# taz.de -- Comeback des Vinyl in der Biblothek: Trendy in Szene gesetzt | |
> Die Berliner Zentral- und Landesbibliothek hat mit 73.000 Exemplaren eine | |
> große Schallplattensammlung. Und die verleiht sie auch. | |
Bild: In den 1950er Jahren war die gute alte Schallplatte topmodern. Heute ist … | |
BERLIN taz | An den Wänden Schallplatten, in den Regalen ebenso. Ein Raum | |
in der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) hat sich gerade in eine Art | |
Plattenladen verwandelt. Gleich neben den Zeitschriftenständen kann man | |
sich durch Vinyl wühlen und es dann auch ausleihen. Moment mal. Wem war | |
denn überhaupt noch bekannt, dass die Berliner Zentral- und | |
Landesbibliothek Schallplatten – die AGB ist ja nur ein Standort – im | |
Bestand hat? Ist aber so. Und die Sammlung ist sogar ziemlich groß und | |
umfasst 73.000 Exemplare. | |
Mit dem Siegeszug der CD im Laufe der 1990er Jahre verschwanden die | |
Schallplatten aus den Auslagen der Berliner Bibliotheken. Sie galten als | |
gestrig und überholt. Nun sind sie zurückgekehrt, zumindest in die AGB. Ob | |
weitere Berliner (Stadtteil-)Bibliotheken dem Beispiel folgen und ebenfalls | |
eine Vinylnische einrichten werden, wird sich zeigen. Anzunehmen ist es. In | |
dem kleinen Heftchen, dass die Zentral- und Landesbibliothek Berlin – kurz: | |
ZLB – extra zum Thema Vinyl hat drucken lassen, steht: „Wir lieben | |
Schallplatten.“ | |
Die neue Aufmerksamkeit für ein altes Medium folgt natürlich einem | |
allgemeinen Trend. [1][Vinyl ist bekanntlich zurück im öffentlichen | |
Bewusstsein]. Kaum noch eine „Schöner leben“-Lifestyle-Anzeige, in der | |
nicht jemand auf seiner gemütlichen Couch auch ein paar Schallplatten | |
liegen hat. Zudem wurde in einem Branchenreport eben erst bekannt gegeben, | |
dass in den USA inzwischen wieder mehr Vinyl-Schallplatten verkauft werden | |
würden als CDs. | |
Und überhaupt: Wer wie [2][Neil Young] etwas gegen populistische | |
Entertainer bei Spotify hat und wer nebenbei will, dass seine Lieblingsband | |
die Pandemie überlebt und mit ihrer Musik auch wirklich Geld verdient, der | |
streamt nicht – sondern kauft Vinyl. | |
## Historische Sammlung | |
Die Idee, die Schallplatten zurückzuholen, kam in der ZLB in den | |
Coronamonaten auf, berichtet Marten Seedorf. Als ZLB-Mitarbeiter ist er mit | |
dafür verantwortlich. „Die Bestände waren schon ein bisschen in | |
Vergessenheit geraten“, sagt er, „und sie waren nicht mehr sichtbar.“ Er | |
und sein Team haben dann damit begonnen, diese durchzusehen, den Zustand | |
der Platten zu checken und auch zu ermitteln, welche Scheibe was wert ist. | |
Ein paar Schallplatten sind letztendlich zu wertvoll, um in die Ausleihe zu | |
kommen, etwa eine ganz seltene Pressung von Neil Youngs Klassiker | |
„Harvest“, auf die man gestoßen sei. | |
Die ZLB-Plattensammlung besteht aus drei Teilbereichen. Aus den Beständen | |
der Ostberliner Bibliotheken vor der Wende und somit aus „tonnenweise | |
Amiga-Platten und Schallplatten der damaligen sozialistischen Bruderstaaten | |
der DDR“, wie Seedorf erzählt. Dann aus den „Amerika-Platten, also | |
Schenkungen von amerikanischen Kultureinrichtungen in Westberlin. Darunter | |
sind auch ganz alte Erstpressungen von guten Jazz- und Blues-Platten.“ Und | |
aus sogenannten Pflichtexemplaren Berliner Labels: die sind dazu | |
angehalten, von jeder ihrer Platten eine der ZLB zu vermachen. | |
Die Sammlung ist also ziemlich historisch. Vinyl aus den nuller Jahren bis | |
heute kommt nur noch von den Berliner Labels wie etwa Karaoke Kalk oder | |
Karl Records. Diese kann man nicht ausleihen, sondern sich bloß auf dem | |
Plattenspieler in der Phonothek anhören. Laut Seedorf wird die ZLB auch | |
wohl kaum wieder aktuelles Vinyl von Adele oder Helene Fischer anschaffen. | |
Bei der Gestaltung des Vinylraums hat man es durchaus verstanden, auch den | |
schon etwas fortgeschrittenen Vinyl-Fan für das Thema zu gewinnen. An den | |
Wänden hängen Platten von Oskar Sala, Joan La Barbara und diverse des | |
Jazz-Labels „Impulse“, die allesamt ziemlich rar sind. Wer hätte die nicht | |
gerne in seiner eigenen Sammlung? | |
## „Phonoclub“ mit DJs | |
Dazu wird auf Filme zum Thema verwiesen und auf Bücher, die etwa die | |
„hundert großartigsten Platten, die man auf Vinyl besitzen muss“ heißen. | |
Sogar Krimis, die in Plattensammlerkreisen spielen, gibt es inzwischen. Im | |
„Berlin“-Plattenfach findet man Perlen wie „Stop dem Autobahnbau“, 1980 | |
herausgebracht von der „Bürgerinitiative Westtangente Berlin“, die „Lied… | |
gegen Umweltzerstörung durch Autoverkehr“ zum Besten geben soll. Alt, | |
obskur, aber immer noch aktuell. Autobahn-Fan Franziska Giffey könnte sich | |
diese ja gerne mal ausleihen … | |
An mehreren Terminen gibt es außerdem einen „Phonoklub“ in der AGB. Im | |
Rahmen der Veranstaltung legen DJs Platten auf, über Funkkopfhörer lassen | |
sich deren Sets verfolgen. | |
Aufgefordert werden die Besucher auch, über ihren Erstkontakt mit der guten | |
alten Schallplatte in einem ausgelegten Büchlein zu berichten. Einer hat | |
geschrieben, dass es gleich 25 Platten waren, die als Erstes in sein Leben | |
traten, daraus wurden schnell 5.000 bis 10.000 Stück in seiner Sammlung. | |
Und schließlich bekennt der Schreibende: „Leider bin ich dann vor lauter | |
Vinyl verrückt geworden. Meine Frau schimpft nur noch mit mir.“ Hätte er | |
die Platten schon immer nur in der ZLB entliehen, hätte er diese Probleme | |
heute nicht. | |
Dass man Vinyl aber eben nicht nur entleihen, sondern einfach gerne um sich | |
hat, das will auch Marten Seedorf bereits festgestellt haben: „Die Leute | |
leihen die Platten sehr lange aus, oft über Monate“, sagt er, „sie scheinen | |
sie eben einfach auch als Sammlerobjekte zu begreifen.“ | |
19 Feb 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Nachfrage-nach-Vinyl-Schallplatten/!5709652 | |
[2] /Nach-Neil-Youngs-Abschied-von-Spotify/!5832461 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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