| # taz.de -- Landtagswahlen im Osten: Ostdeutsche Flüchtlingswelle | |
| > Sollte die AfD Landtagswahlen gewinnen, könnten Ostdeutsche in | |
| > migrantische Großstadtviertel flüchten. Eine Belastungsprobe. Schaffen | |
| > wir das? | |
| Bild: Ihre No-go-Areas sind unsere Safe Spaces: Müllerstraße, Berlin-Wedding | |
| Nichts wird mehr so sein, wie es ist, denke ich, als ich in mein | |
| saftig-öliges Schawarma-Sandwich beiße. Die große Flüchtlingswelle habe ich | |
| da schon vor Augen: hunderttausende nach Schweiß riechende Männer und | |
| Frauen mit verfilzten Haaren vor den Toren Westberlins, ihr komisches | |
| Deutsch unverständlich, die Gesichter ihrer blonden Kinder mit Rotz und | |
| Staub verschmiert. Ich sitze bei meinem arabischen Lieblingsimbiss [1][im | |
| Wedding] und denke über die anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, | |
| Thüringen und Brandenburg nach. | |
| Horrorvisionen: völlige Überforderung der Verwaltung; Kinder in den | |
| Schulen, die nicht einmal die Basics auf Türkisch und Arabisch beherrschen, | |
| und vor allem: Horden junger ostdeutscher Männer, die den ganzen Tag nichts | |
| anderes tun, als auf dem Leopold- und Nettelbeckplatz herumzulungern. Wer | |
| soll sich da noch sicher fühlen? | |
| Das sind schlimme Vorstellungen. Zum Glück beruhigt mich das Treiben vor | |
| dem Imbiss ein bisschen. Menschen strömen mit vollen Tüten aus einem | |
| türkischen Supermarkt; auf der Terrasse eines Cafés verspeisen attraktive | |
| junge Frauen und Männer orientalische Süßspeisen; ein Auto steht mit | |
| eingeschalteten Warnblinklichtern auf der Fahrbahn – nur kurz was abholen! | |
| Manchmal, gerade an heißen Sommertagen, weiß ich hier nicht, ob ich in | |
| Berlin oder doch in Ankara bin. Deshalb fühle ich mich hier so wohl. Hier | |
| ist das längst vollzogen, [2][was die AfD] auch in diesem Wahlkampf als | |
| Schreckensszenario bemüht: eine Multikulturalisierung der Gesellschaft, die | |
| niemand rückgängig machen kann. Ihre No-go-Areas sind unsere Safe Spaces. | |
| Soll ein Nazi doch mal hierherkommen und „Ausländer raus“ schreien! | |
| ## Sie schicken Geld an Verwandte in Görlitz und Cottbus | |
| Deshalb bedrückt mich der Gedanke an die Landtagswahlen im Osten nur | |
| bedingt – und wenn, dann weniger aus eigener Betroffenheit als aus einem | |
| humanistischen Mitgefühl für die Menschen vor Ort. Thüringen soll nicht wie | |
| NRW werden, sagte ein rechtsextremer Demagoge kürzlich und meinte damit | |
| auch den Wedding. Arme Thüringer, war mein erster Gedanke. | |
| Andererseits, das wissen wir doch alle, leben wir in einer globalisierten | |
| Welt, in der alles mit allem zusammenhängt. Wenn jener Demagoge aus | |
| Thüringen sein Bundesland auch noch möglichst unattraktiv für Migranten | |
| machen möchte und es damit auch für alle anderen Menschen unerträglich | |
| macht, dann sollte das Menschen im Wedding und in Neukölln, in Mülheim und | |
| Kalk aufhorchen lassen. | |
| Denn wenn der Demagoge, an die Macht gekommen, sein Land zugrunde gerichtet | |
| hat, dann werden auch viele derer, die ihn gewählt haben, bei uns Schutz | |
| suchen. Sofern der [3][demografische Wandel] sein Werk nicht längst | |
| vollendet hat. | |
| Aber wir können doch nicht die ganze Welt bei uns aufnehmen, protestiert | |
| eine Stimme in mir, als ich mit dem Fladenbrot in den hervorragenden Humus | |
| dippe. Auch im Sinne dieser Flüchtlinge muss man doch unterscheiden | |
| zwischen denen, die wirklich Hilfe brauchen, und solchen, die nur in unsere | |
| Sozialsysteme einwandern, um dann Geld an ihre Verwandten in Görlitz, | |
| Sonneberg und Cottbus zu schicken, führt die Stimme weiter aus. | |
| Mittlerweile gestikuliere ich heftig mit einer eingelegten roten Rübe. | |
| Der Gedanke an Sachleistungen, Bezahlkarten und Arbeitspflichten besänftigt | |
| mich schließlich wieder. Wir müssen ja nicht alles mit uns machen lassen. | |
| Außerdem: Wir haben so vieles geschafft – wir schaffen das! | |
| 28 Aug 2024 | |
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| Volkan Ağar | |
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