verschiedene Zimmer in
der Kaiser-Friedrich-Straße. Da flog ich raus wegen Damenbesuchen.
Inzwischen arbeitete ich nachts als Sänger bei Rolf Eden, stieg irgendwann
auf den Tresen mit einer Gitarre, die ich nicht beherrschte, und sang
Englisch, das ich auch nicht beherrschte. Rock ’n’ Roll. Aber ich stand auf
einmal mit Manuela, Drafi Deutscher oder René Kollo auf der Bühne, die
damals Stars waren.
Wann ging es dann mit dem Sammeln von Schallplatten los?
Ich habe im Rififi gearbeitet, einer Bar in der Fuggerstraße, da verkehrten
alle möglichen lichtscheuen Gestalten. Unter anderem eine Bande, die
Phonoläden ausräumte. Von denen habe ich ein Tonbandgerät und einen
Plattenspieler gekauft. Seitdem kam ich an keinem Trödler vorbei, ohne eine
Platte zu kaufen. Und meine Wunschliste war endlos. Ich hatte die ganzen
Jahre AFN gehört und verfügte über ein hervorragendes Gedächtnis – was
übrigens auch lästig ist im Leben.
Sie gehören also nicht zu denen, die nur Platten von einem Künstler
sammeln, nur Jimi Hendrix zum Beispiel?
Überhaupt nicht. 1961 habe ich meine erste Klassikplatte gekauft, die ich
immer noch habe. Das einzige Violinkonzert von Beethoven, gespielt von
David Oistrach. Ich unterscheide immer nur nach guter und schlechter Musik
– aus meiner Sicht gute Musik. Und dann gibt es noch eine Kategorie in
meiner Privatsammlung, das ist Musik, die so schlecht ist, dass sie schon
wieder gut ist.
Zum Beispiel?
Deutsche Coverversionen von Welterfolgen. Sagen wir, Eddie und die
Atemlosen singen die deutsche Version des Beatles-Songs „I want to hold
your hand“ – „Komm gib mir deine Hand.“ Ein Meisterwerk. Oder „Was ha…
dir getan“ von den Jacob Sisters, die deutsche Version von „Stop. In the
name of love“.
Wie kamen Sie zu dem Namen Pedro?
Rolf Eden hat sich den ausgedacht. Er fand Peter nicht so doll, und im Old
Eden in der Damaschkestraße sagte er mich dann an: „Und jetzt kommt Pedro
aus Caracas.“ Ab 1965 war ich DJ, habe am Wochenende bei Eden aufgelegt,
zusammen mit Lord Knut.
Der „Playboy Rolf Eden“ wurde von der Westberliner Presse beharrlich zur
Berühmtheit hochgeschrieben. Wie haben Sie ihn in Erinnerung?
Einerseits war er ein Kumpel. Er hat immer auf seine Leute aufgepasst. Als
ein Gast mal einem kleinen Angestellten von ihm an den Kragen gegangen ist,
hat Eden eine Pulle genommen und sie dem Angreifer über den Schädel
gezogen. Aber eigentlich verabscheue ich ihn. Weil er Leute schlecht
behandelt hat. Zu so einer Karriere, wie er sie gemacht hat, gehört starker
Egoismus. Den habe ich persönlich nicht. Ich bin mir einfach nicht wichtig
genug.
Gut für Ihre Mitmenschen. Gut für die Westberliner Freunde von Rockmusik
war es, dass Sie einen Laden für gebrauchte Schallplatten aufgemacht haben.
Wie kam es dazu?
Meine Frau hatte die Idee. Ich hatte im Dezember 1967 meine Frau
kennengelernt, mit der ich dann 44 Jahre zusammen war. Eine hübsche
Wienerin aus besserer Familie, acht Jahre jünger als ich. Susanne. Als sie
mit dem Vorschlag kam, fragte ich: „Mit welchem Geld sollen wir den Laden
starten?“ Sie sagte: „Wir fangen mit deinen Platten an.“ Ich wurde als DJ
von vielen Plattenfirmen bemustert und hatte schon etwa 5.000 Singles. Und
sie sagte: „Wir machen natürlich auch Ankauf.“
Ging der Plan auf?
Wir hatten zunächst zu wenig Ware. Das Beste war schnell raus. Aber wir
hatten eine gute Idee, nämlich die erste
Schallplattenreparaturannahmestelle der Welt aufzumachen. Klappern gehört
zum Handwerk. Als wir am 19. April 1969 in der Pfalzburger Straße 87
unseren Laden eröffneten, kamen Vertreter aller sieben damals in Westberlin
erscheinenden Zeitungen. Es gab jede Menge Bowle und alle schrieben sie
über unseren Laden. Das Fernsehen kam auch.
Bei SFB-Beat hieß es, Sie könnten Platten, die einen Sprung haben,
reparieren.
Das war gelogen. Ich habe aber verbogene Platten wieder grade gekriegt. Die
rumpelten ein bisschen, waren aber wieder flach. Und ich habe Platten
gesäubert, mit lauwarmem Wasser und Spüli gewaschen, abtropfen lassen und
abtrocknen. Heute mache ich das im Geschirrspüler, aber nicht mit mehr als
40 Grad. Das Etikett löst sich dabei nicht. Ein Schallplatten-Antiquariat
gab es damals noch nicht, jedenfalls in Berlin. Das war unsere Erfindung.
Wie haben Sie die Sammler erlebt?
Sammler haben die Sammlerkrankheit: Ich muss alles haben. Jederzeit
griffbreit. Ich persönlich leide auch darunter. Ich habe im Laufe der Jahre
36.000 Platten gehabt, Lieblingsplatten, davon sind vielleicht 5.000
aktuell. Und wenn ich die nicht griffbereit habe, gibt es ein Loch: Ich
muss die jetzt hören. Das macht dich völlig kribbelig. Ich sammle nach wie
vor Schallplatten. Meine zweite Krankheit sind Briefmarken gewesen, da habe
ich auch zwei Schränke voll.
Gibt es auch Sammlerinnen?
Es werden mehr, aber sie sind im Vergleich mit den Männern immer noch eine
Minderheit.
Wer war Ihr bekanntester Kunde?
David Bowie.
Können Sie etwas mit aktueller Musik anfangen, zum Beispiel mit Rap?
1979 erschien „Rapper’s Delight“. Was für ein geiler Kick bei der Schwar…
Musik, dachte ich. Aber das ist über 40 Jahre her.
Gibt es Musiker, die Sie gar nicht abkönnen?
Mick Jagger mag ich nicht. Und Sie finden in meiner Sammlung auch nichts
von Neil Young. Ich habe nur eine Single von Elvis, seine erste. Am
nächsten steht mir die frühe Rockmusik, Ende der 1960er Jahre, Songs wie
„In-A-Gadda-Da-Vida“ von Iron Butterfly. „Papa Was a Rolling Stone“ von…
Temptations. „Black Night“ von Deep Purple. Rock ’n’ Roll ist auf die D…
langweilig, Beat auch. Aber ich höre auch Mandolinenkonzerte aus dem 17.
Jahrhundert.
Wie hat sich der Siegeszug der CDs als Tonträger in Ihrem Geschäft
bemerkbar gemacht?
1985 hat mir jemand eine Tüte CDs angeboten, und ich habe mir einen
CD-Player gekauft. Meine Frau und ich haben uns die angehört und sie
meinte: „Dann müssen wir CDs in den Laden nehmen.“ Ich hingegen fand, dass
Vinyl besser und natürlicher klang und sagte: „Wenn du als Einziger in
Berlin auf CDs verzichtest, dann treffen sich alle Vinylfreaks bei dir.“
Genau so ist es gekommen. Ich habe ein Schild ins Fenster gehängt:
„Platten-Pedro hasst CDs“. Als die CDs auf den Markt kamen, waren
Schellackplatten in Deutschland schon seit 23 Jahren nicht mehr produziert
worden, wurden aber immer noch gesammelt und gehandelt. Ich wusste, dass
Vinyl nicht sterben wird, man muss nur die richtigen Platten an Land
ziehen. 2008 begann dann der große Wiederaufschwung der Vinyls.
Was war die teuerste Platte, die Sie jemals verkauft haben?
Eine Schellack-Platte: die Platte einer russischen Sopranistin von vor dem
Ersten Weltkrieg. 10.000 Mark hat ein verrückter Sammler dafür bezahlt. Die
teuerste Vinyl, da kam jemand, der 14 Vinyls digitalisiert haben wollte.
Darunter die allererste in Deutschland veröffentlichte Platte der Beatles,
„Please, please me“, Stereo Export, Archivandruck. Davon gibt es höchstens
fünf auf der Welt. Aber völlig verranzt. Im Laufe der Zeit lernst du als
Plattenhändler mehr als auf jeder Schauspielschule. Verstellen. Pokerface.
Wir haben uns darauf verständigt, dass ich eine Platte für das
Digitalisieren behalten kann, die Beatles-Scheibe. Die hat ein Apotheker
aus der Provinz dann für 2.220 Mark gekauft. Die hört er sich nie an. Er
hängt sie gerahmt auf.
Sind seltene Vinyls nicht auch eine Geldanlage?
Das ist ein großer Irrtum. Früher haben die Leute gedacht, Briefmarken
seien eine gute Geldanlage. Briefmarken sind heute völlig wertlos. Wenn
Platten nicht mehr aktuell sind und nicht in die nächste Generation
übergehen, dann interessieren die niemand. Nicht mal ein Prozent aller
zukünftigen Sammler würde sich für die erste Pressung von Led Zeppelin II
interessieren. Davon gibt es genug. Das White Album der Beatles, aus dem
Besitz von John Lennon, hat 50.000 Dollar gebracht.
Sie sind Schallplattenhändler geworden,weil Sie nicht „für irgendwen
ackern“ gehen wollten, wie Sie mal gesagt haben.
Ja. Und das zumindest ist mir hervorragend gelungen.
5 Sep 2021
## AUTOREN
Michael Sontheimer
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