# taz.de -- Yves Ravey „Taormina“ Kurzroman: Fahrerflucht in Strandnähe | |
> Ein Paar versucht mit einem Urlaub seine Beziehung zu kitten. Es ist ein | |
> beklemmender Ausflug in das Innenleben eines notorischen Vermeiders. | |
Bild: Dieser Urlaub steht unter keinem guten Stern | |
Schon auf der ersten Seite wird deutlich, dass dieser Urlaub unter keinem | |
guten Stern steht. In wenigen Sätzen umreißt der Ich-Erzähler eine Szene: | |
Ein Paar im Auto, schweigend. Er fährt, während sie im Sizilien-Reiseführer | |
liest. Kurz vor der Trennung habe das Paar gestanden, erfahren wir, und | |
dass der Erzähler große Hoffnungen in den gemeinsamen Urlaub setzt. | |
Dem Wunsch seiner Frau Luisa gehorchend, die gleich nach Ankunft das Meer | |
sehen will, fährt er von der Autobahn ab und gerät auf eine unwegsame | |
Schotterpiste. Bei der Rückkehr ist es schon dunkel; und als der Wagen | |
plötzlich mit etwas kollidiert, hält der Fahrer kurz an, fährt aber dann | |
weiter – trotz der Einwände Luisas, die umkehren möchte. | |
Es ist nicht ganz leicht, die Handlungsweise des Ich-Erzählers | |
nachzuvollziehen; vor allem, da wir am Anfang noch so wenig über das Paar | |
wissen. Im Folgenden jedenfalls unternimmt er alles, um zu verhindern, dass | |
er mit jenem mysteriösen Rums – es könnte ein Hund gewesen sein, mutmaßt | |
die Frau – in Verbindung gebracht wird, und fährt gleich wieder ab von der | |
Autobahn, um nicht bei einer Kontrolle angehalten zu werden. | |
## Unfall mit Fahrerflucht | |
Da es nun schon Nacht ist, übernachtet das Paar im Auto und kommt einen Tag | |
zu spät im Hotel an. Dort findet sich ein Kellner, der bereit ist, eine | |
Werkstatt ausfindig zu machen, die keine Fragen stellt. Am folgenden Tag | |
liest Luisa in der Zeitung über einen tödlichen Unfall mit Fahrerflucht: | |
Ein Kind von in Strandnähe zeltenden Migranten ist im Dunkeln überfahren | |
worden. Und wie sich zeigen wird, ist die Polizei dem flüchtigen Täter | |
schon auf der Spur … | |
Es ist ein beklemmender Ausflug in das Innenleben eines notorischen | |
Vermeiders, den Yves Ravey uns mit diesem Roman erleben lässt. Im Laufe der | |
Handlung runden immer mehr Informationen das Bild des Ich-Erzählers ab, der | |
offenbar vom Geld seiner Frau lebt; denn Luisa ist in leitender Stellung | |
tätig und stammt außerdem aus reichem Elternhaus. | |
Der Erzähler selbst ist nicht nur arbeitslos, sondern scheint regelrecht | |
arbeitsscheu zu sein. Nun im Urlaub aber versucht er umso verzweifelter, | |
der Gattin zu zeigen, dass er alles unter Kontrolle hat. Dabei kennt er | |
keinerlei moralische Skrupel. | |
## Atemberaubend beklemmend | |
Die Atmosphäre dieses [1][Kurzromans], der vor unterdrückter Spannung fast | |
platzt, ist atemberaubend beklemmend. Die narrative Binnenlogik allerdings | |
scheint nicht immer ganz schlüssig: Hätte das Lektorat einen | |
Continuity-Check vorgenommen, hätte zum Beispiel jemandem auffallen müssen, | |
dass der Erzähler, der des Italienischen nur rudimentär mächtig ist, | |
keineswegs in der Lage sein dürfte, ein aus einem Versteck heraus | |
belauschtes Gespräch unter sizilianischen Polizisten zu verstehen. | |
Auch das passive Verhalten der Frau hat ein muffiges 50er-Jahre-Flair und | |
passt nicht wirklich zur skizzierten Ehesituation. Aber solche | |
Anforderungen an realistische Erzählweisen beiseitegelassen, ist die | |
Noir-Anmutung des Settings sehr eindrucksvoll. Der Übergang zwischen | |
Unrecht und Verbrechen, führt der Autor vor, kann ungemein fließend sein. | |
Und vor der atemberaubenden Szenerie Siziliens, die regelmäßig erzählerisch | |
ins Bild gerückt wird, nimmt das Kriminelle sich ja immer besonders schön | |
finster aus. | |
2 Sep 2023 | |
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[1] https://www.liebeskind.de/buecher/neuerscheinungen/item/taormina | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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