# taz.de -- Erdoğan nach dem Deutschland-Besuch: Erst treffen, dann lästern | |
> Nach den Gesprächen mit Scholz und Steinmeier stellt sich der türkische | |
> Präsident als harter Verhandler dar. Dabei lief es wohl recht | |
> einvernehmlich. | |
Bild: Zu Hause bei Kreuzrittern: Erdoğan bei Steinmeier im Schloss Bellevue | |
Nach dem Treffen zwischen Olaf Scholz und dem türkischen Präsidenten hat | |
die Bundesregierung am Wochenende [1][die konstruktiven Ansätze in den | |
Gesprächen mit Recep Tayyip Erdoğan] betont. Im Krieg Russlands gegen die | |
Ukraine seien sich der Bundeskanzler und der türkische Präsident einig | |
gewesen, dass Moskau „weiter dringend aufgefordert sei, den Angriffskrieg | |
gegen die Ukraine zu beenden“, hieß es am Samstag aus deutschen | |
Regierungskreisen. | |
Im Umgang mit dem Nahost-Konflikt sind die Differenzen zwischen Scholz und | |
Erdoğan jedoch erheblich. Kaum zurück in der Türkei, beschuldigte | |
[2][Erdoğan „den Westen“ eines „kreuzritterhaften Imperialismus“.] Das… | |
er beim Bundespräsidenten gesehen und „bei dem anderen auch“, sagte der | |
türkische Präsident am Samstag in Istanbul bei einer Rede vor der | |
Nationalen Türkischen Studierendenunion. Mit „dem anderen“ meinte Erdoğan | |
wohl Scholz, mit dem er wenige Stunden zuvor in Berlin noch zu Abend | |
gegessen hatte. | |
„Was sie sagen, ist: Hamas, Hamas, Hamas“, berichtete Erdoğan den | |
Studierenden über seine Gespräche in Berlin. „Deutschland sagt, die Gewalt | |
der Hamas am 7. Oktober habe diese Situation ausgelöst. Natürlich habe ich | |
ihnen gesagt: dreizehntausend Kinder, Frauen und ältere Menschen sind von | |
Israel getötet worden. Warum sprecht ihr nicht darüber?“ | |
Der türkische Präsident wandte sich von Istanbul aus an Scholz, bezeichnete | |
in Israel gefangene Palästinenser*innen als „Geiseln“ und brachte die | |
Türkei als Verhandlerin mit der Hamas ins Spiel. Aber nur unter einer | |
Bedingung: Deutschland solle sich für die Freilassung der palästinensischen | |
Gefangenen in Israel einsetzen. „Und wir werden uns bemühen, für die | |
Freilassung derer einzutreten, die derzeit in den Händen der Hamas sind.“ | |
Doch Scholz habe abgelehnt, erzählte Erdoğan. Die Rede vor der türkischen | |
Studierendenschaft zeigt, wie sehr der türkische Präsident [3][den | |
aktuellen Krieg] im Nahen Osten auch zur innenpolitischen Profilierung | |
nutzt. | |
Bei der Pressekonferenz am Freitagabend in Berlin, die noch vor dem | |
Austausch mit Scholz stattfand, hatte Erdoğan gemäßigtere Worte gewählt. | |
Zwar sprach er auch hier über die palästinensischen Gefangenen in Israel, | |
kritisierte die hohe Zahl der zivilen Opfer im Gazastreifen und forderte | |
eine Waffenruhe. Wie Scholz bekannte er sich jedoch langfristig zu einer | |
Zweistaatenlösung, die er als einzig nachhaltigen Weg für einen Frieden im | |
Nahen Osten bezeichnete. Dieser Satz wurde in den türkischen Medien kaum | |
erwähnt. | |
Aus deutschen Regierungskreisen hieß es im Anschluss an das Gespräch, beide | |
Politiker hätten über „mögliche Perspektiven für den Gazastreifen | |
beziehungsweise für den Nahost-Konflikt“ gesprochen. Der Bundeskanzler habe | |
die deutsche Haltung der Solidarität mit Israel betont und „in aller | |
Klarheit“ den terroristischen Anschlag der Hamas verurteilt. Der Austausch | |
habe sich außerdem der humanitären Lage in Gaza gewidmet sowie der | |
Freilassung von Geiseln. | |
Dass das Gespräch stellenweise wohl konstruktiver war, als Erdoğan es im | |
Nachhinein verkaufen will, liegt auch an der desolaten wirtschaftlichen | |
Lage in der Türkei und der Hoffnung des türkischen Präsidenten, das Land | |
wirtschaftlich wieder stärker an die EU und Deutschland anzubinden. Erdoğan | |
brachte in Berlin öffentlich den Wunsch zum Ausdruck, den EU-Beitritt | |
Ankaras nun endlich voranzubringen, und hatte angekündigt, auch über | |
wirtschaftliche Themen sprechen zu wollen. | |
Zu den Tagesordnungspunkten auf der Liste des Bundeskanzlers gehörte die | |
Wiederbelebung des Migrationsabkommens zwischen der EU und der Türkei. Aus | |
deutschen Teilnehmerkreisen hieß es im Anschluss an das Treffen, Scholz und | |
Erdoğan hätten es begrüßt, dass nun im Rahmen einer neu eingerichteten | |
bilateralen Arbeitsgruppe der Innenbehörden „intensiv daran gearbeitet“ | |
werde. Die Gruppe werde beauftragt, „zu einem baldigen einvernehmlichen | |
Ergebnis zu kommen“. | |
Ein weiteres Thema, über das sich beide Politiker einig wurden, war, dass | |
künftig mehr Imame in Deutschland ausgebildet werden sollten. Die | |
Entsendungen von Geistlichen aus der Türkei nach Deutschland solle | |
„schrittweise beendet“ werden. | |
19 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Erdoan-in-Berlin/!5973647 | |
[2] https://www.tccb.gov.tr/haberler/410/150224/-mill-turk-talebe-birligi-ulkem… | |
[3] /Erdoan-gegen-Israel/!5964130 | |
## AUTOREN | |
Cem-Odos Güler | |
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