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# taz.de -- Neuer Krimi von Graham Norton: Ein Schwimmer verschwindet
> Mysteriöses Verschwinden im irischen Cork: In „Der Schwimmer“ von Graham
> Norton ermittelt eine charmante 72-jährige Hobbydetektivin.
Bild: Strand in West-Cork, Irland
Wenn irgendjemand es nicht mehr nötig haben sollte, mit dem Schreiben von
Romanen reich und berühmt zu werden, so ist es Graham Norton. Norton, ein
schwuler protestantischer Ire mit englischer Schauspielausbildung, hat es
als Fernsehmoderator und -produzent im englischsprachigen Raum zu immenser
Popularität und beträchtlichem Wohlstand gebracht. Und nun schreibt er seit
einigen Jahren auch noch Bücher und ist damit ebenso erfolgreich.
Gleich sein erster Kriminalroman (die deutsche Übersetzung kam 2018 unter
dem Titel „Ein irischer Dorfpolizist“ heraus) wurde in [1][Irland] zum
besten Roman des Jahres gekürt. „Der Schwimmer“, soeben auf Deutsch
erschienen, ist Nortons viertes Buch. Einen Roman kann man es kaum nennen,
es ist in Form und Umfang eine Novelle – perfekt gebaut und überaus
unterhaltsam.
Was im Einzelnen so wunderbar daran gelungen ist, lässt sich nicht
vollständig auserklären, ohne eine Menge vom Inhalt zu spoilern. Das gehört
sich aber nicht, denn es handelt sich um eine Kriminalgeschichte; daher
muss die würdigende Darstellung der Form unvollständig bleiben.
Wer also ist der Schwimmer? Und was geschah mit ihm? Das sind die zentralen
Fragen, an denen der Autor sein Figurenpersonal einmal umeinander herum und
um sich selbst dreht. Hauptfigur ist die pensionierte Lehrerin Helen, die
gehofft hat, sich nach Beendigung ihres langen anstrengenden Schuldienstes
noch viele beschauliche Jahre in dem Häuschen machen zu können, das sie an
einem entlegenen Küstenstrich der Grafschaft Cork gekauft hat. Leider hat
sie ihre nicht sehr geliebte Schwester nicht daran hindern können, bei ihr
einzuziehen, und mit der Beschaulichkeit ist es deshalb nicht mehr so weit
her.
## Rat und Hilfe aus dem Pub
Als Helen nun eines Abends allein vor ihrem Haus sitzt, kommt ein Mann
vorbei, den sie kurz danach in der nahe gelegenen Bucht schwimmen gehen
sieht. Dann macht Helen ein Schläfchen. Als sie viel später aufwacht, liegt
noch immer die Plastiktüte am Strand, die der Schwimmer bei sich hatte, von
ihm selbst aber ist nichts mehr zu sehen. Helen gerät in große Aufregung
und beschließt, sich zunächst im Pub Rat und Hilfe zu holen.
Zu wichtigen Nebenfiguren werden im Folgenden der junge Barkeeper des Pubs,
mit dem die Heldin ab diesem Zeitpunkt eine Freundschaft unterhält, die
regelmäßige Schachspiele und unterdrückte romantische Gefühle einschließt,
sowie Helens eitle Schwester Margaret. Weitere Figuren mit etwas Text sind
ein Polizist sowie eine nicht allzu sehr trauernde Witwe eines vermissten
Mannes. Fertig. Und als sich am Ende herausstellt, dass nichts so sein
muss, wie es scheint, hat Helen sich (selbst)erkenntnismäßig ein gutes
Stück weiterbewegt.
Mit seiner 72-jährigen Hobbydetektivin hat Graham Norton eine überaus
charmante Hauptfigur geschaffen, die auch über ihre eigene Peergroup
(patente ältere Damen in dicken Strickpullovern) hinaus hohes
Identifikationspotenzial besitzt, weil ihr menschenfreundlicher Autor sie
so lebensnah zeichnet und nicht zuletzt mit einer Menge ambivalenter
Gefühle ausstattet.
Helens Bedürfnisse und Schwächen, Neigungen und Abneigungen sind allgemein
menschliche und uns allen vertraut. Das macht es leicht, auch in
ausgesprochen altersspezifischen Aspekten, die nicht jede LeserIn selbst
betreffen (etwa Befürchtungen, die Polizei würde sie ihres vorgerückten
Alters wegen nicht ernst nehmen) mit der unspektakulären Heldin
mitzufühlen.
Und letztlich ist es genau das, worum es hier geht. Der kriminalistische
Plot ist auf klassische Art schön und gut gemacht, aber letztlich doch nur
das Motiv, an dem die sympathische Protagonistin wachsen kann. Und auch
wenn das jetzt ernsthaft kitschig klingt: Ans Herz wachsen tut sie einem
dabei ebenso.
8 Aug 2023
## LINKS
[1] /Pilotprojekt-in-Irland/!5905808
## AUTOREN
Katharina Granzin
## TAGS
Krimi
England
wochentaz
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Kriminalliteratur
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