# taz.de -- Ministerin über Entwicklungspolitik: „Arbeiten an Win-win-Situat… | |
> Bei der Entwicklungszusammenarbeit gehe es auch um geostrategische | |
> Interessen, sagt Svenja Schulze. Sie warnt vor dem steigenden Einfluss | |
> Russlands. | |
Bild: Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) informiert sich über nachhal… | |
taz: Frau Schulze, waren Sie schon mal in Peru mit dem Rad unterwegs? | |
Svenja Schulze: Nein, ich war in Peru nicht mit dem Rad unterwegs. Aber auf | |
der Münchner Sicherheitskonferenz habe ich mit dem Außenminister von Peru | |
gesprochen. Der war sehr irritiert, dass das Thema „Geld für Radwege in | |
Peru“ in Deutschland so große Wellen schlägt. | |
Warum irritiert? | |
Weil es für ihn völlig klar ist, dass es dem Klimaschutz dient, wenn wir in | |
Peru, wo jährlich 500.000 Autos, Busse, Lastwagen und Motorräder neu | |
zugelassen werden, umweltfreundlichere Verkehrskonzepte fördern. | |
Die Rede war von 315 Millionen Euro, [1][die die Ampel angeblich für | |
Fahrradwege in Peru ausgibt], während das Geld hier fehlt. In Wirklichkeit | |
geht es um 44 Millionen Euro reine Zuschüsse für Projekte, die zum Teil | |
noch unter CSU-Minister Gerd Müller vereinbart worden sind. Warum werden | |
solche Fake News dennoch aufgegriffen? | |
Das wird gezielt verbreitet und ist interessengeleitet. Es passt zum | |
Beispiel sehr gut in die AfD-Erzählung, wonach Deutschland kein Geld mehr | |
hat und sich aus der internationalen Zusammenarbeit zurückziehen soll. | |
Passend dazu verbreiten die Handlanger Russlands übrigens gerade in | |
afrikanischen Ländern das Narrativ: Der Westen engagiert sich nicht mehr | |
für euch. | |
Selbst die CSU hat diese Erzählung auf Social Media aufgegriffen. Hat Sie | |
das überrascht? | |
Ja. Es gab über Jahrzehnte den Konsens, dass es absolut sinnvoll ist, in | |
Entwicklungszusammenarbeit zu investieren. Davon haben sich Teile von CSU | |
und CDU offenbar verabschiedet. | |
Wie wollen Sie diesen Diskurs wieder einfangen? | |
Wir informieren und klären seriös auf. Und wir benennen die Interessen | |
hinter den Kampagnen. Denn es geht bei Entwicklungszusammenarbeit natürlich | |
auch um geostrategische Interessen. Da, wo der Westen sich zurückzieht, | |
geht Russland rein. Das konnte man gerade in Burkina Faso sehen. | |
Sie haben es [2][nach dem Putsch] kürzlich zum ersten Mal besucht. | |
Es war mir wichtig, dieses Zeichen zu setzen und Gesprächskanäle zu öffnen. | |
Denn momentan spielt Russland in Burkina Faso eine sehr starke Rolle. | |
Überall waren Russlandfahnen zu sehen. Russland hat ein Interesse daran, | |
dass sich Deutschland, Europa und die USA aus der Sahelregion zurückziehen. | |
Es gibt dort viele Rohstoffe – Gold, Uran und Phosphat. Und die Region ist | |
ein Drehkreuz für Migration nach Nordafrika und Europa. Es wäre falsch, ein | |
Land wie Burkina Faso aus Mangel an Alternativen weiter in die Arme | |
Russlands zu treiben. Darum war ich da und habe über unsere weitere | |
Zusammenarbeit gesprochen. | |
Ihr Ministerium verbreitet offiziell die Botschaft: Wir wollen helfen beim | |
Kampf gegen Armut und den Klimawandel. Müssen Sie jetzt stärker | |
kommunizieren, dass Deutschland das auch aus Eigeninteresse macht? | |
Ich finde es selbstverständlich, dass wir solidarisch sind und weltweit zum | |
Beispiel dabei helfen, das Pariser Klimaschutzabkommen umzusetzen. Das | |
werde ich weiter sagen – auch wenn es dafür momentan kaum Gehör gibt. Aber | |
darüber hinaus sollten sich angesichts der schwierigen Haushaltsdebatte | |
alle bewusst machen: Wir reden beim Entwicklungsetat auch über die Basis | |
von Wohlstand und Frieden in Deutschland. Unser jahrzehntelanges | |
solidarisches Auftreten und das Engagement in der Völkergemeinschaft haben | |
unser Land stark gemacht. | |
Welche Rolle spielt Deutschland in puncto Entwicklungspolitik neben China | |
und Russland überhaupt noch? | |
Viele Entwicklungsländer sind sehr viel selbstbewusster, als viele hier | |
denken, und suchen sich ihre Partner aus. Von Russland kriegen sie Waffen | |
und von China große Infrastrukturprojekte, die allerdings den Nachteil | |
haben, dass die Chinesen ihre Arbeiter oft selber mitbringen und zudem die | |
Schuldenabhängigkeit meist größer wird. | |
Also auch deutsche Waffen an Entwicklungslä nder? | |
Nein – nicht als Rezept. Aber wir sollten den Ländern nicht vorschreiben, | |
was gut für sie ist, sondern an anderer Stelle bessere Angebote machen. | |
Hat Deutschland wirklich die besseren Angebote? | |
Die deutsche Entwicklungspolitik ist sehr geschätzt, und meine | |
Gesprächspartner sagen mir sehr deutlich, sie wollen mehr davon. Was in | |
einem Land wie Burkina Faso nicht so einfach ist, weil es dort noch keine | |
gewählte Regierung gibt. | |
Sie müssten mit einer Militärregierung zusammenarbeiten. Wie passt das zur | |
wertegeleiteten Außenpolitik? | |
Der größere Teil der Menschheit lebt nun mal nicht in Demokratien, sondern | |
in Autokratien. | |
Die Deutschland indirekt mitfinanziert. | |
Das ist eine Gratwanderung. Deshalb arbeiten wir in Ländern wir Burkina | |
Faso derzeit nicht mehr mit der politischen Führung, sondern mit Behörden, | |
lokalen Akteuren und Nichtregierungsorganisationen zusammen. Es ist sehr | |
leicht, das zu diskreditieren. Aber wir dürfen in diesen Ländern nicht ein | |
oder zwei Generationen ganz aufgeben. | |
Entwicklungspolitik folgt nach wie vor kolonialen Strukturen. Wieso werden | |
für Projekte in Somalia deutsche Studierende gesucht, statt Frauen vor Ort | |
zu unterstützen, die bereits in dem Feld arbeiten? | |
Die meisten Expertinnen, die unsere GIZ (Deutsche Gesellschaft für | |
Internationale Zusammenarbeit; d. Red) beschäftigt, kommen aus den Ländern | |
selbst. Aber auch wenn man Expertinnen in Deutschland sucht, die vor Ort | |
unterstützen, ist das nicht automatisch kolonial. In der beruflichen | |
Bildung zum Beispiel fragen Partnerländer immer wieder nach Know-how aus | |
Deutschland. Soll ich denen eine Absage erteilen? | |
Nehmen wir das Weltwärtsprogramm, mit dem etwa Abiturient*innen, die | |
keinerlei Ausbildung haben, in anderen Ländern als Lehrer*innen | |
eingesetzt werden. Wird so nicht ein Narrativ der “weißen Retter“ | |
reproduziert? | |
Die Welt braucht mehr und nicht weniger Austausch. Ich finde es gut, wenn | |
junge Leute über den Tellerrand gucken, eine Zeit lang in anderen Ländern | |
leben und die Sichtweise der Menschen dort kennenlernen und mitnehmen. Das | |
gilt natürlich auch für die Freiwilligen, die aus den Partnerländern nach | |
Deutschland kommen. Diesen Ansatz verfolge ich übrigens auch mit der | |
African-European-Leadership-Academy: Junge Leute aus beiden Kontinenten | |
kommen bei uns zusammen zur Weiterbildung, zum Netzwerken. | |
Wie wichtig ist die Rohstoffsicherung für Deutschland in der | |
Entwicklungspolitik? | |
Wir arbeiten an Win-win-Situationen: Bis jetzt werden viele Rohstoffe aus | |
Entwicklungsländern nach China exportiert. Dort werden sie verarbeitet, und | |
Länder wie Deutschland kaufen die Endprodukte dann von China. Besser wäre | |
es, die Rohstoffe bereits dort weiterzuverarbeiten, wo sie abgebaut werden. | |
Das würde Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Entwicklungsländern schaffen. | |
Es wäre aber auch gut für Deutschland, denn dann gäbe es mehr mögliche | |
Lieferanten und weniger einseitige Abhängigkeit von China. | |
Ganz so uneigennützig ist es ja nicht, [3][Deutschland will grünen | |
Wasserstoff zum Beispiel für die eigene Stahlproduktion nutzen,] obwohl | |
Stahlwerke ja auch in Kenia gebaut werden könnten. | |
In Kenia stammt jetzt schon rund 90 Prozent des Stroms aus erneuerbaren | |
Quellen. Für den Fall, dass Kenia mehr erneuerbare Energien hat, als es | |
selber braucht, wollen wir der Partner des Vertrauens sein, an den sie dann | |
liefern. | |
Aber in der Realität ist es für Kenias Elite attraktiver, zu exportieren, | |
als die eigene Bevölkerung mit Strom zu versorgen. | |
Die sogenannten Eliten – also zum Beispiel der Staatspräsident Ruto – haben | |
mir genau das Gleiche wie Sie vorgeschlagen: Lasst uns doch auch Stahl hier | |
produzieren. Wir arbeiten jetzt schon mit der kenianischen Regierung daran, | |
was man mit grünem Wasserstoff vor Ort machen kann: Düngemittel produzieren | |
zum Beispiel. Denn Düngemittel sind teuer auf dem Weltmarkt, und Hunger ist | |
ein großes Problem im Land. Natürlich will ich auch, dass Wasserstoff für | |
die Energiewende nach Deutschland importiert wird, aber diese Reihenfolge | |
ist mir lieber. | |
Sie müssen sich gerade nach allen Seiten verteidigen. Die einen finden, | |
dass Deutschland sich zu uneigennützig verhalte, für die anderen sei es | |
eigennützig. | |
Ja, das gehört offenbar zur Jobbeschreibung der Entwicklungsministerin. | |
Aber konkurrieren die verschiedenen Ziele Ihrer Arbeit nicht miteinander? | |
Auf der einen Seite fördern Sie Kleinbäuer*innen und auf der anderen | |
neoliberale Handelsabkommen, etwa die europäischen Partnerschaftsabkommen … | |
Viele Entwicklungsländer haben ein Interesse an Handelsabkommen mit uns – | |
wie zum Beispiel Kenia. Alles, was wir tun, hat das Ziel, nachhaltige | |
Wertschöpfung und gute Arbeit zu schaffen, gerade dort, wo die größte | |
Jugendgeneration dringend nach Arbeit sucht. | |
Aber in der Regel profitieren große Unternehmen, die eine schlechte | |
Klimabilanz haben. | |
Es gibt große und kleine Unternehmen mit guten und schlechten | |
Klimabilanzen. Die Aufgabe ist, dass alle sich auf den Weg machen, | |
klimaneutral zu wirtschaften. Mit Entwicklungspolitik können wir | |
Partnerländern dabei helfen, die Transformation einzuleiten, auch wenn sie | |
noch nicht unsere Wirtschaftskraft haben. Die internationale Politik | |
insgesamt ist aber noch nicht genug darauf ausgerichtet, Unterschiede | |
zwischen Arm und Reich auszugleichen. Es fließt mehr Geld aus ärmeren | |
Ländern ab als in sie hinein. | |
Entwicklungspolitik ist quasi systemfremd? | |
Sie trägt dazu bei, Dinge zu verbessern. Je struktureller wir arbeiten, | |
desto besser. Ein gutes Beispiel ist das europäische Lieferkettengesetz. | |
[4][Das jetzt doch kommt, obwohl Deutschland blockiert]. Der Kompromiss ist | |
jetzt total entkernt. Wie sauer sind Sie auf die FDP? | |
Der Kompromiss ist ein guter Anfang. Er wird konkrete Verbesserungen | |
bringen für die Menschen, für die das Gesetz gemacht wird: die | |
Arbeiterinnen und Arbeiter, die unter schwierigsten Bedingungen zu | |
niedrigsten Löhnen für uns produzieren. Die zur Arbeit gezwungenen Kinder, | |
die nicht zur Schule gehen können. Oder die Menschen, denen | |
Umweltzerstörung die Lebensgrundlage entzieht. Darum ist dieser Beschluss | |
für mich ein Grund zur Freude, auch wenn Deutschland wegen der FDP nicht | |
mitstimmen konnte. Den Schaden haben wir nicht wegen des neuen | |
Lieferkettengesetzes, sondern weil in Brüssel jetzt gelernt wird, dass man | |
Kompromisse besser ohne Beteiligung Deutschlands schließt. | |
[5][Im vergangenen Jahr mussten Sie 1 Milliarde im Haushalt einsparen]. | |
Welche Folgen hat das? | |
Wir haben weniger Geld für den Kampf gegen Hunger. Das betrifft leider auch | |
das Welternährungsprogramm, das in schwierigen Zeiten Großes leistet. Und | |
wir haben viel zu wenig Geld für die zivile Unterstützung der Ukraine, von | |
der Stromversorgung bis zu Unterkünften für Binnenvertriebene. Ich finde | |
das falsch, denn die Ukraine braucht mehr als nur Waffen, um im Krieg zu | |
bestehen. Das ist auch nicht in unserem Interesse. | |
Im nächsten Jahr sollen noch einmal 1 Milliarde Euro im Entwicklungsetat | |
gekürzt werden. | |
Wir sind ganz am Anfang der Haushaltsverhandlungen. Nichts ist beschlossen. | |
In einer Weltlage, in der wir dringend auf mehr Zusammenarbeit angewiesen | |
sind, brauchen wir mehr und nicht weniger Geld für | |
Entwicklungszusammenarbeit. Wer das nicht sieht, läuft Gefahr, Deutschlands | |
Ansehen – und auch unseren Wohlstand – zu verspielen. Kürzungen halte ich | |
nicht für sinnvoll. | |
Aber Christian Linder schon? | |
Der FDP ist die Schuldenbremse sehr wichtig. Aber die notwendige | |
Unterstützung für die Ukraine lässt sich nicht einfach so aus einem | |
normalen Haushalt bezahlen. Darum sollten wir die Schuldenbremse so | |
verändern, dass Deutschland in diesen außergewöhnlichen Kriegszeiten | |
handlungsfähig bleibt. | |
Dann hätte Deutschland auch mehr Geld für Entwicklungsländer. Können Sie | |
ihn überzeugen? | |
Es kommt jetzt sehr darauf an, wie die gesellschaftliche Debatte läuft. | |
Wenn sich der Diskurs in der gesamten Gesellschaft weiter nach rechts | |
verschiebt, dann wird es schwierig für die Solidarität in Deutschland und | |
weltweit. Alle demokratischen Parteien sollten es sich zur Aufgabe machen, | |
die zunehmende Propaganda aus der rechtsradikalen Ecke für einen Rückzug | |
ins Nationale und Egoistische wieder zurückzudrängen. | |
19 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Projekt-der-Bundesregierung/!5982613 | |
[2] /Staatsstreich-in-Burkina-Faso/!5885318 | |
[3] /Bundeskanzler-in-Afrika/!5932564 | |
[4] /EU-Staaten-fuer-Lieferkettengesetz/!5998529 | |
[5] /Bundeshaushalt-2024/!5977484 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Leila van Rinsum | |
## TAGS | |
Svenja Schulze | |
Entwicklungshilfe | |
Burkina Faso | |
Russland | |
China | |
Wasserstoff | |
Haushalt | |
Peru | |
GNS | |
Entwicklungspolitik | |
Haushaltsdebatte | |
Entwicklungspolitik | |
Lieferketten | |
Russland | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Entwicklungsforscher über Wirksamkeit: „Die Debatte ist teils populistisch“ | |
Dass in Deutschland über Entwicklungspolitik diskutiert wird, findet | |
Experte Jörg Faust positiv, wenn die Debatte fundiert ist. Wie evaluiert | |
man? | |
Haushaltsstreit der Ampel-Koalition: Schulze kriegt die Krise | |
Finanzminister Lindner will sparen. Entwicklungsministerin Schulze betont | |
deutsche Interessen, um Kürzungen in der Entwicklungspolitik abzuwenden. | |
Entwicklungshilfe aus Deutschland: Ein letztes Mal Top-Geber | |
Aktuelle OECD-Daten zeigen: Deutschland gehört zu den größten Gebern für | |
humanitäre Hilfe und Entwicklung. Doch das wird sich wohl ändern. | |
Experte zu EU-Lieferkettengesetz: „Europa übernimmt Verantwortung“ | |
Obwohl die FDP blockierte, kommt die EU-Lieferketten-Richtlinie. Sie macht | |
die Arbeitsbedingungen weltweit besser, sagt Völkerrechtler Markus | |
Krajewski. | |
Wagner-Nachfolger in Afrika: Afrikahilfe auf russische Art | |
Wagner war nur ein Vorspiel: „Afrikakorps“ heißt Russlands neue Einheit, | |
die Moskaus Interessen dort durchsetzen soll. Der Deal: Waffen gegen Gold. | |
Präsidentschaftswahl in Russland: Die 87-Prozent-Inszenierung | |
Putin nutzt das Ergebnis von 87 Prozent Zustimmung für die Mär vom „einigen | |
Russland“. Den toten Oppositionellen Nawalny nennt er erstmals beim Namen. | |
Reaktionen auf Wahl in Russland: Nur die AfD gratuliert Putin | |
Bundeskanzler Olaf Scholz sendet Wladimir Putin keine Glückwünsche. | |
Deutschland und die EU halten seine Wiederwahl nicht für rechtmäßig. |