# taz.de -- Berna González Harbours „Roter Sommer“: Ein scheußlicher Mord… | |
> Ein wirrer Mörder, verzweifelte Angehörige: In ihrem Kriminalroman | |
> zeichnet Berna González Harbour ein vielschichtiges Sozialbild von | |
> Madrid. | |
Bild: Sommer in Madrid, die Leiche eines jungen Mannes wird gefunden | |
Schlechtes Timing für die Fußballfans beim Madrider Morddezernat: Es ist | |
Sommer und ganz Spanien fiebert mit der Nationalmannschaft mit, die im | |
Viertelfinale der Weltmeisterschaft steht. Nur an Comisaria María Ruiz und | |
ihren Kollegen geht das große Ereignis komplett vorbei, denn sie haben | |
einen besonders rätselhaften und scheußlichen Mord aufzuklären. In einem | |
Teich im großen Stadtpark Juan Carlos I. wird die Leiche eines männlichen | |
Jugendlichen gefunden – gefesselt und mit Gewichten beschwert. | |
Die Identität des Jungen ist zunächst nicht festzustellen, es ist aber eine | |
Vermisstenmeldung eingegangen, die auf den Toten zu passen scheint. Zwar | |
erkennt María schnell, dass dies die falsche Spur ist, doch bald taucht | |
eine zweite, ebenfalls junge männliche Leiche auf, dieses Mal im Meer. | |
Beide Jungen tragen dieselbe Tätowierung am Körper, doch die Verbindung | |
zwischen ihnen bleibt lange unklar. | |
Dann entdeckt María im Zimmer des 17-jährigen Alejandro eine Mappe mit | |
Bildern, die ihn beim Sex mit älteren Männern zeigen. Die Ermittlungen | |
führen in eine Schule und in ein Sommerlager, die von frommen Brüdern | |
geleitet werden … | |
## Aktivismus der ErmittlerInnen | |
Das zugrundeliegende Thema ist brisant, hochaktuell und unerquicklich, doch | |
nichtsdestotrotz macht die Lektüre von „Roter Sommer“ in erster Linie | |
großen Spaß. Die Autorin bedient zu keiner Zeit einen von vielen anderen | |
KollegInnen beim Lesepublikum vermuteten Hang zum Lustgruseln. Nicht die | |
Monstrosität der Verbrechen stellt sie in den Vordergrund, sondern | |
konzentriert ihre Erzählung ganz auf die handelnden Charaktere: auf den | |
angespannten Aktivismus der ErmittlerInnen, die Verzweiflung bei den | |
Angehörigen der Mordopfer, das wirre Sinnieren des Mörders. | |
Letzteres sind die schwächsten Passagen des Romans; weder die psychotische | |
Verblendung, in der der Täter gefangen ist, wirkt in der Darstellung ganz | |
überzeugend noch ist die Tatlogik, selbst in ihrer Verquertheit, aus der | |
Handlung heraus so richtig nachvollziehbar. Dafür stimmt aber alles andere. | |
Im Zuge ihrer Recherchen kommen die ErmittlerInnen ausgiebig herum in der | |
spanischen Hauptstadt und Umgebung und treffen dabei auf sehr viele sehr | |
unterschiedliche Menschen, angefangen bei den Familien der Mordopfer, in | |
denen schon lange niemand mehr wusste, was im Leben der heranwachsenden | |
Jungen eigentlich los war. Jede dieser Begegnungen ist ein kleines | |
Sozialdrama für sich. | |
Auch im ErmittlerInnenteam – alles Männer bis auf die zugeknöpfte Chefin, | |
in die alle irgendwie etwas verliebt sind – gibt es sehr verschiedene | |
Charaktere. Ein Journalist komplettiert das Romanpersonal, ein altgedienter | |
Reportagenrecke, dem gerade die Stelle gekündigt wurde, weil seine Zeitung | |
kurz vor dem Aus steht. | |
Die Autorin wird wissen, wovon sie da erzählt, denn von Hause aus ist Berna | |
González Harbour Journalistin und arbeitete unter anderem als | |
Chefredakteurin bei El País. Sie selbst dürfte, wie sie auch mit diesem | |
Roman beweist, auf Einkünfte aus dem Journalismus wohl eigentlich nicht | |
mehr angewiesen sein. Mit ihren Romanen ist sie in Spanien sehr | |
erfolgreich. | |
15 Oct 2024 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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