# taz.de -- Rechtsextreme Graue Wölfe: Morddrohungen ohne Konsequenzen | |
> Ein türkischer Nationalist bedroht Politiker:innen in Deutschland. | |
> Der Staat scheint machtlos zu sein, zeigen taz-Recherchen. | |
Bild: Der Wolfsgruß ist das Symbol der türkischen Rechtsextremen | |
Anderthalb Wochen sind vergangen, seitdem der türkische Präsident [1][Recep | |
Tayyip Erdoğan und Olaf Scholz] in Berlin zusammenkamen: Scholz bat die | |
Türkei als Türsteher Europas um Hilfe und bemühte sich um eine Neuauflage | |
des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens. Dafür stellte er Hilfe beim | |
Wiederaufbau von Bildungseinrichtungen in türkischen Erdbebengebieten in | |
Aussicht. Erdoğan reichte das nicht, er forderte zudem Visa-Erleichterungen | |
für türkische Staatsbürger. Das Signal, das vom Staatsbesuch ausging: Die | |
beiden Länder brauchen einander, arbeiten weiterhin zusammen, trotz aller | |
Differenzen. | |
Wo die Zusammenarbeit offenbar nicht gut funktioniert, zeigt nun die | |
Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten | |
Martina Renner, die [2][auf Recherchen der taz Bezug] nimmt und dieser | |
Zeitung exklusiv vorliegt. | |
Die Antwort hat Folgen für die Opfer einer über drei Jahre anhaltenden | |
Drohserie. Mindestens seit Ende Februar 2020 erhalten kurdischstämmige | |
Linken-Politiker:innen, aber auch nichtkurdischstämmige Personen | |
[3][Morddrohungen von Social-Media-Accounts], die sich positiv auf die | |
[4][rechtsextreme türkische Ülkücü-Bewegung] (Graue Wölfe) beziehen. So | |
hatten es [5][2022 taz-Recherchen] ergeben, und so steht es nun auch in der | |
Antwort der Bundesregierung. | |
Deutsche Behörden scheinen aber auch nach fast vier Jahren Ermittlungen | |
machtlos zu sein gegenüber dem Urheber der Morddrohungen. Außerdem decken | |
sich Informationen der taz teilweise nicht mit den Angaben der | |
Bundesregierung. | |
## Türkische Behörden antworten den deutschen nicht | |
Im Januar 2022 veröffentlichte [6][die taz eine Recherche], in der sie den | |
Absender dieser Morddrohungen als Tayfun K. identifizierte, der in der | |
zentralanatolischen Stadt Kayseri einen Handyladen betreibt. Auf | |
Konfrontation der taz per Anruf räumte der Mann damals ein, der Absender | |
der Morddrohungen und auch Anhänger der rechtsextremen Grauen Wölfe zu | |
sein. | |
„Die ersten Bedrohungen sind nach Kenntnis der Bundesregierung Ende Februar | |
2020 aufgetreten. Seitdem sind ca. 40 Fälle erfasst worden“, heißt es nun | |
fast zwei Jahre später in der Antwort auf die Kleine Anfrage. | |
Taz-Informationen zufolge soll sich Ende Februar 2020 schon das | |
Bundeskriminalamt (BKA) mit der Drohserie beschäftigt haben. | |
Fest steht: Bei mehreren Staatsanwaltschaften in verschiedenen | |
Bundesländern sind Ermittlungsverfahren anhängig. Das BKA ist nach Angaben | |
der Bundesregierung im Fall Tayfun K. als „kriminalpolizeiliche | |
Zentralstelle“ tätig geworden, habe sich an den Ermittlungen der | |
Landesbehörden aber nicht direkt beteiligt. Der taz liegt jedoch ein | |
Schreiben des BKA vor, demzufolge die Abteilung für Cyberkriminalität das | |
LKA Hessen auf dessen Bitte hin im Juni 2021 bei den Ermittlungen | |
unterstützt hat. | |
Linken-Abgeordnete Martina Renner sagt dazu:„Angesichts bundesweiter, | |
offenbar orchestrierter Bedrohungen durch mutmaßlich aus dem Ausland | |
handelnde Täter ist es überfällig, die Ermittlungen beim BKA zu bündeln.“ | |
## Täter kann sich frei in Deutschland bewegen | |
Deutsche Sicherheits- und Justizbehörden, in verschiedenen Ländern wie auf | |
Bundesebene, haben sich also über Jahre mit der Bedrohungsserie | |
beschäftigt. Aber sie kamen mit ihren Ermittlungen zur Feststellung der | |
Identität des mutmaßlichen Täters anscheinend nicht weiter und ersuchten | |
die türkischen Behörden um Hilfe. Doch die deutschtürkische Zusammenarbeit | |
sollte in diesem Fall erfolglos bleiben, wie die aktuelle Antwort der | |
Bundesregierung zeigt: Zwischen Januar 2021 und Oktober 2022 hat das BKA | |
drei Erkenntnisanfragen an türkische Behörden gestellt. Doch „auf keines | |
der genannten Ersuchen wurden seitens der türkischen Behörden Erkenntnisse | |
übermittelt“, heißt es. | |
Brisant ist, dass der Bundesregierung keine Erkenntnisse darüber vorliegen, | |
ob gegen den Täter Tayfun K. eine Einreisesperre oder eine sonstige | |
polizeiliche Ausschreibung besteht. Der Absender der Morddrohungen hatte | |
demnach die Möglichkeit, nach Deutschland einzureisen und sich hier frei zu | |
bewegen, ohne Strafverfolgung zu befürchten. Und das, obwohl er den Opfern | |
gedroht hatte, nach Deutschland zu kommen oder sich bereits auf deutschem | |
Boden zu befinden. | |
Im Widerspruch dazu steht eine taz-Information aus Behördenkreisen, laut | |
der gegen Tayfun K. eine Einreisesperre verhängt worden sei. Der | |
Bundesregierung liegen dagegen laut Antwort auf die Kleine Anfrage | |
keinerlei Erkenntnisse darüber vor, ob Tayfun K. sich zeitweise in der | |
Bundesrepublik aufgehalten hat oder nicht. | |
Zur allgemeinen Gefährdungslage durch türkische Rechtsextremisten schreibt | |
die Bundesregierung in ihrer Antwort, dass spätestens seit dem | |
Putschversuch 2016 „eine zunehmende Verschärfung des öffentlichen Diskurses | |
in der Türkei“ stattgefunden habe. Damit sei eine „Zunahme polizeilich | |
relevanter Aktivitäten u. a. durch türkische Nationalisten zum Nachteil | |
türkischer regierungskritischer Oppositioneller in Deutschland“ | |
einhergegangen. Diese Aktivitäten seien „Beleidigungen, Bedrohungen und | |
Volksverhetzungen (meist über soziale Netzwerke) und Sachbeschädigungen“, | |
in „wenigen Fällen“ auch Gewaltdelikte wie Körperverletzungen. | |
## Prüfung eines Verbots der Grauen Wölfe noch offen | |
Daraus ergebe sich „ein erhöhtes abstraktes Risiko“ für Betroffene. Zudem | |
würden öffentliche türkische Personenfahndungen und entsprechende mediale | |
Berichterstattung das Risiko bergen, dass sich Einzeltäter oder | |
Kleinstgruppen in Deutschland zum Handeln gegen politische Gegner berufen | |
fühlen könnten. | |
Im November 2020 hat der Bundestag mit einem Beschluss die Bundesregierung | |
beauftragt, Organisationsverbote gegen Vereine der türkisch-rechtsextremen | |
Ülkücü-Bewegung zu prüfen. Bislang ist in der Sache nichts passiert. | |
Linken-Abgeordnete Renner fordert deshalb, Organisationsverbote gegen die | |
rechtsextremen Grauen Wölfe wieder ins Zentrum zu rücken. „Dies gerade auch | |
hinsichtlich der Gefahr, dass auf Bedrohungen tätliche Angriffe durch | |
Anhänger der Grauen Wölfe folgen können. Der weiterhin nicht aufgeklärte | |
Angriff auf den [7][türkischen Journalisten Erk Acarer] in Berlin sollte | |
Mahnung sein – zumal dieser Konsequenz genau solcher Drohungen gewesen sein | |
könnte.“ | |
Das Bundesinnenministerium könne sich zu möglichen Vereinsverboten | |
„generell nicht äußern“, antwortete eine Sprecherin auf Anfrage der taz. … | |
bestehe die Gefahr, dass von einem Verbot potenziell betroffene | |
Organisationen „ihr Verhalten danach ausrichten und dadurch die Wirksamkeit | |
operativer behördlicher Maßnahmen“ beeinträchtigen. | |
Für die Empfänger der Morddrohungen heißt das: Ihre Sicherheit in | |
Deutschland ist nach wie vor nicht garantiert. | |
Dieser Artikel ist mit der Unterstützung von [8][Journalismfund Europe] | |
entstanden. | |
29 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Erdoan-nach-dem-Deutschland-Besuch/!5971096 | |
[2] /Rechtsextreme-Graue-Woelfe/!5825751 | |
[3] /Rechtsextreme-Graue-Woelfe/!5825751 | |
[4] /Verbot-der-rechtsextremen-Grauen-Woelfe/!5725562 | |
[5] /Rechtsextreme-Graue-Woelfe/!5825751 | |
[6] /Rechtsextreme-Graue-Woelfe/!5825751 | |
[7] /Attacke-auf-tuerkischen-Journalisten/!5780835 | |
[8] http://www.journalismfund.eu | |
## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
Nora Belghaus | |
Ali Çelikkan | |
## TAGS | |
Graue Wölfe | |
Türkei | |
Recep Tayyip Erdoğan | |
Rechtsextremismus | |
GNS | |
IG | |
Kolumne Stadtgespräch | |
Wahlen in der Türkei 2023 | |
Türkei | |
Graue Wölfe | |
Rechtsextremismus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Stadtgespräch aus Istanbul: Politische Interessen mit Vorfahrt | |
Am Bosporus haben offenbar politische Gründe nach einem tödlichen Unfall | |
die Fahrerflucht des somalischen Präsidentensohns ermöglicht. | |
Prozess gegen Istanbuler Bürgermeister: Imamoğlu kämpft weiter vor Gericht | |
Das türkische Innenministerium geht wegen Korruptionsvorwürfe der | |
türkischen Justiz gegen den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu vor. | |
Erdoğan nach dem Deutschland-Besuch: Erst treffen, dann lästern | |
Nach den Gesprächen mit Scholz und Steinmeier stellt sich der türkische | |
Präsident als harter Verhandler dar. Dabei lief es wohl recht | |
einvernehmlich. | |
Rechtsextreme „Graue Wölfe“: Hass aus 3.000 Kilometern | |
Der kurdischstämmige Politiker Civan Akbulut erhält Morddrohungen im | |
Internet. Er ist nur eines von vielen Opfern. Taz-Recherchen führen in die | |
Türkei. | |
Verbot der rechtsextremen Grauen Wölfe: Eine graue Zone | |
Der Bundestag diskutiert ein Verbot der Grauen Wölfe. Lassen sich | |
türkischer Mainstream und Konsequenzen deutscher Migrationsgeschichte | |
verbieten? |