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# taz.de -- EU-Staaten für Lieferkettengesetz: Deutschland überstimmt
> Überraschung! Beim EU-Lieferkettengesetz gibt es eine Einigung, und zwar
> trotz des Widerstands in der FDP. Jetzt hagelt es Kritik.
Bild: Risikosektor Textilindustrie: Arbeiterinnen in einer Fabrik in Dhaka in B…
Brüssel dpa/taz | So richtig zufrieden ist keiner. Von einem „Rückschlag
für Europas Wettbewerbsfähigkeit“ sprach der Bundesverband der deutschen
Industrie (BDI), die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung, die „die
Menschenrechte in den Mittelpunkt des eigenen Handelns stellen“ wollte,
habe im langen Ringen um das europäische Lieferkettengesetz gelitten,
schrieb Amnesty International. Nach viel Hü und Hott unterstützt [1][eine
ausreichende Mehrheit der EU-Staaten ein abgeschwächtes europäisches
Lieferkettengesetz] zum Schutz der Menschenrechte. Das teilte die belgische
Ratspräsidentschaft am Freitag mit. Damit wurde Deutschland überstimmt, das
sich im Ausschuss der ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten enthielt.
Eine Enthaltung in dem Gremium wirkt wie eine Nein-Stimme.
In der Bundesregierung drängte die FDP lange darauf, dass Deutschland nicht
zustimmt. Die Liberalen befürchten etwa, dass sich Betriebe aus Angst vor
Bürokratie und rechtlichen Risiken aus Europa zurückziehen. Politiker von
SPD und Grünen befürworten das Vorhaben hingegen. Die Unstimmigkeiten
hatten zu einem offenen Schlagabtausch in der Ampel-Koalition geführt.
Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten hatten sich
[2][bereits im Dezember auf ein Lieferkettengesetz geeinigt]. Damit sollen
große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von
Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen
müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr
Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Pariser Abkommen zum Klimawandel
vereinbar sind. Das EU-Parlament muss dem Vorhaben noch zustimmen. Hier
gilt eine Mehrheit als wahrscheinlich.
Weil die Einigung aus dem Dezember zunächst keine ausreichende Mehrheit
unter den EU-Staaten gefunden hatte, wurde das Vorhaben noch mal deutlich
abgeschwächt. Statt wie ursprünglich geplant, soll es etwa nicht mehr für
Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Millionen Euro
Umsatz gelten.
## Geltungsbereich wurde abgeschwächt
Die Grenze wurde den Angaben zufolge auf 1.000 Beschäftigte und 450
Millionen Euro angehoben – nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren. An
diesen Geltungsbereich soll sich stufenweise herangetastet werden. Nach
einer Übergangsfrist von drei Jahren sollen die Vorgaben zunächst für
Firmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro
Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinkt die Grenze auf 4.000
Mitarbeitende und 900 Millionen Umsatz. Die EU-Kommission soll eine Liste
der betroffenen Nicht-EU-Unternehmen veröffentlichen. Für sie könnten die
Vorgaben gelten, wenn sie mit ihrem Geschäft einen bestimmten Umsatz in der
EU erzielen.
Zudem wurden demnach sogenannte Risikosektoren gestrichen, also
Wirtschaftszweige, in denen das Risiko für Menschenrechtsverletzungen höher
bewertet wird, wie etwa in der Landwirtschaft oder der Textilindustrie.
Dort hätten auch Unternehmen mit weniger Mitarbeitenden betroffen sein
können. Vorgesehen ist aber weiterhin, dass Unternehmen vor europäischen
Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von
Menschenrechtsverletzungen profitieren.
Deutschland hat bereits ein Lieferkettengesetz. Die EU-Version geht aber
trotz der Abschwächungen über dessen Vorgaben hinaus. So ist im deutschen
Gesetz ausgeschlossen, dass Unternehmen für Sorgfaltspflichtverletzungen
haftbar sind.
## Grüne kritisieren FDP
Die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im EU-Parlament, Anna Cavazzini,
kritisierte: „Deals zwischen Regierungen und immer weitere Abschwächungen
eines ausgehandelten Texts haben das etablierte Gesetzgebungsverfahren
missachtet und das Europaparlament düpiert.“ Die FDP habe ihre
Blockadehaltung bis zum Schluss beibehalten, obwohl der vorgeschlagene
Kompromiss ihren Forderungen entgegengekommen sei. Ein Bundeskanzler, der
einen solch großen Schaden zu verantworten habe, sollte seinen
europapolitischen Kompass prüfen, so die Grünen-Politikerin.
Die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn sagte der Deutschen Presse-Agentur:
„Unterm Strich bleibt das Lieferkettengesetz praxisfern, weil grundlegende
Probleme, wie unklare Haftungsregeln außerhalb des eigenen Einflussbereichs
bestehen bleiben.“ Es sei aber der FDP zu verdanken, dass das Gesetz an
vielen Stellen verbessert worden sei.
Die Richtlinie beruhe „auf wirklichkeitsfremden Vorstellungen und bürdet
Unternehmen uneinlösbare Pflichten auf, die einen enormen bürokratischen
Aufwand verursachen“, schrieb auch der BDI. Aufgrund „rechtsunsicherer
Bestimmungen und dadurch drohender Sanktions- und Haftungsrisiken könnten
sich Unternehmen aus wichtigen Drittländern zurückziehen“, fürchtet der
Industrieverband. Menschenrechten und Umweltschutz werde „durch den Rückzug
europäischer Unternehmen kein Dienst erwiesen“.
Die Regelung werde „positive Auswirkungen auf die Menschenrechte bei
Unternehmensaktivitaten weltweit haben“, meinte hingegen Amnesty
International. „Bitter“ sei jedoch, „dass sich Deutschland enthalten hat,
nachdem es zuvor für massive Verschlechterungen im Gesetzestext gesorgt
hat. „ Das Gesetz gelte „nun zunächst nur noch für schätzungsweise 0,01
Prozent der europäischen Unternehmen“, kritisierte die Umwelt- und
Menschenrechtsorganisation Germanwatch.
Die Reduzierung des Anwendungsbereichs auf Unternehmen mit mehr als 1.000
Beschäftigten und der Verzicht auf die Nennung von Risikosektoren, sei ein
Fortschritt, lobte hingegen der Chemie-Arbeitgeberverband BAVC. „Unter dem
Strich“ bleibe „die Richtlinie ungeeignet, sowohl Menschenrechte besser zu
schützen als auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft
sicherzustellen“.
15 Mar 2024
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## AUTOREN
Kai Schöneberg
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