# taz.de -- Haushaltsentwurf der Ampelkoalition: Auf dem Rücken der Vergessenen | |
> In der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe soll stark | |
> gekürzt werden. Das trifft vor allem Länder, für die wenig gespendet | |
> wird. | |
Bild: Eine Frau sammelt Wasser in einem Lager für Binnenflüchtlinge im Kongo:… | |
BERLIN taz | Bei der Humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit wird | |
in dem Entwurf zum Haushalt 2025 stark gekürzt. Kommende Woche soll dieser | |
vom Kabinett beschlossen werden. Während das Verteidigungsministerium eine | |
Milliarde mehr erhält, sind im [1][Bundesentwicklungsministerium] (BMZ) | |
rund eine Milliarde weniger vorgesehen. Auch [2][im Auswärtigen Amt (AA)] | |
sollen hunderte Millionen gespart werden. | |
Starke Kürzungen gab es bereits 2022 und 2023. Kommt der Haushalt durch, | |
wäre das Budget für Humanitäres innerhalb dieser Legislaturperiode um ein | |
Viertel gekürzt. „Immerhin ist es gelungen, handlungsfähig zu bleiben“, | |
sagte Entwicklungsministerin [3][Svenja Schulze (SPD)] am Montag. | |
Gleichzeitig wisse sie, dass die Bundesregierung eigentlich noch viel mehr | |
tun sollte. Entwicklungshilfeorganisationen schlagen hingegen Alarm. | |
„Wir erleben eine weltweite Krise der Demokratie“, sagte Dagmar Pruin, | |
Präsidentin der christlichen Entwicklungsorganisation Brot für die Welt bei | |
der Vorstellung des Jahresberichts am Donnerstag in Berlin. | |
Entwicklungszusammenarbeit sei ein wichtiger Schlüssel, um dem Vormarsch | |
von Autokratien entgegenzuwirken. Ihre Partnerorganisationen beschreiben, | |
was es für sie bedeutet, wenn der Globale Norden seine Investitionen | |
zurückfährt: „Die Schwächsten der Gesellschaft werden noch mehr an den Rand | |
gedrückt“. | |
Bei den Kürzungen gehe es nicht um abstrakte Zahlen, sondern „sehr konkret | |
um Menschen“, betont am Mittwoch auch die christliche Hilfsorganisation | |
Caritas auf ihrer Jahreskonferenz in Freiburg. „Unsere Mitarbeitenden sind | |
zu 99 Prozent lokale Helferinnen und Helfer. Sie stehen vor Ort mit ihrem | |
ganzen Leben im Kreuzfeuer“, so deren Präsidentin Eva Welskop-Deffaa. | |
„Nicht wenige haben selbst ihre Wohnung verloren, mussten vor Gewalt und | |
Krieg fliehen“. Die Organisation rechnet mit einem Einbruch von 30 bis 40 | |
Prozent an Geldern auf Grund der Budgetkürzungen im AA und BMZ. | |
Einen Antrag von 4,3 Millionen Euro für die Humanitäre Hilfe in Gaza lehnte | |
das Auswärtige Amt kürzlich mit Verweis auf die Unsicherheit im Haushalt | |
ab. „Das ist sehr bitter“, sagte Welskop-Deffaa, denn dort gebe es einer | |
der größten humanitären Katastrophen dieser Zeit. „Die 90 bis 100 | |
Lastwagen, die im Durchschnitt täglich mit Hilfsgütern in das Krisengebiet | |
hineinkommen, sind viel zu wenige.“ Das sei nicht einmal ein Fünftel der | |
Ladungen, die vor dem Krieg in den Gazastreifen kamen. | |
Gleichzeitig ist der Bedarf massiv gestiegen. UN Schätzungen zu Folge sind | |
rund 2 Millionen Menschen vertrieben. Auch drei Mitarbeitende der Caritas | |
seien seit Beginn des Kriegs ums Leben gekommen. Nur zwei von 50 | |
Mitarbeitenden lebten noch in ihren Häusern, berichtet die Organisation. | |
Gleichzeitig gibt es zu wenig Spendeneinnahmen, um den gestiegenen Bedarf | |
zu decken. Für „politisch aufgeladene“ Kriege würde deutlich weniger | |
gespendet als etwa für Opfer von Naturkatastrophen, so Welskop-Deffaa. | |
Rund 60 Prozent der 110 Millionen Euro, die Caritas 2023 ausgegeben hat, | |
stammen von Spender*innen. | |
Die Kürzungen in der Humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit | |
treffen aber besonders Länder, für die es wenig Spenden gibt. Denn die | |
Finanzierungslücke wird meist mit öffentlichen Mitteln beglichen. Das ergab | |
auch [4][eine Umfrage vom Verband der Entwicklungsorganisationen Venro] vom | |
Mai von 150 Organisationen, die in der humanitären Hilfe und | |
Entwicklungszusammenarbeit tätig sind. Dazu gehören vor allem „vergessene | |
Krisen“: Angola, die Demokratischen Republik Kongo, Burundi und Burkina | |
Faso etwa, die wenig öffentliche Aufmerksamkeit bekommen. Auch | |
Lateinamerika sei betroffen. Die Angriffe auf die Zivilgesellschaft in den | |
autoritären Staaten Nicaragua, Venezuela oder El Salvador geschehe | |
weitgehend abseits der Medienöffentlichkeit. Dadurch gerate die | |
zivilgesellschaftliche Arbeit doppelt unter Druck, heißt es in dem Bericht: | |
„Es wird weniger gespendet, obwohl die Arbeit schwieriger geworden ist.“ | |
Caritas bestätigt die Lage: Im Kongo sollen ab August Hilfsprojekte enden, | |
die 150.000 Menschen mit mobilen Kliniken, Latrinen und Trinkwasser | |
versorgt haben. „Unsere Gesprächspartner im Auswärtigen Amt sehen den | |
großen Hilfebedarf“, sagt Oliver Müller, der Leiter von Caritas | |
international. Aber ihnen fehlen nach den Budgetkürzungen durch das | |
Finanzministerium schlichtweg die Mittel. Das sei fatal. Denn auch „im | |
Sinne unserer eigenen Stabilität“ müsse daran gelegen sein, Krisenländer | |
„nicht weiter zu destabilisieren“. | |
Dagmar Pruin von Brot für die Welt warnt vor Deutschlands | |
„Schneckenhaus-Mentalität“, die ein „erschreckendes Ausmaß“ angenommen | |
habe. Die Präsidentin der evangelischen Entwicklungsorganisation verweist | |
auf einen „jahrzehntelangen überparteilichen Konsens, dass Deutschland eine | |
starke Entwicklungspolitik braucht“ – begründet aus seiner gewaltvollen | |
Geschichte und der „Notwendigkeit von Kooperation und Partnerschaft“. | |
Im [5][Koalitionsvertrag] der Ampel-Parteien hieß es noch, Deutschland | |
werde Mittel für humanitäre Hilfe „bedarfsgerecht verstetigen und erhöhen�… | |
auch mit Blick auf die sogenannten vergessenen Krisen. Und: Die Gelder für | |
Krisenprävention, Humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit sollen | |
im gleichen Maße wie die Ausgaben für Verteidigung steigen. Dort ist auch | |
von „internationaler Abrüstung und Rüstungskontrolle“ die Rede. | |
11 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Leila van Rinsum | |
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