| # taz.de -- Krimi von Nicolás Ferraro: Das Mädchen mit der Schrotflinte | |
| > Thriller, Roadmovie, Coming-of-Age-Geschichte: Dem argentinischen Autor | |
| > Nicolás Ferraro ist mit „Ámbar“ ein geniales Genre-Amalgam gelungen. | |
| Bild: Kostbarster Besitz und Erinnerung an den Vater: eine abgesägte Schrotfli… | |
| Ámbar ist fünfzehn Jahre alt und ihr kostbarster Besitz ist eine | |
| Schrotflinte mit abgesägtem Lauf – ein Geschenk ihres Vaters Víctor. Eine | |
| normale Kindheit hat sie nie gehabt, denn da Víctor aufgrund seiner | |
| vielfachen Tätigkeiten als Gangster, Drogendealer und Killer nie lange an | |
| einem Ort bleiben kann, sind sie nirgendwo heimisch geworden. | |
| Die Mutter hat sich vor langer Zeit aus dem Staub gemacht. Als der Roman | |
| beginnt, hat Ámbar sich gerade in ihrer aktuellen Schule gut eingelebt, da | |
| geraten der Vater und sein bester Freund in einen Hinterhalt. Der Freund | |
| stirbt, und Víctor macht sich auf den Weg quer durch den Norden | |
| Argentiniens, um den Mörder zu suchen und blutig Rache zu üben. Und Ámbar | |
| muss wie immer mit. | |
| In Ich-Perspektive erzählt Nicolás Ferraro diesen als schräges Roadmovie | |
| beginnenden Thriller sehr glaubhaft aus Sicht der jugendlichen | |
| Protagonistin, die in vieler Hinsicht vor ihrer Zeit erwachsen werden | |
| musste und nicht nur mit Waffen umgehen kann, sondern auch weiß, wann sie | |
| ihre knospenden körperlichen Reize einsetzen sollte, um die Aufmerksamkeit | |
| potenzieller Feinde von ihrem Vater abzulenken. | |
| In anderer Hinsicht ist sie aber noch ganz Kind und abhängig von dem, was | |
| Víctor unter väterlicher Fürsorge versteht. Viele Stunden verbringt sie | |
| allein in schäbigen Hotelzimmern und wartet darauf, dass irgendwann ihr | |
| trotz allem geliebter Papá von wo auch immer zurückkommt und vielleicht | |
| sogar etwas zu essen mitbringt. Fast immer ist es nur ein belegtes | |
| Sandwich. | |
| ## Ein ganz normaler Teenager | |
| Aber alles ändert sich, als sie sich in einem abgelegenen Ort und in einem | |
| heruntergekommenen Haus einquartieren, an das Ámbar sich dunkel aus früher | |
| Kindheit erinnert. Nun bleibt der Vater tagelang verschwunden und die | |
| Tochter erlebt ein paar eigene Abenteuer extrem unterschiedlicher Art. Wie | |
| ein ganz normaler Teenager verliebt sie sich in einen Jungen, erfährt ein | |
| paar sehr wichtige Dinge über ihren Vater und hat eine lebensbedrohliche | |
| Begegnung, von der sie Víctor nichts erzählen wird, um nicht in einem | |
| vermeintlich sicheren Hotelzimmer eingeschlossen zu werden. | |
| Wenn es am Ende zu einem Showdown kommt, bringt die große Abrechnung einige | |
| Überraschungen mit sich – vor allem für die Ich-Erzählerin, deren | |
| endgültiger Abschied von der Kindheit damit besiegelt ist. | |
| Das Besondere an diesem Roman ist nicht einmal sein perfekter | |
| Spannungsaufbau, das können viele. „Ámbar“ ist weit mehr als | |
| Spannungsliteratur, weil es Nicolás Ferraro seltsamerweise gelingt, einen | |
| ziemlich brutalen Action-Thriller (manche nennen das „noir“) mit einer | |
| einfühlsam geschriebenen Coming-of-Age-Geschichte zu amalgamieren. Das muss | |
| man erst mal schaffen. | |
| Trotz aller Sensibilität bei der Gestaltung der Erzählperspektive aber mag | |
| die Lektüre für manch zartbesaitete Naturen vielleicht eher weniger | |
| geeignet sein. Wenn dieser Roman irgendwann verfilmt werden sollte – und | |
| dazu eignet er sich sehr gut –, wird die Requisite jedenfalls größere | |
| Mengen an Theaterblut, Gummi-Hirnmasse und künstlichen ausgeschlagenen | |
| Zähnen bereithalten müssen. | |
| 5 May 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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