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# taz.de -- Nationalismus in der Kurve: Mit freundlichen und anderen Grüßen
> Die Türkei verliert gegen die Niederlande 1:2. Weder Wolfsgrüße noch ein
> extra angereister Staatspräsident konnten daran etwas ändern.
Bild: Türkische Nicht-nur-Fußball-Fans im Berliner Olympiastadion
Berlin taz | Es waren doch sehr viele Bilder, die sich an diesem Tag in das
Turniergedächtnis eingebrannt haben. Das [1][drollige Gehüpfe] der [2][Fans
in Orange] nach dem 2:1-Erfolg der Niederlande gegen die Türkei auf den
Rängen des Berliner Olympiastadions wird eher nicht dazugehören. Auch wie
die drei Tore gefallen sind, wird die Welt schnell vergessen haben.
Ebenso wird die Frage, warum sich am Ende die Niederlande durchgesetzt
haben, nur am Rande diskutiert werden. Die Bilder von [3][Tausenden Fans
der türkischen Auswahl], die vor dem Spiel bei ihrem Fanfest auf dem Weg
zum Stadion und in der Arena selbst die Hände zum sogenannten Wolfsgruß in
die Höhe gereckt haben, wird man dagegen so schnell nicht vergessen.
Diese Geste, die sich von einem [4][Erkennungszeichen der
ultranationalistischen und rassistischen Bewegung] der [5][Grauen Wölfe] zu
so etwas wie einer typischen Handbewegung von Türken entwickelt hat, die
den Stolz auf ihre Nation zum Ausdruck bringen möchten, bestimmt schon am
Nachmittag – Stunden vor dem Anpfiff – die Stimmung vor dem Spiel. Die
Berliner Polizei löste einen geplanten Fanmarsch vom Treffpunkt der
türkischen Anhänger an der Gedächtniskirche zum S-Bahnhof Charlottenburg
auf, weil da allzu viele Wolfsgrüße zu sehen waren.
Einer zeigte ein kleines Transparent, auf dem „Uefa Mafia“ zu lesen war –
zweifellos eine Anspielung auf die Sperre von zwei Spielen, welche der
europäische Fußballverband gegen [6][Merih Demiral] verhängt hatte. Der
hatte nach seinem 2:0 gegen Österreich den Wolfsgruß gezeigt und weil die
Uefa das als eine auf dem Platz verbotene politische Einlassung ansah,
sprach sie die Sperre aus. [7][Fangruppierungen] riefen daraufhin zum
kollektiven Zeigen des Wolfsgrußes auf.
## Freundliche Rassisten
An der Spitze des später aufgelösten Marsches liefen finster dreinblickende
Männer, die so gar nicht zu den heiteren Gesichtern der anderen EM-Besucher
passen wollten, die am Ende des Zuges Richtung Stadion unterwegs waren.
Doch auch die scheuten sich nicht, den Wolfsgruß zu zeigen, oder hatten
offensichtlich nichts dagegen, wenn andere ihn zeigten. In den sozialen
Medien muss es an diesem Tag nur so gewimmelt haben von Wolfsgrüßern. Wer
den üblen Gruß zeigte, legte meist auch Wert darauf, dass jemand ihn mit
dem Smartphone festhielt.
Später, als kurz vor dem Anpfiff im Stadion die türkische Hymne erklang und
zu Tausenden Wolfsköpfe mit den Händen geformt wurden, war Ähnliches zu
beobachten: ein für das Smartphone inszenierter Gute-Laune-Nationalismus,
der beinahe ein wenig an die lachenden [8][Ausländer-raus-Heinis] von Sylt
erinnert hat. Auf den Videowänden im Stadion und auch in den offiziellen
Uefa-Bildern fürs Fernsehen war davon nichts zu erblicken. Die Bilder
türkischer Fans, wie sie gerade mit ihren Händen Herzen geformt haben,
waren indes auch echt.
Der Wolfsgruß hat der EM-Stimmung im Stadion, die alles andere als
aggressiv war, nichts anhaben können. Und als die Niederländer nach
Schlusspfiff feiernd und die Türken, die nach dem [9][Führungstreffer von
Samet Akydin in der 35. Minute] auf den ganz großen Erfolg gehofft hatten,
friedlich trauernd das Stadion verließen, war von Wolfsgrüßen nichts mehr
zu sehen.
## Ehrengast Erdoğan
Wie dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan die Stimmung gefallen
hat, ist nicht überliefert. Der war nach der Affäre Wolfsgruß, [10][die gar
diplomatische Verwicklungen zwischen Deutschland und der Türkei
hervorgerufen hatte], nach Berlin gereist, um die Nationalmannschaft zu
unterstützen. Auch er wurde nicht gezeigt auf den Anzeigetafeln im Stadion.
Doch schnell verbreiteten sich Social-Media-Posts, die ihn kurz nach dem
türkischen Führungstreffer im Stadion bei einer ganz speziellen Jubelgeste
zeigen. Er winkt huldvoll in die Menge, als hätte er selbst das Tor
geschossen.
Andere Bilder zeigen, dass hinter ihm ein gewisser [11][Mesut Özi]l saß.
Der deutsche Weltmeister von 2014 hatte sich vor ein paar Monaten ein
Bekenntnis zu den Grauen Wölfen [12][tätowieren] lassen und hatte seine
Reise in einer Story auf Instagram angekündigt, nicht ohne den Wolfsjubel
von Demiral gebührend zu feiern. Eine Provokation, die auf Social Media
schnell Kreise zog. Zum Aufheizen der Stimmung im Stadion konnte sie nicht
beitragen.
Dort ging es um den Einzug ins Halbfinale und niemand wird behaupten, dass
der Niederländer Stefan de Vrij so ungestört zum Ausgleich einköpfen
konnte, weil seine Gegenspieler in dem Moment gerade nicht stolz genug auf
ihre türkische Herkunft waren. Auch das spielentscheidende Eigentor, das
Mert Müldür in einem Zweikampf auf dem Hosenboden gegen Cody Gakpo passiert
ist, wird wohl nicht zu einer nationalen Schande erklärt.
Das liegt sicher auch daran, dass nach dem Spiel die berechtigte Frage in
der Luft lag, ob mit den Niederlanden wirklich das bessere Team in diesem
Spiel gewonnen hat. Denen fiel lange nichts, aber auch gar nichts ein, um
irgendwie den aus neun Spielern formierten Abwehrriegel der Türken zu
überwinden. Die Türken dagegen kamen immer wieder zu Durchbrüchen, hatten
die besseren Chancen als die Niederlande und mit Baris Yilmaz einen
Stürmer, der bisweilen selbst den hochdekorierten Meister der
Innenverteidigung, Virgil van Dijk, schier zur Verzweiflung gebracht hat.
Dementsprechend stolz war der italienische Trainer Vincenzo Montella nach
dem Spiel, so wie er den Stolz der türkischen Fans lobte. Am Tag vor dem
Spiel hatte er die Uefa-Entscheidung zur Sperre von Merah Demiral noch als
unfair bezeichnet und als von Ahnungslosigkeit getragen. Nach dem Spiel
wollte er darüber nicht mehr reden. Die Niederlande stehen im Halbfinale.
Die Türkei ist ausgeschieden. Vom Wolfsgruß war erst mal keine Rede mehr.
Er wird dennoch als Geste der EM in die Turniergeschichte eingehen.
8 Jul 2024
## LINKS
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[7] /Vor-dem-Spiel-Tuerkei-gegen-Niederlande/!6021839
[8] /Konsequenzen-fuer-die-rechte-Sylt-Feier/!6012825
[9] /Das-EM-Finale-in-der-Kurzkritik/!6017212
[10] /Tuerkei-und-Deutschland/!6018316
[11] /Mesut-Oezil/!t5038556
[12] /Tattoo-von-Mesut-Oezil/!5946255
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
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