# taz.de -- Experte zu EU-Lieferkettengesetz: „Europa übernimmt Verantwortun… | |
> Obwohl die FDP blockierte, kommt die EU-Lieferketten-Richtlinie. Sie | |
> macht die Arbeitsbedingungen weltweit besser, sagt Völkerrechtler Markus | |
> Krajewski. | |
Bild: Die Arbeitsbedingungen, wie hier in einer Mine im Kongo, könnten besser … | |
taz: Weil die FDP die EU-Lieferkettenrichtlinie monatelang blockierte, | |
waren Nachverhandlungen nötig – mit dem [1][Ergebnis, dass der Text nun | |
schwächer] ausfällt. Ist er trotzdem in Ordnung? | |
Markus Krajewski: Ja, die Richtlinie ist auch so akzeptabel. Man kann über | |
die Details streiten, doch insgesamt haben die Verhandlungen [2][keine | |
schlimmen Änderungen] verursacht. Wenn die meisten Unternehmen die | |
Richtlinie umsetzen, wovon ich ausgehe, werden sich die Arbeitsbedingungen | |
weltweit zum Positiven verändern. | |
Nun müssen sich aber weniger Unternehmen an die Regeln halten, weil | |
Mindestumsatz und Mitarbeiterzahl angehoben wurden. Außerdem gelten lange | |
Übergangsfristen, bis die Richtlinie in Kraft tritt. Ist das keine | |
erhebliche Abschwächung? | |
Das ist nicht schön. Tatsächlich werden tausende Unternehmen nicht unter | |
die Richtlinie fallen, die sich sonst daran hätten orientieren müssen. | |
Trotzdem wurde die Grundstruktur beibehalten. Sehr wichtig erscheint mir, | |
dass die hiesigen Betriebe künftig zivilrechtlich haftbar sein werden. | |
Was bedeutet diese Haftung genau? | |
Wenn eine europäische Firma mitverantwortlich ist für einen Schaden, den | |
Beschäftigte eines Zulieferers erleiden, dann haftet sie bald dafür. Sie | |
kann in ihrem Heimatland, etwa Italien, Deutschland oder Dänemark, auf | |
Schadensersatz verklagt werden. Das ist eine deutliche Verbesserung. | |
Muss Deutschland die strengere EU-Regelung übernehmen? | |
Das [3][deutsche Lieferkettengesetz] muss entsprechend verschärft werden. | |
Bisher ist die zivilrechtliche Haftung darin nicht enthalten. | |
Der Sinn der EU-Richtlinie besteht ja darin, dass europäische Firmen | |
künftig auf die sozialen und ökologischen Menschenrechte der Beschäftigten | |
ihrer globalen Zulieferer achten müssen. Wie könnte sich das außerdem | |
konkret auswirken? | |
Die Unternehmen, die unter die Richtlinie fallen, müssen zum Beispiel einen | |
Beschwerdemechanismus einrichten. Wenn Beschäftigte in Asien keinen Lohn | |
erhalten, können sie sich etwa per Mail an die hiesige Firma wenden. Diese | |
sollte dann mit ihrem Zulieferer Kontakt aufnehmen, damit der Missstand | |
abgestellt wird. Im deutschen Lieferkettengesetz gibt es dieses Verfahren | |
schon. Aus meiner Zusammenarbeit mit Unternehmen weiß ich, dass sie es | |
überwiegend ernst nehmen. Künftig wird diese Regelung auch für Betriebe in | |
anderen EU-Mitgliedsstaaten gelten. | |
Das hiesige Lieferkettengesetz ist in manchen Punkten strenger als die | |
kommende EU-Richtlinie. So gibt es in Deutschland bisher keine Untergrenze | |
für den Umsatz, so dass hier zur Zeit mehr Firmen erfasst sind. Muss | |
Deutschland auch diesen schwächeren EU-Standard übernehmen? | |
Nein, strengere nationale Regeln brauchen nicht an niedrigere EU-Vorgaben | |
angepasst zu werden. Aber es kann passieren, dass Wirtschaftsverbände oder | |
FDP das verlangen. | |
Was halten Sie von der Kritik mancher Wirtschaftsverbände, die Richtlinie | |
würde einheimische Unternehmen überfordern? | |
Nicht viel. Sicher, sie müssen sich umstellen und oft auch neue Verfahren | |
einführen. Aber das Entscheidende ist, dass EU-Firmen sich darum bemühen, | |
die Menschenrechte in ihren Zulieferfirmen zu gewährleisten. Können Sie | |
dieses Bemühen nachweisen, haben sie die wesentliche Pflicht schon erfüllt. | |
Die Diskussion über die schlechten Zustände in den weltweiten | |
Zulieferfabriken begann vor etwa 30 Jahren. Das hing mit der Globalisierung | |
zusammen. Europäische Unternehmen verringerten ihre hiesige Produktion und | |
verlagerten sie in Länder mit niedrigeren Kosten und weniger | |
menschenrechtlichem Schutz. Kann man sagen, dass Europa dieser Entwicklung | |
nun sozialen Fortschritt entgegensetzt? | |
Bisher haben Unternehmen und Verbraucher:innen von den oft schlechten | |
Zuständen in den Ländern des globalen Südens profitiert. Jetzt wird sich | |
Europa endlich seiner Verantwortung bewusst. Das kostet Geld – bessere | |
Arbeitsbedingungen sind nicht zum Nulltarif zu bekommen. Wenn die | |
Zulieferer beispielsweise die Löhne erhöhen, schlägt sich das in den | |
Preisen der Produkte nieder. Einen Teil davon werden die | |
Konsument:innen bezahlen. | |
Außerdem will die EU den Marktzugang für Produkte erschweren, die in | |
Verbindung mit Zwangsarbeit hergestellt wurden. Dabei geht es zunächst | |
vornehmlich um die Fertigung in der chinesischen Provinz Xinjiang. Werden | |
soziale Standards neuerdings auch zum Hebel in der geoökonomischen | |
Auseinandersetzung mit autoritären Systemen? | |
Die USA haben bereits eine solche Regelung gegen Zwangsarbeit. Ob das | |
soziale Anliegen besserer Arbeits- und Umweltbedingungen sowie die neue | |
Geopolitik Hand in Hand gehen, ist noch nicht abzusehen. Möglich erscheint | |
das jedoch: Wir sehen ja auch die Tendenz, Staaten als Handelspartner zu | |
bevorzugen, die die eigenen Werte teilen. | |
Mit der EU-Lieferketten-Richtlinie zeigt sich auch, dass Europa und der | |
Westen die Lebensbedingungen weltweit beeinflussen können. | |
Als eine der großen Wirtschaftsregionen der Welt hat die EU ökonomische | |
Macht. Diese kann sie negativ nutzen. Oder positiv – wenn sie Verantwortung | |
übernimmt. | |
20 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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