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# taz.de -- Rechtsextremer Wolfsgruß nach EM-Spiel: Surprise, surprise!
> Die Fußball-EM produziert nicht nur werbetaugliche, sondern auch
> menschenfeindliche Bilder. Die Empörung darüber ist berechtigt wie
> wohlfeil.
Bild: Zugleich witzig gemeinter Wettbewerb und gefährliche Ideologie: ein Schn…
Bei der Fußballeuropameisterschaft konkurrieren die besten 24
Nationalmannschaften Europas um den Titel. Nach welchen Kriterien die Teams
und ihre Unterstützer:innen zusammenfinden, steckt schon im Namen:
Nationalmannschaft, mit Betonung auf: Nation.
Man fühlt sich ein bisschen bescheuert, das so ausführlich zu erklären,
weil jedes Kind das weiß, selbst wenn es noch nie auf einem Fußballplatz
gestanden hat. Aber wenn man die überraschte Aufregung um den
nationalistischen Wolfsgruß des türkischen Nationalspielers Merih Demiral
betrachtet, fühlt man sich dazu genötigt.
Der Innenverteidiger zeigte den Gruß am Dienstagabend in Leipzig beim
Torjubel nach seinem Treffer zum 2:1 im Achtelfinale gegen Österreich.
Zuvor hatte er schon 57 Sekunden nach Anpfiff getroffen, das schnellste Tor
in einem K.-o.-Spiel der EM. Selbst zeigte er sich nach dem Spiel bezüglich
der Symbolik unbeeindruckt: „Wie ich gefeiert habe, hat etwas mit meiner
türkischen Identität zu tun.“ Und: „Wir sind alle Türken, ich bin sehr
stolz darauf, Türke zu sein, und das ist der Sinn dieser Geste.“
Lesen sollte man den Torjubel aber unbedingt auch als Bekenntnis zum
Faschismus. Denn der Wolfsgruß ist das [1][Symbol der sogenannten Grauen
Wölfe], einer rechtsextremen türkischen Bewegung, auch als
„Ülkücü-Bewegung“ bekannt, die auch in Deutschland zahlreiche
Anhänger:innen hat und vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Die
rechtsextreme Partei MHP (Partei der Nationalistischen Bewegung)
repräsentiert sie politisch. In der Türkei ist die MHP Bündnispartnerin der
AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
## Nationalistische Schlachtrufe und Nazi-Hits
Dass Demiral den faschistischen Gruß ausgerechnet am Jahrestag des
Massakers von Sivas zeigte, dürften türkeistämmige Minderheiten als
besonders schmerzhaft empfunden haben. Am 2. Juli 1993 hatte ein
islamistisch-nationalistischer Mob [2][ein Hotel in Sivas in Brand
gesteckt], in dem sich Kulturschaffende und Intellektuelle aufhielten, die
zu einem alevitischen Kulturfestival zusammengekommen waren. 37 Menschen
wurden getötet.
Gegen den 26-jährigen Demiral, der sein Geld in Saudi-Arabien bei Al-Ahli
verdient, hat die Uefa nun ein Untersuchungsverfahren wegen Verdachts auf
unangemessenes Verhalten eingeleitet, teilte der europäische Fußballverband
am Mittwoch mit. Falls das zu einer Strafe führt, könnte Demiral im
Viertelfinale gegen die Niederlande am Samstag in Berlin fehlen. Schon
zuvor hatte die Uefa den [3][albanischen Nationalspieler Mirlind Daku] für
zwei Spiele gesperrt, weil der nach dem Vorrundeinspiel gegen Kroatien
durch ein Megafon nationalistische Schlachtrufe angestimmt hatte.
Nationale Gefühle überkommen aber nicht nur Spieler, sondern auch Fans aus
allen Ländern. Während Unterstützer:innen des türkischen Teams wie
ihre Vorbilder immer wieder auf den Wolfsgruß zurückgreifen, singen die
Österreicher:innen gerne: Bei einer [4][TV-Schalte des Schweizer
Fernsehens] vor dem Viertelfinale in Leipzig fühlten sich österreichische
Fans zumindest ein wenig ertappt, als sie begriffen, dass sie gefilmt
werden. Denn sie sangen gerade die [5][durch eine Feier auf Sylt]
überregional bekannt gewordene Neuinterpretation des Nazi-Hits „Deutschland
den Deutschen. Ausländer raus“.
Ein Video, das [6][in den sozialen Medien kursiert], zeigt mutmaßlich
ebenso singende österreichische Fans, die noch ein bisschen kreativer
waren: „Ihr seid nur ein Dönerlieferant.“ Beim Vorrundenspiel gegen Polen
zeigten österreichische Fans im Berliner Olympiastadion zudem ein Transpi,
auf dem der in der rechtsextremen Szene beliebte Satz „Defend Europe“
stand.
## Faeser könnte mehr unternehmen, als empört zu sein
Man organisiert also einen Wettkampf der Nationen, bei dem sich Spieler und
Fans – Überraschung! – nationalistisch zeigen. Und ist dann darüber
überrascht. Aber es geht noch krasser. Denn andere sind sogar empört. Wie
die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Dabei ist Faeser, wie es der Zufall so will, zugleich Bundessportministerin
und sollte eigentlich qua Amt wissen, wie eine Fußballeuropameisterschaft
funktioniert und was das Wort Nationalmannschaft bedeutet. „Die Symbole
türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts zu suchen“,
kommentierte sie den Vorfall. „Die Fußball-Europameisterschaft als
Plattform für Rassismus zu nutzen, ist völlig inakzeptabel.“
Der Witz: Als Bundesinnenministerin könnte Faeser durchaus mehr gegen
diesen Rechtsextremismus unternehmen, als immer wieder empört darüber zu
sein, wenn er in Deutschland gerade mal wieder in den Schlagzeilen steht.
Im November 2020 hatte der Bundestag die Bundesregierung und somit Faesers
Bundesinnenministerium per Beschluss beauftragt, [7][Organisationsverbote
gegen Vereine der türkisch-rechtsextremen] Ülkücü-Bewegung zu prüfen.
Passiert ist seitdem aber nichts.
3 Jul 2024
## LINKS
[1] /Verbot-der-rechtsextremen-Grauen-Woelfe/!5725562
[2] /Verfahren-gegen-Attentaeter-eingestellt/!5959719
[3] /Politische-Konflikte-in-EM-Stadien/!6017724
[4] https://www.zdf.de/nachrichten/sport/fussball-em-2024-oesterreich-gesaenge-…
[5] /Umfrage-zur-Fussball-Nationalmannschaft/!6011893
[6] https://www.youtube.com/watch?v=Nbplhj9g9pk
[7] /Rechtsextreme-Graue-Woelfe/!5976885
## AUTOREN
Volkan Ağar
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