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# taz.de -- Viertelfinale Türkei – Niederlande: Berliner Problemwölfe
> Auch in Berlin ist die rechtsextreme Ülkücü-Bewegung aktiv. Die EM könne
> dazu beitragen, ihre Symbole zu normalisieren, sagen
> Beobachter*innen.
Bild: Nationaler Freudentaumel: Fans der Türkischen Fußball-Nationalmannschaf…
BERLIN taz | Mittelfinger und Ringfinger liegen auf dem nach vorn
gestreckten Daumen auf, wie eine stilisierte Schnauze. Zeigefinger und
kleiner Finger zeigen nach oben, sie sollen zwei Ohren darstellen. Der
[1][sogenannte Wolfsgruß war auch bei den Freudenfeiern] nach den
gewonnenen Türkeispielen in Berlin vielfach zu sehen. Er ist das
Erkennungszeichen der Grauen Wölfe, also türkischer Rechtsextremist*innen.
„Wir sind noch dabei, Videos auszuwerten“, sagt Lea Lölhöffel,
Koordinatorin bei den [2][Berliner Registern]. Die Register sammeln Infos
zu Aktivitäten der extremen Rechten, zu rassistischen Vorfällen und
Diskriminierungen. „Es haben so einige am Dienstagabend nach dem Spiel
gegen Österreich auf der Fanmeile und am Breitscheidplatz den Wolfsgruß
gezeigt.“ Wundern tut sie das nicht: „In der EM-Euphorie lassen Leute sich
hinreißen“, sagt Lölhöffel. „Doch dabei handelt es sich ganz klar um ein
rechtsextremes Symbol – und dass Fans es zeigen, ist höchst problematisch.“
Die [3][Grauen Wölfe, auch Ülkücü – Idealisten – genannt], sind eine
rechtsextreme, politische Bewegung, die in der türkischen Politik seit den
70er Jahren tief verankert ist. Ihre Ursprünge gehen bis in die 1940er
Jahre zurück. Sie bildeten später den paramilitärischen Arm der Partei der
Nationalistischen Bewegung (Milliyetçi Hareket Partisi – MHP), heute
faktischer Koalitionspartner von Präsident Recep Tayyip Erdoğan (AKP). Die
Ülkücü verübten Hunderte politische Morde, und trotz zwischenzeitlicher
Verbote können sie bis heute als Handlanger des türkischen Staats
betrachtet werden.
Auch in Deutschland sind sie aktiv. Der Verfassungsschutz stuft die Ülkücü
als eine der größten rechtsextremen Gruppen in der Bundesrepublik ein und
rechnet ihnen bundesweit rund 12.500 Mitglieder zu, von denen rund 10.500
in Vereinen organisiert sein sollen. In Berlin sollen es laut lokaler
Behörde rund 450 organisierte Mitglieder sein. Größere Dachverbände sind
die „Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in
Deutschland e. V.“ (ADÜTDF), die „Union der Türkisch-Islamischen
Kulturvereine in Europa e. V.“ (ATİB) und die „Föderation der Weltordnung
in Europa“ (ANF). In Berlin ordnet der Verfassungsschutz der ADÜTF jeweils
einen Verein in Kreuzberg, Reinickendorf und Spandau zu, der ANF einen im
Wedding.
## Vereine eher unauffällig
„Die Berliner „Ülkücü“-Vereine treten nach außen nicht extremistisch …
und bemühen sich um ein gemäßigtes Image“, etwa über Kinder- und
Familienfeste oder Fastenbrechen, schreibt der Verfassungsschutz. So sollen
„auf niedrigschwellige Weise“ Menschen „in Kontakt mit der Ülkücü-Ideo…
gebracht“ werden. Daneben sei in Berlin auch eine „ungebundene Szene
türkischer Rechtsextremisten aktiv“. Diese lebten ihre rassistischen und
antisemitischen Feindbilder offener aus, etwa in den sozialen Medien oder
bei [4][Aufeinandertreffen mit politischen Gegner*innen]. Dabei zeige
sich auch das hohe Gewaltpotenzial der Szene. Übergänge zwischen türkischem
Patriotismus und rechtsextremistischen Einstellungen seien „oft fließend“.
„Die Gefahr, die von den Ülkücü ausgeht, kann man nicht anhand der vom
Verfassungsschutz vermuteten Mitglieder bestimmen, das wäre zu wenig und
würde das Problem verharmlosen“, sagt ein Sprecher von [5][IBIM, einem
Neuköllner Verein], der zu türkeibezogenem Rechtsextremismus in Deutschland
arbeitet und als Anlaufstelle für Schulen bei türkeibezogenen Konflikten
fungiert. „Es ist eine rechtsextreme, politische Bewegung, der eine
ultranationalistische Ideologie von,Turan', einem großtürkischen Reich,
zugrunde liegt“, sagt er.
Die Bewegung propagiere die Überlegenheit der „türkischen Rasse“, und wer…
alle als nicht türkisch angesehenen ethnischen, religiösen oder
konfessionellen Gruppen ab. Sie sei darüber hinaus frauenfeindlich und
richte sich besonders in den letzten Jahren gegen die LGBTIQ-Bewegung. In
Berlin hätten organisierte und unorganisierte Anhänger*innen
einflussreichen Posten in Vereinen, Verbändne, Bürokratie und teils auch
der Politik. „Auch wenn sie nicht nach außen so auftreten, hängen sie der
Ideologie trotzdem an“, heißt es von IBIM.
„Die Ülkücü schrecken nicht vor Gewalt zurück“, sagt der IBIM-Sprecher.…
Berlin werde etwa der [6][gewaltsame Angriff auf den Oppositionellen und
Journalisten Erk Acarer] der Bewegung zugeordnet. „Wenn nun der Wolfsgruß
fälschlicherweise mit Türkischsein gleichgesetzt wird, ist das besonders
für jüngere Menschen ein mögliches Einfallstor für die rechtsextreme
Ülkücü-Ideologie.“ An Schulen etwa beobachte IBIM deutliche Sympathien für
die Bewegung. Die Gesellschaft müsse wachsam sein und das im Keim
ersticken. Daher fordert IBIM ein Verbot der Ülkücü und ihrer Symbole, so
wie es etwa in Österreich und Frankreich schon in Kraft ist.
## Bedrohend und einschüchternd
Obwohl der Verfassungsschutz sie regelmäßig aufführt, sind die Aktivitäten
der türkischen Rechten in Deutschland kaum Thema. Laut Lölhöffel dominiert
auch in ihren Registern die deutsche extreme Rechte. „Ehrenamtliche
Melder*innen, die viele Vorkommnisse eintragen, haben wahrscheinlich eher
deutsche rechtsextreme Symbole im Blick“, sagt sie. „Eventuell sind wir
auch nicht gut genug vernetzt, oder es gibt Sprachbarrieren“, vermutet sie.
Und schließlich seien die Ülkücü eher in Vereinen organisiert, teils mit
geschlossenen Veranstaltungen. „Das sind andere Aktionsformen als wir sie
von deutschen Rechtsextremen kennen.“
Die Berliner Register listen eher vereinzelt Aktivitäten türkischer
Nationalist*innen und Rechtsextremer in Berlin auf. Etwa einen
Anschlag auf das Parteibüro der damaligen kurdisch geprägten
Oppositionspartei HDP im Zusammenhang mit den Wahlen 2016 oder Angriffe auf
Wahlkampfstände 2021, daneben Angriffe bei Demos, Aufkleber oder Graffiti,
etwa von den drei Halbmonden, dem Zeichen von MHP und ADÜTF. Im November
2023 seien bei einem Marsch türkischer Fans Richtung Olympiastadion
Wolfsgrüße gezeigt worden – im Zusammenhang mit dem damaligen
Freundschaftsspiel zwischen der Türkei und Deutschland. Lölhöffel vermutet
ein großes Dunkelfeld.
„Dass sich nun während der Europameisterschaft Menschen positiv auf die
Mannschaft und die Türkei beziehen, ist verständlich“, sagt Lölhöffel.
„Problematisch ist, dass [7][Akteur*innen diese Welle nutzen, um
rechtsextreme, nationalistische Symbole zu normalisieren.]“ Dabei käme dem
Torschützen eine besondere Rolle zu. [8][Merih Demiral, der in dem Spiel
gegen Österreich nach seinem zweiten Tor] mit beiden Händen den Wolfsgruß
gezeigt hatte, sei für viele ein Vorbild. Dass Demiral den Gruß nicht so
gemeint haben will, hält Lölhöffel für unglaubwürdig.
„Der wird gesehen, gehört, gefeiert. Wenn er nun sagt, da sei ‚keine
versteckte Botschaft dahinter‘, und es zeige nur, dass er ‚stolzer Türke‘
sei, dann trägt er zur Normalisierung eines extrem rechten Symbols bei“,
sagt Lölhöffel. „Und da müssen wir uns vergegenwärtigen: [9][Das soll
einschüchtern]. Und das wird auch verstanden.“ Oppositionelle, Kurd*innen,
Armenier*innen, Alevit*innen, auch Jüdinnen und Juden oder queere Menschen
fühlten sich davon bedroht – in Berlin, aber auch darüber hinaus.
5 Jul 2024
## LINKS
[1] /Rechtsextremer-Wolfsgruss-nach-EM-Spiel/!6018117
[2] https://www.berliner-register.de/
[3] https://katho-nrw.de/fileadmin/media/foschung_transfer/forschungsinstitute/…
[4] /Die-PKK-und-die-Grauen-Woelfe/!5856276
[5] https://ibim.info/
[6] /Attacke-auf-tuerkischen-Journalisten/!5780835
[7] /Rechtsextremer-Wolfsgruss-nach-EM-Spiel/!6018117
[8] /Tuerkei-und-Deutschland/!6018316
[9] /Rechtsextreme-Graue-Woelfe/!5976885
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
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