# taz.de -- Autor über Italo-Pop: „Sommerhits sind Handwerkskunst“ | |
> In seinem Buch „Ciao Amore, Ciao“ schreibt Eric Pfeil über Italo-Pop. | |
> Anhand von 100 Songs verknüpft er Musik mit Politik, Religion und | |
> Aberglaube. | |
Bild: Nicht immer ist es mit Gelato getan, aber manchmal schon: Autor Eric Pfei… | |
taz: Eric Pfeil, ihr neues Buch heißt „Ciao, Amore Ciao“. Heißt es nach d… | |
italienischen Rechtsaußen-Erfolgen bei den Europawahlen etwa langsam „Ciao“ | |
zu sagen? | |
Eric Pfeil: Das frage ich mich auch ständig. Wenn wir über Italien im | |
Speziellen reden, ist das Merkwürdige, dass Ministerpräsidentin Meloni nach | |
außen hin extrem pro-europäisch auftritt und auch die Ukraine unterstützt. | |
taz: Also läuft doch alles gut in Italien? | |
Pfeil: Natürlich nicht. Ich sage bei meinen Lesungen immer: Wer wissen | |
will, was passiert, wenn Stramm-Rechte an die Macht kommen, muss einen | |
Blick nach Italien werfen. Zum einen arbeitet Meloni an einer Reform des | |
Wahlrechts, sie strebt eine Direktwahl beim Ministerpräsidentenamt an. Das | |
wäre eine Vollkatastrophe, wenn das eintreten würde. Was in Rom außerdem | |
eher leise und perfide vor sich geht, ist ein Sägen an den Strukturen beim | |
öffentlich-rechtlichen Rundfunk RAI. Man bekommt das hierzulande kaum mit: | |
Vor anderthalb Monaten sollte ein italienischer Autor in einer Sendung | |
auftreten, der Medientheoretiker Antonio Scurati, der eine Linie von | |
Mussolini und den jetzigen Fratelli d’Italia, der Partei Melonis, ziehen | |
wollte. Daraufhin wurde er auf Druck von oben ausgeladen. | |
taz: Passt der Vergleich zwischen damals und heute überhaupt? | |
Pfeil: Melonis Partei Fratelli D'Italia wird hier als postfaschistische | |
Gruppierung bezeichnet. Das sind einfach Neofaschisten. Meloni gibt die | |
Staatsfrau, aber der Rest tickt anders. La Russa, der Senatspräsident, | |
sammelt Mussolini-Büsten und zeigt offen seine Sympathie in dem er auch mal | |
den ‚römischen Gruß‘ empfiehlt. Dann ist da Francesco Lollobrigida, der | |
Schwager von Meloni, der wirklich diese Umvolkungsgeschichte glaubt. Die | |
Fratelli sind trotzdem jetzt Teil dieser konservativen Familie im | |
Europäischen Parlament, und werden von CSU-Mann Manfred Weber und Ursula | |
von der Leyen umworben. Das ist die Realität in Europa. | |
taz: In Ihrem neuen Buch erzählen Sie in 100 Songs über Italien – und eben | |
nicht nur von Gelato, sondern auch von Politik, der Katholischen Kirche und | |
dem Aberglauben. Warum stoßen Sie trotz profunder Italienkenntnisse immer | |
wieder an Ihre Grenzen? | |
Pfeil: Ich werde oft mit ordentlichen Autoren, die in Italien leben, in | |
einem Atemzug genannt. Meine Perspektive ist jedoch eine | |
Seitenlinienperspektive, eine Draufschau eines Außenstehenden. Ich empfinde | |
gerade diese Perspektive als sehr reizvoll, weil die einen bestimmten | |
Sound, ein Unterlaufen von Klischees überhaupt erst ermöglicht. Manchmal | |
sind es die Italiener*innen selbst, die noch das letzte Klischee | |
umarmen. Dann komme ich, das schreibe ich auch am Anfang, als Schwärmer und | |
Beschwörer ins Bild. Ich beschwöre gerne eine Utopie von einem Italien, das | |
sich für mich idealisiert in einer bestimmten Phase erzählt. Sagen wir, von | |
den 1960ern, über die 1970er, bis in die frühen 1980er hinein – als | |
Berlusconi die Privatsender gegründet hat. | |
taz: Apropos Berlusconi: Dem „widmen“ Sie ein Lied, nämlich eines von | |
seiner Lieblingsdiva Ornella Vanoni.Pfeil: Berlusconi ist ein Symbol von | |
Widersprüche-aushalten-können, was man in Italien perfektioniert hat. Wo | |
selbst Feminist*innen dem übergriffigen Frauenhelden und Sexist die | |
Ehre erwiesen haben. Es war gar nicht so einfach, über ihn zu schreiben. | |
Mein Kapitel über Berlusconi, da gab es Stimmen, die gesagt haben, er käme | |
zu gut weg. Das finde ich nicht. Nur, ich habe gedacht, wenn ich jetzt alle | |
Berlusconi-Witze hintereinander aufschreibe, – Stichwort Bunga-Bunga –, | |
bringt das nichts. Das musste ich unterlaufen, weil das Berlusconi-Bild in | |
Deutschland schrecklich eindimensional ist. Man beschäftigt sich gar nicht | |
mit seiner Politik, sondern nur mit der vermeintlichen Witzfigur, aber der | |
hat das Land politisch und moralisch ausgehöhlt. Das wollte ich erzählen! | |
taz: Aber die Aushöhlung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks hat | |
Berlusconi nicht alleine zu verantworten! | |
Pfeil: Die hat bereits zum Zeitpunkt der Entführung von Aldo Moro, 1978 | |
angefangen. Damals ist die Zweite Republik gescheitert und Berlusconi | |
konnte sich allmählich als Retter Italiens aufspielen. Das hat er wirklich | |
auf eine avantgardistische Weise gemacht und die Blaupause geliefert, die | |
Trump und Orban heute bedienen: Verächtlichmachung von Andersdenkenden und | |
Homosexuellen, Diskriminierung von Frauen, von Leuten, die irgendwie | |
subtiler denken und so weiter. Ich finde Berlusconi sehr schrecklich. Nur | |
man muss ja eher erzählen, was die Italiener*innen an ihm mögen, weil | |
das ja für uns so unvorstellbar ist. | |
taz: Nennen bitte Sie ein Beispiel? | |
Pfeil: Der Sänger Adriano Celentano, selbst Kritiker Berlusconis von Tag | |
Eins an, hat es folgendermaßen formuliert: Berlusconi habe die kuriose | |
Natur der Italiener vollumfänglich verkörpert. Die schlimmsten und die | |
besten Seiten zugleich. | |
taz: „War Berlusconi eines der Desiderate, die Sie zum Schreiben von „Ciao | |
Amore, Ciao“ inspirierten?“ | |
Pfeil: Beim ersten Buch dachte ich: [1][Das wird jetzt ein Selbstgänger, | |
ich schreibe ein Buch über Italo-Pop, ein Thema, das mir sehr naheliegt.] | |
Da blieben aber viele wichtige Sachen unerwähnt, weil für sie bei der | |
Niederschrift über das Grundsätzliche kein Platz war. Zum Beispiel | |
Berlusconi. Oder der aufkeimende Faschismus. | |
taz: Wo Faschismus ist, ist in Italien glücklicherweise immer auch der | |
Antifaschismus. Sie zeigen das anhand des Gassenhauers [2][„Bella | |
Ciao“].Pfeil: Ja, ein Beispiel aus dem Dezember 2023, als die Saison er | |
Mailänder Scala eröffnet wurde. Nachdem das Orchester die Nationalhymne | |
gespielt hat, ruft jemand in den Saal: „Viva l’Italia antifascista!“. | |
Adressaten dieser Aktion sind Matteo Salvini von der Lega und eben Ingnazio | |
Benito La Russa von den Fratelli. Es gibt hierzulande diese dämonische | |
Erzählung von den neuen Faschisten, die vollkommen zutrifft. Was aber kaum | |
bekannt ist, dass es in Italien eine Zivilgesellschaft gibt, die dagegen | |
angeht. Oder ein aktuelles Beispiel vom Festival in Sanremo: Ein linker | |
Journalist fragt bei der Pressekonferenz den Moderator: ‚Sie haben gesagt, | |
das Festival wäre auf Wunsch der RAI unpolitisch?‘ Auf die Bestätigung von | |
Seiten des Podiums, fragt der Journalist nach: ‚Aber würden Sie denn an | |
dieser Stelle sagen, dass Sie Antifaschist sind?‘ Moderator und | |
Festivalleiter bestätigen das, daneben sitzt der Co-Moderator, der Sänger | |
Marco Mengoni, und bekennt sich ebenfalls zum Antifaschismus. Und als | |
nächstes singt der gesamte Pressesaal „Bella Ciao“. Solche Momente werden | |
in Deutschland nicht rezipiert. | |
taz: Sie haben gerade vom Schlagerfestival Sanremo gesprochen. Was macht es | |
so besonders? | |
Pfeil: Sanremo, ältester Gesangswettbewerb Europas, ist einfach monströs, | |
wofür es mehrere Gründe gibt: Zum einen, ist es das Aushängeschild der | |
wichtigsten Handwerkskunst Italiens, nämlich der Herstellung von | |
Sommerhits. Ein weiterer Punkt ist das schiere Ausmaß: 1951 von einem | |
Blumenhändler ins Leben gerufen, läuft das Festival seither alljährlich. | |
Fünf Tage lang, Einschaltquoten liegen etwa bei 16 Millionen, Tendenz | |
steigend. Jung und Alt schauen das, auch die, die nicht gucken, sind an | |
Bord, weil sie sonst nicht in der Bar mitreden können. [3][Das | |
Entscheidende ist die kulturelle Bedeutung, denn in Sanremo wird wirklich | |
der Puls gemessen]. Da wird alles verhandelt, was gerade in Italien eine | |
Rolle spielt. Was man nicht nur bei der eben angesprochenen Pressekonferenz | |
sehen konnte. Vor zwei Jahren trat Schauspieler Roberto Benigni auf und | |
hielt eine Lobrede auf die italienische Verfassung. Es gab auch Auftritt | |
von Aktivistinnen gegen Femizide in Italien, [4][der Autor Roberto Saviano | |
sprach über die Bedrohung durch die Mafia] – bei einem Gesangswettbewerb, | |
zur besten Sendezeit, vor der gesamten Nation. Diese Gleichzeitigkeit von | |
allem, was das Land bewegt, das verkörpert Sanremo. | |
taz: Und dann ist da der Mythos um den Song, der Ihrem Buch den Titel | |
spendierte … | |
Pfeil: Ja, der Song stammt von Luigi Tenco: Der Star geht auf die Bühne von | |
Sanremo, singt sein Lied „Ciao Amore, Ciao“, qualifiziert sich nicht für | |
das Finale, kehrt ins Hotelzimmer zurück und begeht Suizid. Das ist | |
sicherlich die extremste Sanremo-Geschichte; aber beileibe nicht die | |
Einzige. Und – ich habe Luigi Tencos Geschichte bereits im ersten Buch, | |
„Azzuro“, erwähnt – so traurig sie ist, sie ist nur eines von vielen | |
Puzzlestücken, um dieses widersprüchliche Land zu verstehen. | |
6 Aug 2024 | |
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[1] /Buch-ueber-Italiens-Popmusik/!5859104 | |
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## AUTOREN | |
Lars Fleischmann | |
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