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# taz.de -- Roman „Die Regeln des Spiels“: Der friedfertige Händler von Ha…
> In Colson Whiteheads neuem Roman wird der Protagonist zum Komplizen bei
> einem Raub- und Mordzug. Der Autor romantisiert das Ganoventum.
Bild: Der Autor Colson Whitehead
Ray Carney ist ein prinzipiell sympathischer Protagonist. Das versteht sich
nicht von selbst, denn er ist nicht nur ein Gauner und Hehler, sondern
zudem auch etwas zu gut bekannt mit Leuten, die weitaus schlimmere Dinge
tun, als gestohlenes Gut zu verticken. [1][Colson-Whitehead-LeserInnen
wiederum kennen Ray Carney bereits aus dem Roman „Harlem Shuffle“], der in
den sechziger Jahren spielte und den (Anti-)Helden Carney einführte als
einen, der eigentlich ganz gern ehrbar leben würde, sich aber durch die
Umstände gezwungen fühlt, nebenher noch was zu verdienen.
Im neuen Roman „Die Regeln des Spiels“ laufen die Geschäfte in Carneys ganz
legalem Möbelladen so gut, dass er sich inzwischen hat leisten können, von
kriminellen Nebentätigkeiten Abschied zu nehmen. Wir sind in den siebziger
Jahren angekommen, der Schauplatz ist derselbe geblieben: Harlem, mit
Carneys Möbelgeschäft als Mittelpunkt der Handlung.
Doch setzt diese just mit einer Episode ein, in der Carneys Ehrbarkeit
abrupt wieder endet, aber eigentlich gegen seinen Willen. Um seine Kinder
mit Karten für ein begehrtes, notorisch ausverkauftes Baseballspiel
überraschen zu können, kontaktiert er einen seiner weniger sympathischen
Bekannten: einen durch und durch korrupten weißen Polizisten, an den Carney
seit Langem Schmiergeld abzudrücken pflegt.
## Heiße Ware verticken
Dieser Munson kennt Gott und die Welt. Er verspricht die Tickets zu
besorgen, allerdings nur für einen Gegengefallen, denn er braucht einen
Abnehmer für heiße Ware. Und schon ist Carney nicht nur wieder im Geschäft,
sondern mehr noch: Ehe er sich versieht, wird er zu Munsons Geisel und
Komplizen bei einem sagenhaften Raub- und Mordzug, den der Bulle in einer
Nacht durch Harlem unternimmt.
Denn eine interne Untersuchung steht ihm bevor; und da er rein gar nichts
mehr zu verlieren hat, macht er keine Gefangenen. Außer Carney natürlich,
der gezwungen wird, ihm Rückendeckung zu geben. Wie um alles in der Welt
kommt ein prinzipiell friedfertiger Möbelhändler aus dieser Sache heraus?
Kleiner Spoiler: Die Episode geht für den Antihelden glimpflich aus, sonst
wäre der Roman ja auch zu schnell zu Ende. „Episode“ ist ein wichtiges
Stichwort, denn mit „Episodenhaftigkeit“ ist die Grundform dieses Romans
recht gut beschrieben. Es ließe sich leicht eine Miniserie in drei Folgen
daraus machen; die Hauptfigur und der Fortgang ihrer Geschäfte würden für
die notwendige übergreifende Handlungsklammer sorgen.
Jedoch werden nicht alle Episoden aus Carneys Perspektive erzählt. Ein
weiterer wichtiger Perspektivträger ist Pepper, ein knallharter Typ, der
schon für Carneys nicht nur halb kriminellen Vater gearbeitet hat. Auch für
den Sohn erledigt Pepper Dinge, die der nicht selbst machen will, und durch
Carneys Vermittlung wird er Ausputzer für eine Filmproduktion, bei der
nicht alles rund läuft und deren Regisseur ein Exzentriker ist, der seine
künstlerische Ader einst nicht filmisch, sondern durch allerlei Zündeleien
auszudrücken pflegte.
## Macht, Geld, Verbrechen
Das wäre die zweite Episode. Die dritte handelt schließlich von sehr realen
Brandstiftungen – und nicht zuletzt von der Verquickung von Macht, Geld und
Verbrechen. In Nebenrollen treten ein Politiker auf, der
Bezirksbürgermeister von Harlem werden will, und Carneys Ehefrau, die für
ihn in den Wahlkampf zieht.
Alle anderen, hier nicht genannten Figuren – und es gibt sehr viele davon –
sind wahnsinnig schwer auseinanderzuhalten. Das liegt nicht nur an der
Episodenhaftigkeit des Ganzen, sondern auch daran, dass das geschilderte
Milieu so einebnend wirkt. Es ist ein im Grunde nicht wenig klischeehaftes
Harlem der Schwarzen Ganoven, das [2][Whitehead] uns vorführt. Manche der
Halunken tragen Anzug, andere nicht, bei manchen sitzt das Schießeisen
locker, andere prügeln sich lieber, kriminell bis zur Halskrause sind sie
alle.
Atmosphärisch ist das insgesamt durchaus gelungen, reicht aber nicht für
überdurchschnittlichen Lektüre-Mehrwert. Die meisten Charaktere sind nicht
interessant genug, und die vermutlich kunstvoll gemeinte Verplaudertheit
des Ganzen lähmt früh jede Hoffnung darauf, dass der sich ungehemmt zu
allerlei Abweichungen schlingende Erzählfaden sich irgendwann zu einem
echten Finale schürzen würde. Dass das am Ende dann doch noch passiert, ist
fast eine Überraschung.
Aber es liegt auch eine gewisse Enttäuschung darin, dass man nach der
romanlangen Romantisierung des Ganoventums, das ja durch die Hauptfigur
ein, wie erwähnt, durchaus sympathisches Gesicht trägt, am Schluss als
implizite Moral von der Geschicht’ ein „Unrecht Gut gedeiht nicht“ mit na…
Hause nehmen muss.
29 Nov 2023
## LINKS
[1] /Neuer-Roman-von-Colson-Whitehead/!5792847
[2] /US-Sklaverei-Roman-in-deutscher-Version/!5435452
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
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