# taz.de -- Erfolgreiches Referendum: Göttingen stimmt für Radentscheid | |
> Vereine, Verwaltung und Wirtschaft waren dagegen. Doch in Göttingen | |
> stimmte erstmals eine Mehrheit in einer Großstadt für Fahrradstraßen. | |
Bild: Grünes Licht für mehr Sicherheit | |
GÖTTINGEN taz | Erstmals in einer deutschen Stadt haben die Einwohner per | |
Bürgerentscheid erfolgreich über erhebliche Verbesserungen im Radwegenetz | |
abgestimmt. Rund 27.500 [1][Göttinger:innen votierten am Sonntag für | |
den „Radentscheid 1“], das entspricht einer Zustimmung von rund 54 Prozent. | |
Der „Radentscheid II“ wurde dagegen mit etwa 55 Prozent Nein-Stimmen | |
abgelehnt. Weil die Briefwahlstimmen später ausgezählt wurden, gab die | |
Stadt Göttingen das Ergebnis erst am Dienstagabend bekannt. | |
Im „Radentscheid I“ geht es um eine Priorisierung des Radverkehrs vor dem | |
motorisierten Individualverkehr und auch vor dem ÖPNV. So sollen | |
Fahrradstraßen so gestaltet werden, dass auch Kinder und ältere Menschen | |
dort sicher radeln können, der Durchgangsverkehr von Kraftfahrzeugen wird | |
hier nach Möglichkeit unterbunden. | |
Auf wichtigen Abschnitten werden bis 2030 abgegrenzte, geschützte | |
Radstreifen, [2][sogenannte Protected Bike Lines,] eingerichtet. Kreuzungen | |
werden fahrradsicher gestaltet, Ampel rad- und fußgängerfreundlicher | |
geschaltet und [3][Fahrradabstellanlagen überdacht]. Die Stadt ist zur | |
Umsetzung dieser Maßnahmen verpflichtet. | |
Der Radentscheid II sah eine Vielzahl von konkreten Einzelmaßnahmen vor. | |
Darunter den Umbau einer großen Umgehungsstraße, den Abbau von | |
Pkw-Parkplätzen und die Ausweisung von zwei viel befahrenen Nord-Süd-Achsen | |
zu Einbahnstraßen. Die [4][Klima-Initiative „Göttingen Zero“] hatte die | |
Radentscheide mit einem Bürgerbegehren erzwungen, für das im Winter | |
innerhalb weniger Monate mehr als die notwendigen 9.000 Unterschriften | |
zusammengekommen waren. | |
## Widerstand von vielen Seiten | |
Das Ergebnis der Abstimmung überrascht, da es gegen den Willen der | |
Verwaltungsspitze, der Koalition aus SPD, CDU und FDP im Stadtrat sowie von | |
Handwerk und Einzelhandel erreicht wurde. Überflüssig sei der Radentscheid, | |
hatte die Verwaltungsspitze um Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) | |
argumentiert. Sie verwies dabei auf vordere Plätze, auf denen [5][Göttingen | |
in den vergangenen Jahren in Rankings für fahrradfreundliche Kommunen | |
gelandet] sei. | |
Auch [6][operierten die Stadtoberen mit fragwürdigen Kostenberechnungen]. | |
Knapp 100 Millionen Euro seien nötig, um die Maßnahmen der beiden | |
Radentscheide umzusetzen, wurde mit Verweis auf die ohnehin klammen | |
kommunalen Kassen geklagt. Zudem suggerierte die eigentlich zur Neutralität | |
verpflichtete Verwaltung, dass die Ausgaben für den Radverkehr zulasten | |
anderer Initiativen im Bereich Sport und Kultur gingen. Nach Berechnungen | |
von „Göttingen Zero“ hat die Verwaltung die Kosten allerdings äußerst | |
großzügig nach oben aufgerundet. | |
Zum Vorgehen der Stadt passte ein – möglicherweise unabsichtlicher – | |
„Tippfehler“. Im Vorfeld des Bürgerbegehrens hatte die Verwaltung | |
Kostenschätzungen für die beiden Teile des Entscheids abgeben müssen. Dabei | |
kamen für den „Radentscheid I“ 30,9 Millionen Euro heraus. An die | |
Initiatoren des Begehrens wurden diese Daten per E-Mail übermittelt. Im | |
Anschreiben der Mail war allerdings von 39,4 Millionen die Rede. Die | |
falsche Zahl zog sich in der Folge wie ein roter Faden durch alle Vorlagen | |
und Formulare. „Dass die Verwaltungsspitze und das Haushaltsbündnis im | |
Stadtrat so massiv für ein Nein geworben haben, hat uns ehrlich gesagt | |
überrascht, bestätigt aber den hohen Stellenwert unserer Arbeit“, erklärte | |
„Göttingen Zero“ am Mittwoch. „Der Mythos, dass in deutschen Städten | |
grundsätzlich keine Mehrheiten [7][für eine andere Verkehrspolitik] | |
erreicht werden können, ist mit diesem Ergebnis widerlegt.“ | |
12 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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