# taz.de -- Jens Spahn und die Masken: Was tun, wenn's brennt | |
> Wer Jens Spahn für sein Coronamanagement kritisiert, sollte das nicht | |
> ohne eine Zeitreise machen: Ins ratlose Frühjahr 2020. | |
Bild: Jens Spahn, der Maskenmann | |
Es klingt schon ein wenig irre. [1][2,3 Milliarden Euro könnte der Bund | |
nachzahlen müssen, weil Jens Spahn (CDU) im Frühjahr 2020 allen | |
Maskenlieferanten Mondpreise versprochen hat]. Für Masken wohlgemerkt, die | |
am Ende nicht einmal verwendet wurden. Kein Wunder, dass die heutigen | |
Ampelkoalitionäre heftig auf dem damaligen Gesundheitsminister rumtrampeln. | |
Und doch ist das nichts anderes als billiger Populismus. Denn tatsächlich | |
gebührt Jens Spahn erst mal großer Dank für sein schnelles Handeln. | |
Man stelle sich nur einmal vor, ein großes Haus stünde in Flammen, die | |
willigen Retter aber verharrten ratlos davor. Und dann käme jemand auf die | |
Idee, dass Schläuche gut wären, weil man damit Wasser in die Flammen | |
spritzen könne, dass Schläuche aber Mangelware seien, weil es bisher noch | |
nie gebrannt hat, jedenfalls nicht so heftig wie jetzt, und dann würde der | |
oberste Einsatzleiter sagen, klar, besorgt Schläuche, so viel es irgend | |
geht, koste es, was es wolle. Alle wären voll des Lobes. | |
Genau das aber hat Jens Spahn damals getan, [2][am 27. März 2020, als er | |
das sogenannte Open-House-Verfahren einleitete,] nach dem jeder, der massig | |
Masken liefern könne, 4,50 Euro pro Stück bekommen sollte. Aus heutiger | |
Sicht, wo FFP2-Masken für ein paar Cent an den Supermarktkassen verstauben, | |
erscheint das wahnsinnig. Aber Ende März 2020 war die Lage anders. Sehr | |
anders. | |
Corona war damals noch absolutes Neuland. Dieses Virus aus China, das nun | |
auch Europa erreicht hatte: Binnen drei Wochen war die Zahl der | |
registrierten Infizierten in Deutschland um das 150-Fache gestiegen – von | |
260 auf über 42.000. Gerade war der 250. Coronatote registriert worden, 55 | |
davon allein am Tag zuvor. | |
Und es war klar, dass die Zahlen weiter rasant steigen würden – | |
wahrscheinlich so wie zu der Zeit in Italien, [3][wo täglich bereits 500 | |
Tote gezählt werden musste]n. Vor allem rund um die Stadt Bergamo, wo noch | |
mal drei Wochen später die ikonisch gewordenen Fotos mit den Militärlastern | |
entstanden, die Leichen abtransportierten. | |
Kliniken kamen schnell an den Rand ihrer Kapazitätsgrenzen. „Den | |
Glücklichen, die auf der Intensivstation sein dürfen, wird nichts anderes | |
als Sauerstoff verabreicht – und ab einem bestimmten Moment Morphium“, hieß | |
es damals [4][in einer taz-Reportage aus Bergamo]. | |
## Wenigstens minimaler Schutz | |
Von wirksamen Maßnahmen gegen die Pandemie konnte man damals allenfalls | |
träumen. Impfungen wurden erst ein Jahr später möglich. Was blieb, war ein | |
Lockdown. Und eben Masken. Die Normalsterblichen nähten sich damals selber | |
welche, weil es Besseres nirgendwo gab. | |
Und Jens Spahn versuchte, mehr FFP2-Masken aufzutreiben, die anders als der | |
gemeinhin genutzte Stofffetzen vorm Gesicht tatsächlich Nutzen versprachen. | |
So viel es eben geht. Damit wenigstens all die, die trotz Pandemie vor die | |
Tür mussten, [5][um zum Beispiel in den Kliniken den Betrieb | |
aufrechtzuhalten], minimalen Schutz bekamen. Koste es, was es wolle. Das | |
kann und sollte Jens Spahn niemand vorwerfen. Auch aus heutiger Sicht | |
nicht, wo man vieles besser weiß. | |
Ja, in seinem Ministerium wurden damals Fehler gemacht. Der Preis pro Maske | |
kann kritisiert werden. Die Verträge waren offenbar mit heißer Nadel | |
gestrickt, was heute zu den teuren Nachforderungen führt. Aber wenn es | |
brennt, darf nur eins zählen: dass möglichst schnell geeignetes Gerät zum | |
Löschen da ist. | |
Der aktuelle Streit über Spahns Maskendeal zeigt aber auch, wie schwierig | |
und gleichzeitig wie überfällig eine Aufarbeitung der Pandemiejahre ist. | |
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat kürzlich angeregt, dafür Bürgerräte zu | |
installieren. Das ist sicher nicht falsch. Es würde ermöglichen, dass | |
viele, die sich in der Debatte nicht gehört fühlten, zu Wort kommen können. | |
Diejenigen, die unter dem Lockdown und unter [6][Diskussionen über eine | |
mögliche Impfpflicht gelitten haben], genauso wie diejenigen, die bis heute | |
unter schwersten [7][Post-Covid-Syndromen leiden]. | |
Ohne das Faktenwissen von Expert:innen, auch das zeigt die aktuelle | |
Diskussion, droht der Rückblick aber auch in gefühliger Empörung | |
steckenzubleiben. | |
Beim Blick auf die Fakten würde auch schnell klar, was Jens Spahn | |
tatsächlich vorzuwerfen ist. In seinen letzten Monaten als | |
Gesundheitsminister, im schon von Coronaskeptiker:innen geprägten | |
[8][Wahlkampf vor der Bundestagswahl 2021], tat Spahn viel dafür, den | |
absehbar wieder steigenden Fallzahlen die Dramatik zu nehmen – indem er auf | |
neue Indikatoren setzte. Und von einer nationalen Notlage wollte er | |
monatelang nichts mehr wissen. | |
In der Folge starben im Dezember 2021 nochmals 10.000 Menschen in | |
Deutschland an Corona. Dieses traurige Weihnachten [9][bleibt | |
unverzeihlich]. | |
28 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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