| # taz.de -- Analog, digital, total egal: Buchdrucker und Bumerangs | |
| > Seit der Erfindung der Druckerpresse gibt es einen Aufschrei, wenn ein | |
| > neues Medium auftaucht. Dabei lebt Altes und Neues in fröhlicher | |
| > Koexistenz. | |
| Bild: Wer das noch kann, ist so 20. Jahrhundert.. | |
| Als Johannes Gutenberg vor gut 500 Jahren die Druckerpresse erfand und | |
| damit nach der Erfindung der Sprache und der Schrift die dritte | |
| Medienrevolution auslöste, entstand wenig später in Venedig das erste | |
| Silicon Valley der Renaissance. Binnen Kurzem siedelten sich zwischen | |
| Markusplatz und Rialtobrücke zahlreiche Druckereien an, übrigens fast alle | |
| betrieben von deutschen Einwanderern. | |
| Die Drucker hatten schon damals mit Betriebsspionage, Risikokapital und | |
| schnellen Dividenden zu kämpfen, sie mussten Hightech-Materialien wie | |
| Papier und Spezialtinte beschaffen und internationale Netzwerke mit den | |
| anerkanntesten Fachleuten aus aller Welt knüpfen, die die | |
| vielversprechendsten Handschriften auswählen und übertragen konnten. | |
| Die lustigste Parallele dieses Goldrauschs zum Hier und Heute ist der Ton, | |
| mit dem Kritiker damals die Massenproduktion von Büchern und die damit | |
| verbundene unkontrollierte Demokratisierung des Wissens an den Pranger | |
| stellten. Der Adel fürchtete das Bürgertum; die Mönche, die oft einen | |
| großen Teil ihres Tages mit dem Abschreiben von Texten verbracht hatten, | |
| fürchteten den Verlust ihres Arbeitsplatzes oder zumindest ihrer | |
| Legitimation. Sie hetzten gegen die Drucker: Deren heidnischen Bücher | |
| könnten die Menschen verdummen, die obszönen Sexgeschichten aus dem alten | |
| Rom die Jugend verderben. Es wurden sogar erste Bücherverbrennungen | |
| beschlossen. Die mussten dann allerdings verschoben werden. | |
| Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie wenig die Menschheit von sich | |
| selbst lernt. Inzwischen haben wir die vierte Medienrevolution hinter uns – | |
| und das Abendland ist noch immer nicht untergegangen. Als das Video kam, | |
| sagten manche den Tod des Radios voraus, der schöne Song „Video killed the | |
| radio star“ der ansonsten eher vergessenen Band Buggles aus dem Jahr 1979 | |
| ist bis heute „on air“. | |
| Als der Fernseher auftauchte, hieß es, das sei das Ende des Buchs, die | |
| Kinder würden nun flächendeckend verfetten und ihr Leben lang mit massiven | |
| Verhaltensstörungen beschäftigt sein. Die CD löste die Schallplatte ab, und | |
| als dann noch Internet und Smartphone auftauchten und damit die sozialen | |
| Netzwerke, der unbegrenzte Zugriff auf Informationen, das Streaming von | |
| Musik und Filmen und die digitale Fotografie: Da dachten wieder alle, das | |
| könnten weder Kino, CD noch die alte Spiegelreflex überleben. Die Menschen | |
| würden nun aufhören, sich zu treffen, Briefe zu schreiben, ins Kino zu | |
| gehen und Tonträger zu erwerben. | |
| Im Grunde hat sich also seit der Erfindung des Buchdrucks recht wenig | |
| geändert. Bei jeder neuen technischen Errungenschaft bangen immer wieder | |
| vor allem die Privilegierten um das Ende ihrer Privilegien. Wer aber | |
| genauer hinschaut, der kann leicht sehen, dass die wenigsten Medien im Lauf | |
| der Geschichte verschwunden sind. Statt dessen gehen sie so friedlich wie | |
| fröhlich Koexistenzen mit den neuen ein. | |
| Die Menschen schauen Youtube, stellen sich aber trotzdem alte Röhrenradios | |
| in greifbare Nähe, bei denen man einmal einen Lieblingssender und eine | |
| Lieblingslautstärke einstellt und dann morgens nur noch nach dem dicksten | |
| Knopf tastet. Sie hören Spotify, legen aber trotzdem abends gern eine | |
| Platte auf und lassen sie trotz der schwachen Songs zwischen den Hits | |
| durchlaufen, um dann festzustellen, dass diese Songs manchmal die stärkeren | |
| sind. Kinder lassen sich zum Geburtstag einen Kindle schenken, rennen aber | |
| dann doch lieber in die Bibliothek oder, wenn das Taschengeld es erlaubt, | |
| in die Buchhandlung. Eltern löschen ihnen derweil die Spiele vom Handy und | |
| setzen sie vor den Fernseher, wo seit dem Ausbruch der Pandemie zunehmend | |
| Bildungsprogramme laufen. | |
| Solange die Menschen Körper haben, so lange haben sie auch noch Lust, Dinge | |
| anzufassen, anzuschauen und an ihnen zu riechen. Und dieses Bedürfnis nimmt | |
| eher noch zu, wenn sie den lieben langen Tag auf die Bildschirme ihrer | |
| digitalen Endgeräte gestarrt haben. | |
| Die Wiederkehr der Schallplatten, der Reparaturwerkstätten für alte | |
| Verstärker, der Erfolg von Läden für Fotopapier oder Verlagen, die wieder | |
| aufs bibliophile Buch setzen, erzählen Geschichten davon. Denn auch, wenn | |
| Dinge wie diese oft ein Hobby für Besserverdienende sind: Es gibt auch | |
| Analoges, das kaum Geld kostet. Fotos aus dem vorigen Jahrtausend gescheit | |
| einzukleben kann unaufwendiger und befriedigender sein, als sie zu | |
| digitalisieren. | |
| Und übrigens: Es mag ja sein, dass das alles nicht für alle Medien gilt. | |
| Die gute alte Tonkassette, die man immer wieder mit dem Bleistift vorm | |
| Bandsalat retten musste, steht derzeit bei zahlreichen jungen, coolen Bands | |
| wieder hoch im Kurs. Der Verkauf und Verleih von DVDs soll seit Corona und | |
| der Überlastung des Internets wieder zugenommen. Selbst die VHS ist in | |
| manchen Ländern Asiens, wo sich noch nicht jeder ein Smartphone leisten | |
| kann, gerade der letzte Schrei. Kann gut sein, dass auch diese eines Tages | |
| wie ein etwas abgenutzer Bumerang zu uns zurückkommt. | |
| 16 Jan 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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