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# taz.de -- Vier erfolgreiche Klimaklagen: Für das Klima vor Gericht
> Gegen die Bundesregierung, gegen RWE oder gegen Shell: Weltweit klagen
> Aktivisten für mehr Klimaschutz. Vier relevante Beispiele im Detail.
Bild: Donald Pols, Chef der niederländischen Umwelt-NGO Milieudefensie, jubelt…
Wer an Aktivismus für den Klimaschutz denkt, hat oft die Straße als Ort der
Auseinandersetzung vor Augen, vielleicht noch die Parlamente für hitzige
Debatten und schärfere Gesetze. Doch auch in Gerichtssälen wurden in den
vergangenen Jahren wegweisende Entscheidungen getroffen – in Deutschland
und international. Vier Beispiele zeigen, wie weitreichend juristische
Entscheidungen sein können.
## Wenn ein Dammbruch droht
Bereits 2018 hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm festgestellt, dass
Klimaschäden grundsätzlich eine Unternehmenshaftung begründen können. Jetzt
muss es in einem konkrten Anwendungsfall urteilen – mit einem Kläger aus
einem viele tausend Kilometer entfernten Land.
Denn der peruanische Bauer Saúl Luciano Lliuya hat den deutschen
Kohlekonzern RWE wegen dessen [1][Beitrag zur Klimaerhitzung] verklagt. Er
lebt in den Anden, wo die [2][Gletscher rasant schmelzen]. Oberhalb seines
Dorfes ist dadurch ein See stark angeschwollen. Die Anwohner fürchten, dass
der Damm brechen und eine Flutwelle ihre Häuser wegspülen könnte. Deshalb
pumpen sie Wasser ab, was Geld kostet.
Jetzt muss das OLG Hamm entscheiden, ob RWE für Klimaschäden haftbar
gemacht werden kann. Der Essener Kohlekonzern, so die Argumentation, sei
mit seinem Ausstoß von Treibhausgasen maßgeblich mitverantwortlich für das
Abschmelzen der Andengletscher. Auf das Konto von RWE gingen 0,47 Prozent
aller weltweiten Treibhausgas-Emissionen. Diesen Anteil soll RWE auch an
den Kosten der Vorsichtsmaßnahmen für Saúl Luciano Lliuyas Andendorf
tragen. Es geht nur um einige tausend Euro, an sich ein verschwindend
geringer Betrag für den Konzern, der für das Jahr 2023 einen
Jahresnettogewinn von 4,5 Milliarden Euro vermeldete. Doch [3][bekäme Saúl
Luciano Lliuya Recht,] hätte das eine Signalwirkung. So könnten etwa auch
untergehende Inselstaaten wie die Malediven den Konzern auf Schadensersatz
verklagen. Für RWE wäre das ein Dammbruch und kaum finanzierbar.
Zuletzt hatten Gutachter den See in den Anden untersucht. „Es geht um die
Frage, ob der Damm tatsächlich zu bersten droht“, erläutert Bernhard
Kuchler, Sprecher des Gerichts. Kläger und Beklagte hätten nun umfangreiche
Anmerkungen an das Gutachten gemacht, die zu erörtern seien. Kuchler: „In
diesem Jahr wird es wohl keinen Verhandlungstermin mehr geben.“
## Das Volk gegen den Ölgiganten
Beim Bündnis „Das Volk gegen Shell“ aus den Niederlanden ist der Name
Programm. Mehr als 17.000 Bürgerinnen und Bürger schlossen sich mit sieben
Umweltschutzgruppen zusammen und [4][verklagten im Jahr 2020 den
Fossilkonzern Royal Dutch Shell].
Die Mitglieder sehen Klimaschutz als elementares Recht. Das niederländische
Unternehmen sei einer der weltweit größten Produzenten fossiler
Brennstoffe, argumentierten die Kläger, die Treibhausgas-Emissionen von
Shell seien höher als die vieler Staaten. Während Staaten durch das
Paris-Protokoll zum Klimaschutz verpflichtet sind, heize Shell den
Klimawandel weiter an. Damit gefährde der Konzern die Umwelt und sogar das
Recht auf Leben.
Die [5][Klage war erfolgreich]: Das Bezirksgericht Den Haag verdonnerte den
Konzern im Mai 2021 dazu, seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um
mindestens 45 Prozent gegenüber dem Jahr 2019 zu senken.
Ein sensationelles Urteil, denn die Pflicht zum Klimaschutz gilt nicht nur
für die eigenen Unternehmungen, sondern auch für Zulieferer und
Endabnehmer. Die Richter argumentierten: Die Shell-Gruppe müsse die in der
Gesellschaft übliche Sorgfalt beachten, unterbleibe eine Reduzierung,
[6][laufe Shell Gefahr], die angeführten Menschenrechte zu verletzen.
Passiert ist nach der Klage jedoch für den Klimaschutz erst mal nichts.
Shell [7][ging in Berufung], die Verhandlungen laufen derzeit in den
Niederlanden.
Trotzdem wurde Shell zum Handeln gezwungen, wenn auch nicht im Sinne der
Anklage. Der Konzern verlegte seinen Firmensitz nach London – und entzog
sich so der niederländischen Vollstreckbarkeit. Zuletzt fuhr der Konzern,
der jetzt Shell plc heißt, mit seinem Fossilgeschäft Rekordgewinne von 42
Milliarden Dollar ein.
## Die Bundesregierung auf der Anklagebank
[8][Unzureichende Klimaschutzpolitik] beeinträchtigt die Freiheits- und
Grundrechte künftiger Generationen – das entschied 2021 das
Bundesverfassungsgericht. Deshalb ist Reduktion von Treibhausgasen
verfassungsrechtlich notwendig und darf [9][nicht länger hinausgezögert]
werden. Als Folge musste die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz von 2019
nachbessern und mehr Tempo beim Klimaschutz machen. Geklagt hatten neun
Jugendliche, unterstützt von Umweltorganisationen wie Germanwatch,
Greenpeace und Protect the Planet.
Weil die Bundesregierung trotz verschärftem Gesetz aber immer noch keinen
vernünftigen Klimaschutz betreibt, verklagte die Deutsche Umwelthilfe die
Ampelkoalition vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Im
November 2023 bekam sie zum ersten Mal Recht, die Richter verpflichteten
die Bundesregierung, „gesetzeskonforme Klimaschutz-Sofortprogramme in den
Sektoren Gebäude und Verkehr“ umzusetzen. Im vergangenen Jahr verfehlten
die Bereiche Verkehr und Bau ihre Ziele an Emissionseinsparung, zu denen
sie nach dem Klimaschutz-Gesetz verpflichtet sind.
Doch statt Sofortprogramme aufzulegen, änderte die Bundesregierung einfach
das Gesetz: Sektorengrenzen gibt es jetzt nicht mehr. Die Umweltbewegung
wirft der Regierung eine Verwässerung vor. Greenpeace, Germanwatch, der
BUND und andere legten neuerlich Verfassungsbeschwerde ein.
Und dann ist da noch das Urteil aus dem Mai, das die Deutsche Umwelthilfe
vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erstritt: Demnach ist das
von der Ampelkoalition [10][2023 beschlossene Klimaschutz-Programm
rechtswidrig], weil mit ihm die im Klimaschutzgesetz festgelegten Ziele
nicht erreicht werden können. Allerdings ist das Urteil noch nicht
rechtskräftig. Statt es als Motor für Klimaschutzpolitik zu nutzen, ging
ausgerechnet der bündnisgrüne Klimaschutzminister Habeck in Revision.
## Im Land des unbegrenzten Rechtsstreits
Mehr als die Hälfte aller weltweiten Klimaklagen werden in den USA
eingereicht. Spektakulär war beispielsweise ein [11][Urteil im Bundesstaat
Montana im Jahr 2023]. Geklagt hatten sechzehn Menschen im Alter zwischen 5
und 22 Jahren – Vertreter der Generation, die besonders stark unter dem
Klimawandel leiden wird. Mit der Genehmigung von Öl- und Gasprojekten
verstoße die Regierung des Staates gegen das verfassungsmäßige [12][Recht
der Kläger:innen] auf eine saubere und gesunde Umwelt. Die Kläger
gewannen: Ab sofort muss in Montana, das besonders für seine Bodenschätze
bekannt ist, bei jeder Genehmigung zur Förderung von Öl oder Gas auch der
Klimaaspekt berücksichtigt werden.
In Kalifornien wiederum ist die Regierung nicht Angeklagte, sondern
Klägerin gegen mehrere Ölfirmen. Die Konzerne wüssten seit
Jahrzehnten, dass ihre Geschäftspraktiken „katastrophale Folgen“ für
Mensch und Atmosphäre haben – deswegen sollten sie jetzt selbst [13][für
die Kosten aufkommen], die sie durch die Klimaerhitzung verursacht haben.
Der Fall hat neben der eigentlichen Zerstörung noch eine zweite Ebene:
Kalifornien fordert zusätzlich harte Geldstrafen von BP, Chevron,
ConocoPhillips und Exxon, weil die Konzerne die Öffentlichkeit belogen
haben und schon „seit mehr als 50 Jahren wissen, wie gefährlich die von
ihnen produzierten fossilen Brennstoffe sind“, wie es Kaliforniens
Gouverneur Gavin Newsom formulierte. Ausdrücklich angeklagt ist außerdem
der Lobbyverband American Petroleum Institute. Die im September 2023
eingereichte 135-seitige Klageschrift wird am Superior Court in San
Francisco verhandelt.
Das Beispiel aus Kalifornien zeigt, dass auch Staaten für mehr Klimaschutz
den Klageweg beschreiten können. Dafür müssen sie allerdings auch selbst
engagierten Klimaschutz betreiben.
12 Jul 2024
## LINKS
[1] /Studie-zu-Klimafolgen-in-Peru/!5749078
[2] /Internationale-Studie-zur-Klimakrise/!5769092
[3] /Bauer-aus-Peru-verklagt-RWE/!5352984
[4] /Shell-vor-Gericht/!5999034
[5] /Bahnbrechendes-Urteil-in-Den-Haag/!5769975
[6] /Konzern-will-Oelfeld-nicht-erschliessen/!5817273
[7] /Shell-vor-Gericht/!5999034
[8] /Reform-des-Klimaschutzgesetzes/!6003633
[9] /Nach-Klimaspruch-aus-Karlsruhe/!5769218
[10] /Klimaklage-der-Deutschen-Umwelthilfe/!6007820
[11] /Klimaklage-in-den-USA/!5950075
[12] /Anwalt-ueber-Klimaklagen/!5954750
[13] /Klimaklage-in-den-USA/!5960681
## AUTOREN
Nick Reimer
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