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# taz.de -- Roman „Primat des Überlebens“: Rückfall mit Folgen
> US-Autor Les Edgerton schickt einen eigentlich ehrlich gewordenen
> Ich-Erzähler in seinem Krimi durch ein Inferno falscher Entscheidungen.
Bild: Hinter Gittern: Les Edgerton saß selber mal im Gefängnis
Das genial Perfide an diesem [1][Roman] ist, dass man mit Jake durchaus
mitfühlen kann. Denn er ist ein sympathischer Ich-Erzähler mit ganz
normalen Bedürfnissen, der endlich leben will wie andere Leute auch. Nach
einer schweren Kindheit, einer Karriere als Einbrecher und etlichen Jahren
Knast hat Jake ein völlig neues Leben begonnen.
Er hat eine Frau, die er liebt und die gerade mit dem gemeinsamen Kind
schwanger ist, und einen Job als Friseur, in dem er so erfolgreich ist,
dass er plant, sich mit einem eigenen Salon selbstständig zu machen.
Doch da kontaktiert ihn ein alter Bekannter: Mit Walker Joy hat Jake im
Knast gesessen, und da er ihm sein Leben verdankt, ist er Walker was
schuldig. Außerdem weiß Walker etwas über Jake, das diesen sofort wieder
ins Gefängnis bringen könnte – und diesmal womöglich lebenslänglich. Also
lässt er sich widerwillig auf den Plan ein, für einen örtlichen Hehler
gemeinsam einen Diamantenhändler auszurauben.
## Sehr noir, absurd und blutig
Natürlich wissen wir von Beginn an – anders als Jake –, dass das Ganze üb…
nach hinten losgehen wird; so sind die Genreregeln. Dennoch ist die
finstere Konsequenz, mit der Les Edgerton seinen Protagonisten ins
Verderben stürzt, atemberaubend – wobei Jake noch in den übelsten Szenen
seine lakonische Erzählhaltung nie aufgibt. Es ist wie in „Fargo“, aber
anders: [2][sehr noir,] absurd und blutig, aber ohne den gleichzeitigen
Willen zur Komik.
Und das, obwohl sich die seltsamen Zufälle nur so häufen: Permanent tauchen
irgendwelche Leute in Momenten auf, die nicht ungünstiger sein könnten,
angefangen bei der Buchhalterin des Diamantenhändlers, die ein paar
Überstunden leisten will und dabei überraschend auf die Einbrecher trifft,
die zunächst nicht wissen, was sie mit ihr machen sollen. Dabei ist
eigentlich glasklar: Die Dame ist Zeugin ihres Verbrechens geworden; sie
muss verschwinden.
Jake, von dem alle, auch er selbst, wissen, dass er „kein Killer“ ist,
sperrt sich lange gegen diese Einsicht und überlässt nur widerwillig seinem
Kumpan die Initiative im Entscheidungsprozess. Und dann überschlagen sich
die Ereignisse: Jakes kleiner Bruder wird unschuldig verhaftet, seine Frau
entdeckt sein unfreiwilliges Nebengeschäft, und noch eine weitere Person
taucht just an jenem Ort auf, an dem Jake und Walker gerade eine Leiche
verschwinden lassen wollen.
## Quasigöttliche Instanz im Hintergrund
Eigentlich kann es so viel Pech, wie sich hier auf Jakes Kopf häuft, gar
nicht auf einmal geben. Es ist fast so, als führe im Hintergrund eine
schicksalswaltende, quasigöttliche Instanz Regie, die strafend Blitze
schleudert gegen den rückfälligen Delinquenten. Man könnte diese Instanz
auch den „Autor“ nennen. Les Edgerton, der im vorigen Jahr verstarb, hat,
wie die biografischen Angaben im Buch verraten, mit seinem Protagonisten
einiges gemeinsam – saß sogar im selben berüchtigten Gefängnis ein wie
dieser, bevor er eine ehrbare Laufbahn als Literat einschlug.
Zweifellos sind die bitteren Erfahrungen aus der weniger ehrenhaften Zeit
davor in diesen und in andere von Edgertons Romanen eingeflossen. Er dürfte
sich damit einige Dämonen vom Leib geschrieben haben. Mit Jakes Geschichte
entwarf er somit gleichsam auch ein Alternativ-Schicksal für sich selbst;
eines, wie es seinen Lauf nehmen kann, wenn man einmal wissentlich den
verkehrten Weg einschlägt und dann ein moralischer Damm nach dem anderen
bricht. Wer weiß, vielleicht hat die Edgerton-Lektüre ja dem ein oder
anderen Ex-Kriminellen schon dabei geholfen, auf dem Pfad der Tugend zu
bleiben.
7 Aug 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Katharina Granzin
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