# taz.de -- EU-Lieferkettengesetz kommt: Das letzte Glied einer langen Kette | |
> Eine Mehrheit im EU-Parlament für die Richtlinie scheint sicher. Sie | |
> verspricht mehr Rechte für die Beschäftigten in Fabriken und auf | |
> Plantagen – weltweit. | |
Bild: Textilarbeiter:innen in Gazipur, Bangladesch, im Februar | |
Nach längerem Hin und Her scheint die [1][Lieferketten-Richtlinie der | |
Europäischem Union auf gutem Weg zu sein]. Warum ist das wichtig? | |
Wenn sie sich für sozialen und ökologischen Fortschritt interessieren, | |
können Verbraucher:innen bald etwas beruhigter einkaufen. Denn die Lage | |
der Beschäftigten in den weltweiten Zulieferfabriken und auf den Plantagen | |
des Südens dürfte sich in einigen Jahren wohl etwas verbessern. Es ist | |
nicht unwahrscheinlich, dass die Löhne steigen, weniger schulpflichtige | |
Kinder Kaffeebohnen pflücken und die Wasserverschmutzung im Umkreis von | |
Bergwerken abnimmt. Andererseits könnten Produkte wie Textilien oder | |
Lebensmittel dadurch in hiesigen Geschäften aber auch um einige Cent oder | |
Euro teurer werden. Diese Folgen sind zu erwarten, weil die EU kurz davor | |
ist, ihre Richtlinie für Unternehmensverantwortung zu beschließen. Große | |
Firmen in der EU wären dann verpflichtet, sich um die sozialen und | |
ökologischen Menschenrechte der Beschäftigten ihrer weltweiten Zulieferer | |
zu kümmern. Dann müssten hiesige Auftraggeber wie beispielsweise Edeka, H&M | |
oder VW aktiv dafür sorgen, dass es bei den Zulieferern nicht zu Kinder- | |
und Zwangsarbeit kommt, Mindestlöhne gezahlt werden, Mindesturlaub gewährt | |
wird, die Beschäftigten unabhängigen Gewerkschaften beitreten können und | |
Agrarkonzerne das Land benachbarter Bauern nicht vergiften. Ein solches | |
Gesetz galt bisher zwar schon in Deutschland, aber nicht europaweit. | |
Warum wurde das nötig? | |
Die Globalisierung seit den 1980er Jahren führte dazu, dass deutsche und | |
europäische Unternehmen ihre Herstellung in der Heimat reduzierten oder | |
beendeten und mehr Produkte in aller Welt in Auftrag gaben. In den neuen | |
Zulieferfabriken vor allem Asiens waren und sind die Arbeitsbedingungen | |
jedoch schlechter als in Europa. Von diesem Kostenvorteil profitieren auch | |
die hiesigen Konsument:innen in Gestalt günstiger Preise. Das gilt für | |
Textilien aus Bangladesch ebenso wie für Medikamente aus Indien und | |
Smartphones oder Autoteile aus China. | |
Was steht in der Lieferketten-Richtlinie? | |
Die Unternehmen müssen die menschenrechtlichen Risiken bei ihren | |
Lieferanten analysieren, sie möglichst ausschließen, eingetretene Schäden | |
ausgleichen und darüber teilweise auch öffentlich berichten. Tragen sie | |
eine Mitverantwortung für Schäden, haften sie und können vor europäischen | |
Gerichten auf Schadenersatz verklagt werden. Außerdem sollen sie | |
Beschwerdemechanismen einrichten, damit die Beschäftigten der Zulieferer | |
ihre Probleme bei den Auftraggebern zu Gehör bringen können. Staatliche | |
Behörden wachen darüber, dass die Firmen die Richtlinie einhalten. | |
Grundsätzlich gilt das für EU-Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten und 450 | |
Millionen Euro Jahresumsatz, ebenso außereuropäische, die einen | |
entsprechenden Umsatz in Europa erwirtschaften. | |
Warum wurde monatelang diskutiert? | |
Nach jahrelangen Verhandlungen hatten EU-Kommission, Mitgliedstaaten (auch | |
die Bundesregierung) und das EU-Parlament im vergangenen Dezember einen | |
Kompromiss ausgehandelt. [2][Dann kam die FDP auf die Idee, alles nochmal | |
infrage zu stellen]. Bundesfinanzminister Christian Lindner und | |
Justizminister Marco Buschmann beriefen sich auf Organisationen wie den | |
Industrieverband BDI, die die Richtlinie ablehnten, weil sie angeblich | |
viele Firmen überfordere. So wurde drei Monate weiter diskutiert, um einen | |
neuen Kompromiss zu finden, der eine Mehrheit bekommen würde. Trotz | |
deutscher Enthaltung. Das hat vor einer Woche grundsätzlich geklappt – | |
allerdings um den Preis einer Abschwächung. | |
Was wurde geändert? | |
Eigentlich hatte man sich darauf geeinigt, dass hiesige Firmen ab 500 | |
Beschäftigten und 150 Millionen Euro Jahresumsatz einbezogen werden. Nun | |
soll die Untergrenze bei 1.000 Leuten und 450 Millionen Euro liegen. Und | |
das erst sieben Jahre nach dem Beschluss, also vielleicht ab 2031. In der | |
Zwischenzeit gilt die Richtlinie erst mal nur für große Firmen ab 5.000 | |
Mitarbeitenden und 1,5 Milliarden Euro Umsatz. Dann sinkt die Untergrenze | |
Jahr für Jahr ab, bis sie bei Firmen mit 1.000 Leuten angelangt ist. | |
Schließlich werden nur gut 5.000 europäische Unternehmen direkt betroffen | |
sein, nicht mehr gut 16.000, wie ursprünglich geplant. | |
Werden die Firmen tatsächlich überfordert? | |
Die Richtlinie wird viele Firmen zusätzliches Geld kosten. Wenn zum | |
Beispiel ein Textilzulieferer in Bangladesch den Lohn erhöht, kann sich das | |
im Preis niederschlagen. Die hiesigen Unternehmen haben auch zusätzliche | |
Arbeit, weil sie die neuen Qualitätsanforderungen umsetzen, also etwa | |
Beschwerden von Beschäftigen der Lieferanten beantworten müssen. Vielleicht | |
sind ein, zwei neue Stellen im Betrieb nötig. Doch den größten Teil der | |
regelmäßigen Überprüfungen werden automatisierte Rechercheverfahren | |
erledigen, die die im Internet zugänglichen Informationen scannen. Eine | |
Intervention des einzelnen Auftraggebers wird wohl nur in Einzelfällen | |
nötig sein. Wobei all das für kleine europäische Firmen schwieriger sein | |
kann als für große. [3][Manche Unternehmen sagen, dass sie mit der | |
Richtlinie zurechtkommen werden], andere kritisieren sie. | |
Wofür braucht Deutschland ein eigenes Gesetz? | |
Manche Länder waren schneller als die EU. Unter anderem Frankreich, | |
Großbritannien, die Niederlande und Norwegen haben schon eigene | |
Lieferkettengesetze – Deutschland auch. Dieses sei nun überflüssig und | |
könne „aufgehoben“ werden, fordert Lindner. Er verkennt, dass Deutschland | |
die kommende Richtlinie in nationales Recht übertragen muss. So sind | |
Bundestag und Regierung verpflichtet, die strengere Regelung im deutschen | |
Recht zu verankern. Das bereits existierende Gesetz ist dafür der richtige | |
Ort. | |
Ist die Richtlinie endgültig beschlossen? | |
Mit einiger Wahrscheinlichkeit stimmt das EU-Parlament am 24. April | |
endgültig zu. Nachdem der Rechtsausschuss kürzlich bereits „Ja“ sagte, | |
scheint die Mehrheit sicher. Fraglich jedoch ist, ob dann bereits die von | |
Fachleuten abgesegneten Übersetzungen in alle EU-Sprachen vorliegen. Wenn | |
nicht, mag nach der EU-Wahl im Juni eine weitere Abstimmung in der nächsten | |
Legislatur notwendig werden. Das könnte der neuen Mehrheit und den | |
Gegner:innen noch einmal einen Hebel in die Hand geben, die Richtlinie | |
zu ändern – wenngleich das sehr unüblich wäre. | |
23 Mar 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Experte-zu-EU-Lieferkettengesetz/!5999454 | |
[2] /Lieferketten-Richtlinie-im-EU-Rat/!5987354 | |
[3] /Entscheidende-Abstimmung-in-der-EU/!5992182 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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