# taz.de -- Laurent Binets Krimi „Perspektiven“: Ein ermordeter Maler und f… | |
> Die Medici, ein Ermittler und die Intrige einer französischen Königin: | |
> die Spannung zwischen Historischem und Fiktiven macht dieses Buch so | |
> reizvoll. | |
Bild: Jacopo da Pontormo, Skizze eines sitzenden Jungen | |
Man schreibt das Jahr 1557. Der Maler Jacopo da Pontormo wird tot neben | |
seinem unvollendeten letzten Werk aufgefunden, den Fresken in der | |
Florentiner Kirche San Lorenzo. Erstochen mit seinem eigenen Meißel, | |
erschlagen mit seinem eigenen Hammer. Warum? Und von wem? Giorgio Vasari | |
macht sich auf die Suche nach potenziellen Tätern oder Täterinnen und ihren | |
Motiven … | |
Der in diesem Roman als Ermittler fungiert, ist eine fiktive Version des | |
echt gelebt habenden Giorgio Vasari, seines Zeichens Architekt, Künstler | |
und wichtigster [1][zeitgenössischer Chronist] der italienischen | |
Renaissance. Bei Laurent Binet wird er außerdem zum Chronisten dieses frei | |
erfundenen historischen Mordes; denn Binets Roman ist ein Briefroman. | |
Außer Vasari und verschiedenen Künstlerkollegen, mit denen er | |
korrespondiert, treten als BriefschreiberInnen Familienmitglieder der | |
Medici und weitere ZeitgenossInnen auf, denn neben der Mordermittlung | |
durchzieht ein weiterer wichtiger Handlungsstrang den Roman: eine Intrige | |
der französischen Königin Catherine de Médicis gegen ihren Cousin Cosimo | |
Medici, dem sie seine Machtstellung in Florenz neidet. Unschuldiges Opfer | |
dieser Intrige wird jedoch Cosimos liebreizende siebzehnjährige Tochter | |
Maria sein. | |
Zwei Verbrechen also, und keines davon, so viel darf verraten werden, wird | |
letztlich gesühnt, auch wenn der Mörder Pontormos am Ende gesteht. Laurent | |
Binet, der nicht nur Schriftsteller, sondern auch studierter Historiker | |
ist, hat mit „Perspektiven“ ein formal gewitztes kriminalistisches | |
Gedankenexperiment entworfen und zu einem über den Dingen stehenden | |
pseudohistorischen Roman verdichtet. | |
## Zwei Verbrechen, keines wird gelöst | |
Pseudohistorisch auch insofern, als die Briefschreiber umstandslos in | |
heutiger Umgangssprache formulieren (es ist anzunehmen, dass die amüsant zu | |
lesende Übersetzung von Kristian Wachinger darin dem Original folgt). | |
Ansonsten aber geht der Roman weitgehend korrekt mit Daten und Fakten um. | |
Ein Seitenspaß für kunsthistorisch Interessierte sind die ästhetischen | |
Auseinandersetzungen, die zur Zeit des florentinischen Manierismus die | |
Künstlerszene beschäftigten und die Binet deutlich herausstellt. | |
Unter den Fresken, die der ermordete Pontormo nicht mehr vollenden konnte, | |
ist nämlich auch eine (berühmt gewordene) Darstellung der Sintflut, auf der | |
ein Haufen toter Menschenkörper in so erbärmlicher Nacktheit gemalt ist, | |
dass diese Drastik dem prüden Zeitgeist zuwiderlaufen musste. Nicht nur die | |
frömmelnde Fürstin Medici, sondern auch Pontormos Biograf Vasari hat an | |
dessen Kunst und Lebensweise viel auszusetzen. | |
Als Gegenpole treten die Künstlerkollegen Cellini und Michelangelo auf: | |
Cellini, ein (historisch verbürgter) notorischer Gewalttäter, fungiert im | |
Roman als williger Gehilfe der intriganten Königin Frankreichs und geht | |
dabei über Leichen. Der alte Michelangelo wiederum, der im fernen Rom | |
mühsam an der [2][Sixtinischen Kapelle] werkelt, wird in seiner | |
Korrespondenz mit Vasari von diesem wie ein weiser Ratgeber angesprochen – | |
eine Rolle, die der Alte letztlich selbst ad absurdum führen wird. | |
## Spannender Briefroman | |
Der Reiz des Romans liegt in der frechen Projektion von historischen Fakten | |
und Personen in eine offensive Fiktion und in der Spannung zwischen beidem. | |
Diese entfaltet sich über den Zusammenhang der Briefe, in der | |
Kontrastierung zahlreicher unterschiedlicher Erzähl-„Perspektiven“. Um die | |
Perspektive in der Malerei geht es hingegen eigentlich gar nicht, doch sehr | |
überraschend hat sie ganz am Ende doch noch einen wirksamen Auftritt: als | |
handlungssteuerndes und todbringendes Element. | |
Die Feststellung, dass dieser Roman als Ganzes hochgradig konstruiert | |
daherkommt, die Künstlichkeit seines Handlungsaufbaus dabei ausstellend, | |
ist nicht als Kritik zu werten, sondern als Anerkennung der künstlerischen | |
Konsequenz des Autors. Denn genau damit beweist er einen absolut | |
kongenialen Umgang mit seinem Gegenstand. | |
4 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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