| # taz.de -- Ärzte und Pflegende in der Corona-Krise: Wie schlimm wird es noch? | |
| > Sie kämpfen jeden Tag gegen das Virus. Wie erleben sie diesen neuen | |
| > Alltag? Durch die Woche mit einer OP-Schwester, einem Pfleger und einem | |
| > Hausarzt. | |
| Bild: Anmeldung zum Corona Test beim Hausarzt auf der Strasse in Berlin-Neuköl… | |
| Die Zahl der Coronainfizierten steigt und damit auch die Zahl der | |
| Schwerkranken. ÄrztInnen und Pflegende kämpfen jeden Tag gegen das Virus. | |
| Wie erleben sie diesen neuen Alltag? Wir haben eine OP-Schwester aus | |
| München, einen Intensivpfleger aus dem Rhein-Main-Gebiet und einen Hausarzt | |
| aus Berlin gebeten, uns einen Einblick in ihre Woche zu geben. | |
| Die OP-Schwester: Sie ist 60 Jahre alt und arbeitet seit 30 Jahren als | |
| OP-Schwester, derzeit in einem Münchner Klinikum. Damit sie freier sprechen | |
| kann, möchte sie anonym bleiben. | |
| Der Intensivpfleger: Er ist 58 Jahre alt und arbeitet seit 35 Jahren als | |
| Intensivpfleger, zurzeit auf einer Intensivstation eines | |
| Universitätsklinikums im Rhein-Main-Gebiet. Damit er freier sprechen kann, | |
| möchte er anonym bleiben. | |
| Der Hausarzt: Stefan Karakaya, 45, ist Hausarzt in Berlin-Neukölln. Vor | |
| seiner Praxis im Erdgeschoss hat er einen alten Wohnwagen geparkt, als neue | |
| Außenstelle. Karakaya nimmt darin Abstriche für Corona-Tests. | |
| Die OP-Schwester hat ihre Einträge per WhatsApp geschickt, die anderen | |
| Texte wurden aus Telefonaten verschriftlicht. | |
| ## Sonntag, 29. 3. 2020 | |
| Bestätigte Corona-Fälle laut Robert-Koch-Institut deutschlandweit: 52.547 | |
| Verstorbene: 389 | |
| Die OP-Schwester: Heute war ein normaler Wochenend-Arbeitstag von 11 | |
| Stunden. Der Vormittag war ruhig, um 11.30 Uhr ein Kaiserschnitt; Mutter | |
| und Kind wohlauf. Viele Gespräche mit Kollegen, wie die nächsten Wochen | |
| wohl werden. Dann plötzlich eine Anmeldung: alte Frau mit Darmverschluss | |
| und Covid-19-Verdacht. Vor meinem inneren Auge spult sich der Ablauf mit | |
| allen Sicherheitsmaßnahmen ab. Dabei merke ich trotz der Vorbereitung eine | |
| gewisse Nervosität. | |
| Leider dauert es ewig, bis es losgeht, da einige Beteiligte nicht genau | |
| wissen, wie sie sich verhalten müssen. Ich hatte angenommen, dass die | |
| Abläufe in allen Abteilungen kommuniziert worden sind. Wohl doch nicht, | |
| oder es fehlt die Routine. Die Patientin ist schwer krank. Nach einer | |
| Stunde kommt während der OP der Anruf mit dem Testergebnis: negativ, | |
| Isolierung aufheben, Erleichterung! Die Patientin wird erfolgreich | |
| operiert. Dann noch ein Kind mit Blinddarmentzündung. Auch dieser Patient | |
| verlässt sicher den OP. Alles in allem ein guter Tag. Trotzdem schwebt die | |
| Angst über allem: Wie schlimm wird es noch? Wird das Material reichen? Wie | |
| geht es weiter, wenn die Intensivstationen volllaufen? | |
| ## Montag, 30. 3. 2020 | |
| Bestätigte Fälle deutschlandweit: 57.298 | |
| Verstorbene: 455 | |
| Der Hausarzt: Ab 7 Uhr war ich in meiner Praxis in Berlin-Neukölln. Ich | |
| habe Laborergebnisse angeschaut, Papierkram gemacht. Ab 8 Uhr kommen die | |
| normalen Patienten in die Praxis. | |
| Um 10 Uhr bin ich raus in den Wohnwagen. Ich habe zuerst den Heizlüfter | |
| angeschmissen. Ich ziehe meine Schutzkleidung an, den Plastik-Overall, | |
| Maske und Brille. Alle, die einen Infekt haben oder Fieber unklarer | |
| Ursache, untersuche ich dort. | |
| Die Patienten verteilen sich auf dem Gehsteig, stehen in großem Abstand | |
| zueinander, das sieht schon komisch aus. Ich rufe sie in den Wagen, sie | |
| nehmen in der Sitzecke Platz. Wir reden, dann entscheide ich, ob ich | |
| untersuche oder nur einen Abstrich mache. Ich kann die Lunge abhören, | |
| Fieber messen, den Sauerstoffgehalt im Blut, eine komplette Untersuchung, | |
| nur Hinlegen geht nicht, dafür ist es zu eng. | |
| Heute waren 24 Leute da. Einer hatte eine Mandelentzündung. Bei einem | |
| anderen war gar nichts – außer Sorge. Insgesamt habe ich 20 Abstriche | |
| gemacht und ins Labor geschickt. Die Befunde bekomme ich immer am nächsten | |
| Tag. | |
| Den Wohnwagen habe ich seit fünf Jahren. Er ist original 60er Jahre, auch | |
| innen. Wir sind mit der Familie damit bis in die Bretagne gefahren, auf | |
| einen Campingplatz am Atlantik. In einem der Urlaube bin ich an einem Stein | |
| hängen geblieben, dabei ist die Rückwand aufgegangen. Deshalb steht der | |
| Wagen seit einer Weile nur rum. Ich hatte ihn schon fast vergessen. Jetzt | |
| hat er eine neue Funktion. | |
| Angst vor Corona habe ich nicht. Ich gehe davon aus, dass uns das früher | |
| oder später alle mal erwischt und wir dann hoffentlich genug Immunität | |
| haben. Dass ich ein potenzielles Risiko für meine Familie bin, ist mir | |
| schon klar. Mir macht das aber keine großen Sorgen, meiner Ex-Frau auch | |
| nicht. Weil nach allem, was man weiß, Kinder kaum daran erkranken. Man muss | |
| unterbinden, dass sie Überträger sind. Deshalb ist es gut, dass sie im | |
| Moment zu Hause bleiben. | |
| Der Intensivpfleger: Heute habe ich Nachtschicht. Die letzten zwei Tage | |
| hatte ich frei, deshalb weiß ich noch nicht genau, was auf mich zukommt – | |
| aber das macht mir auch keine Sorgen. In meinem Beruf muss man überzeugt | |
| davon sein, dass man sich mit der richtigen Ausrüstung vor ansteckenden | |
| Krankheiten schützen kann. Und Covid-Patienten sind von der Arbeitsweise | |
| für uns nicht anders als Influenza-Patienten, die wir jedes Jahr haben. | |
| Vergangene Woche sind bei uns Pfleger und Schwestern der | |
| Intermediate-Care-Abteilung mitgelaufen, um zu sehen, wie wir arbeiten. IMC | |
| ist ein Zwischending zwischen Intensiv- und normaler Station. Das sind | |
| Leute, die bei uns vielleicht aushelfen können, wenn es hart auf hart | |
| kommt. Die haben auch schon mal eine Lunge abgesaugt – das kann man nämlich | |
| nicht einfach nebenbei lernen. Wenn ich jetzt höre, dass auch | |
| Medizinstudenten im fünften Semester bei uns mitarbeiten könnten, muss ich | |
| sagen: Das ist weltfremd. Die könnten vielleicht Bettpfannen leeren, aber | |
| bei intubierten Patienten gibt es keine Bettpfannen. Im Ernstfall würde so | |
| jemand hier nur im Weg rumstehen. | |
| Die OP-Schwester: Heute hatte ich einen Ausgleichstag für gestern. Da | |
| konnte ich ausschlafen. Dann Wäsche waschen, bügeln und für morgen | |
| vorkochen. Eine Freundin von mir wohnt auch allein. Da haben wir einen | |
| Spaziergang mit Abstand gemacht. Das war schön. Manchmal klatschen Menschen | |
| jetzt auf ihren Balkonen. Ich finde diese Wertschätzung schön. Ich schaffe | |
| es im Alltag ja auch nicht, mit den Stahlarbeitern auf die Straße zu gehen | |
| – aber vielleicht sind bei der nächsten Pflegedemo ein paar mehr Menschen | |
| dabei, die uns unterstützen. Am Ende werde ich die Politiker daran messen, | |
| was sie für uns getan haben, und nicht meine Nachbarn. | |
| ## Dienstag, 31. 3. 2020 | |
| Bestätigte Fälle deutschlandweit: 61.913 | |
| Verstorbene: 583 | |
| Die OP-Schwester: Nun ist der Mangel an Material auch bei uns angekommen. | |
| Wir werden sehr deutlich angehalten, MNS-, FFP2- und FFP3-Masken sehr | |
| sparsam anzuwenden. Wir suchen nach Lösungen für einen alternativen | |
| Gesichtsschutz und versuchen etwas zu basteln, das auch Mund und Nase | |
| schützt. Damit war ich heute zwei Stunden beschäftigt, optimal ist das noch | |
| nicht, aber noch haben wir ja Masken – wie lange noch? Wieder eine | |
| OP-Anmeldung mit Covid-19-Verdacht, wieder ist sehr viel Kommunikation | |
| vonnöten. Wer muss welche Regeln einhalten? | |
| Nach Feierabend war ich noch bei meinem Buchladen, da kann man telefonisch | |
| bestellen. Jetzt noch ein paar nette Bücher suchen und dann geht’s los. | |
| Dieser Laden soll nicht pleitegehen, ich bin so froh, dass es den um die | |
| Ecke gibt. | |
| Der Hausarzt: Ich habe eine E-Mail bekommen, angeblich ist neue | |
| Schutzausrüstung bei der Kassenärztlichen Vereinigung angekommen. Ich habe | |
| deshalb gleich morgens um 8 Uhr zwei Mitarbeiterinnen hingeschickt. Wir | |
| waschen schon den normalen Mund-Nase-Schutz. Auch Plastik-Overalls könnte | |
| ich gut gebrauchen. Da habe ich nur noch drei originalverpackt, eigentlich | |
| soll man die nur ein Mal benutzen. | |
| Die Mitarbeiterinnen waren leider umsonst bei der KV: Man muss eine | |
| schriftliche Benachrichtigung vorweisen. Die haben wir noch nicht, also | |
| sind sie ohne Sachen wieder zurück. | |
| Es war ziemlich voll heute bei uns. Ich habe in der Praxis Patienten | |
| versorgt, meine Kollegin hat im Wohnwagen die Abstriche genommen, 17 | |
| insgesamt. | |
| Was mich heute beschäftigt hat, sind Diskussionen mit den Kollegen. Ich bin | |
| in mehreren Chatgruppen, wir schicken uns Fachartikel. Die meisten in dem | |
| Verteiler stehen hinter den Maßnahmen der Regierung. Aber es gibt auch | |
| einige, die fragen, ob Corona wirklich etwas anderes ist als Grippe. Auch | |
| für mich ist es wichtig, mich zu sortieren: Was ist korrekt, was nicht? Die | |
| Patienten wollen ja von mir hören, ob das alles so richtig ist, sie haben | |
| Ängste. | |
| Ich glaube schon, dass die Maßnahmen richtig sind. Aber man weiß nicht, wie | |
| viele Leute wirklich an Covid-19 sterben, dafür gibt es noch nicht genug | |
| Zahlen. | |
| Der Intensivpfleger: Mein Dienst heute Nacht war sehr ruhig. Wir hatten | |
| zwei Covid-Patienten, fünf von elf Betten der Station sind gerade belegt. | |
| Dafür sind wir in der Nachtschicht vier Leute. Was Laien sich nicht so gut | |
| vorstellen können: Wenn man einen Patienten auf Intensiv hat, der mehrere | |
| Probleme hat, hat man allein mit diesem praktisch die ganze Nacht zu tun. | |
| Bei einem Covid-Patienten, der beatmet werden muss, muss man regelmäßig die | |
| Lunge absaugen. Dazu haben die meisten eine Kreislaufschwäche, deshalb | |
| müssen sie Kreislaufmittel bekommen – das muss ständig überwacht werden. | |
| Bei vielen kommt noch ein Nierenversagen dazu, sodass eine Dialyse | |
| durchgeführt wird. Da hat man schon zu tun. | |
| ## Mittwoch, 1. 4. 2020 | |
| Bestätigte Fälle deutschlandweit: 67.366 | |
| Verstorbene: 732 | |
| Der Hausarzt: Von den 20 Abstrichen am Montag waren 5 positiv, von den 17 | |
| am Dienstag 4. In der vergangenen Woche gab es oft nur einen positiven | |
| Befund, mal 3, wenn die Leute in derselben Kneipe waren. | |
| Die Leute, die kommen, sind etwas kränker als noch vergangene Woche. Was | |
| ich auch feststelle: Die, die über Luftnot klagen und über sonst nicht | |
| viel, haben oft einen positiven Befund. Anfangs habe ich das als Symptom | |
| nicht so ernst genommen, weil man sich Luftnot ja auch einreden kann. Jetzt | |
| achte ich mehr darauf. | |
| Ich war ganz froh heute, dass alle normalen Patienten zu ihren Terminen | |
| kamen. Ungefähr die Hälfte blieb zuletzt weg. Das ist für mich ein | |
| ökonomisches Problem, mein Umsatz bricht ein. Einerseits muss ich dafür | |
| sorgen, dass möglichst wenige kommen wegen der Ansteckung, andererseits | |
| brauche ich auch Patienten – und diejenigen mit chronischen Erkrankungen | |
| muss man jedes Quartal angucken. | |
| Ich weiß noch nicht, welchen Schaden ich habe, deshalb weiß ich auch nicht, | |
| ob ich eine Entschädigung beantragen soll. | |
| Heute habe ich versucht, eine Videosprechstunde zu starten, aber das ist | |
| mir technisch noch nicht gelungen. Ich bin am Login gescheitert, meine | |
| Daten stimmten nicht, das war frustrierend. | |
| Die OP-Schwester: Jeden Morgen werden die Frühbesprechungen länger, es gibt | |
| immer mehr neue Infos zu Abläufen und neue Regeln. Es wurden Freiwillige | |
| gesucht, die sich anlernen lassen, um auf der Corona-Intensiv zu arbeiten. | |
| Drei haben sich gemeldet, eine erzählt, dass sie nicht ordentlich angelernt | |
| wird, weil die Kollegen überfordert sind. Die haben jetzt ja auch mehr | |
| Arbeit als sonst, und wir können die Gesamtsituation einfach nicht | |
| überblicken. | |
| Das OP-Programm ist heute recht voll und anspruchsvoll. Ich muss zu einer | |
| komplizierten Bandscheiben-OP, hatte ich lange nicht mehr. Die besondere | |
| Konzentration ist gut, da sie von den anderen Sorgen ablenkt. Nach der | |
| Mittagspause soll ein Kaiserschnitt kommen, doch kaum ist alles | |
| vorbereitet, Programmumstellung: eine Nachblutung bei einem Patienten mit | |
| Gerinnungsstörung! Also Tempo! Auch das geht letztendlich gut. Auf dem | |
| Heimweg bin ich geschafft! | |
| Am Abend ein Videotelefonat mit meinem Neffen und seiner kleinen Tochter: | |
| ich erfahre, was gerade so vorgelesen wird, sehe einen selbstgebastelten | |
| Traumfänger. Das tut gut. | |
| Der Intensivpfleger: Heute Nacht war deutlich mehr los. Wir haben jetzt | |
| vier Covid-Patienten, auf der Station sind gerade zehn von elf Betten | |
| belegt. Eigentlich gilt bei uns eine 1:2-Betreuung, ein Pfleger kümmert | |
| sich um zwei Patienten. Diese Regel wurde von der Klinikleitung aufgehoben, | |
| das wird nicht durchhaltbar sein. | |
| Ein Kollege ist mit Covid-Verdacht ausgefallen, wir haben kurzfristig einen | |
| Ersatz bekommen – das war Glück. Sonst wären wir heute Nacht nur zu dritt | |
| auf Station gewesen. | |
| Auf unserer Station gibt es zwei Zimmer mit einer Schleuse davor, wo man | |
| sich die Schutzkleidung anziehen kann – Kittel, Haube, Handschuhe, | |
| Schutzbrille, FFP2-Maske. Mit vier Covid-Patienten liegen jetzt schon zwei | |
| in Zimmern ohne Schleuse, da muss man sich dann im Zimmer umziehen. Das | |
| Anziehen der Schutzkleidung dauert vielleicht drei Minuten. Wenn es ein | |
| Notfall ist, geht das aber auch schneller. Dann kann man sich auch nicht 30 | |
| Sekunden die Hände desinfizieren, das ist nicht drin. | |
| Für die nächsten Tage erwarte ich, dass es noch stressiger wird. Meist ist | |
| es so: Die Arbeitsbelastung nimmt zu, das Personal ab. Manche bleiben zu | |
| Hause, weil sie krank sind – manche, weil es ihnen zu stressig wird. 15 bis | |
| 20 Prozent solcher Kollegen gibt es immer. | |
| ## Donnerstag, 2. 4. 2020 | |
| Bestätigte Fälle deutschlandweit: 73.522 | |
| Verstorbene: 872 | |
| Der Intensivpfleger: Die Schicht war anstrengend. Die Zahl der | |
| Covid-Patienten ist gleich geblieben, aber wir hatten in der Nacht drei | |
| Neuzugänge mit anderen Krankheiten – darunter ein multimorbider Patient. | |
| Ich musste Katheter legen und er brauchte eine Blutwäsche, da gehen die | |
| Stunden schnell um. | |
| Im gesamten Klinikum gibt es ein Besuchsverbot, aber wenn jemand im Sterben | |
| liegt, dann dürfen ein, zwei Angehörige kommen. Ich denke, dass wir das | |
| auch bei Covid-Patienten erlauben werden. Wir würden dem Angehörigen genau | |
| erklären, wie die Schutzkleidung angezogen wird und was man im Zimmer | |
| machen kann, was nicht. | |
| Sterben ist bei uns Teil des Alltags. Wenn jemand 80 Jahre alt ist, und er | |
| schafft es nicht, dann hat er ja sein Leben gelebt – so what? Anders ist es | |
| bei jungen Müttern oder Vätern, das geht einem nahe, obwohl man das auf der | |
| Arbeit lassen sollte. | |
| Die Klinik wird nur bis zum dokumentierten Todeszeitpunkt für einen | |
| Patienten bezahlt. Danach bleibt jeder Tote noch zwei Stunden auf Station | |
| und wird dann noch mal von einem Arzt begutachtet – um ganz sicher zu sein. | |
| Anschließend kommen die Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmens und | |
| bringen den Toten bei uns in die Pathologie. Am nächsten Tag wird der | |
| Leichnam abgeholt. | |
| Die OP-Schwester: Ich bin heute relativ früh aufgewacht, ich bin öfter | |
| schlaflos im Moment. Deswegen fühle ich mich übermüdet. Unsere | |
| Frühbesprechung ist wie immer eine never ending story, es gibt ständig neue | |
| Infos. Wie ist der Stand der Dinge, wie viele Covid-Patienten sind bei uns | |
| im Krankenhaus? Viele Kollegen benötigen diesen Termin, um sich dort | |
| auszusprechen; das ist wahnsinnig wichtig. | |
| Ansonsten ist keine schlechte Stimmung, wir haben genug zu tun. Bei einer | |
| Patientin war kurz Stress, aber dann hat alles geklappt. Manchmal merke | |
| ich, dass die Konzentration nachlässt – bei mir, aber auch bei Kollegen. | |
| Wir reden dann darüber, dass es für alle schwierig ist. Aus manchen | |
| sprudelt es richtig heraus, dieser Austausch tut gut. | |
| Mittlerweile ist klar, dass Kollegen für die neue Intensivstation | |
| abgestellt werden sollen. Der Aufwachraum ist so vorbereitet, dass er eine | |
| komplette Corona-Intensiv mit 8 Betten werden kann – ohne zusätzliches | |
| Personal, also werden das Anästhesiepflegekräfte machen und Fachschwestern | |
| von der Intensiv, die irgendwie entbehrlich sein könnten. Wir OP-Kräfte | |
| werden dann teils die Tätigkeiten der Anästhesiepflege übernehmen. | |
| Mein Gefühl ist, es schreitet voran, da kommt was ins Rollen. Man würde | |
| sich natürlich wünschen, dass es schneller geht, damit man mit dem | |
| möglichen Ansturm der Schwerstkranken fertig wird. Aber ja, es steigt die | |
| Hoffnung, mit der Krise fertig zu werden, und dass es vielleicht nicht wie | |
| in Italien der absolute GAU wird. | |
| Der Hausarzt: Ich musste den Jüngsten heute erst einmal in die Schule | |
| bringen, in die Notbetreuung. Das ging nicht anders. In der Notbetreuung | |
| ist sonst nur ein anderer Junge, seine Eltern sind Polizisten, manchmal | |
| kommen noch zwei ältere Mädchen. Zu Hause sagt er immer, dass er nicht | |
| hinwill, aber dort gefällt es ihm dann doch. | |
| In der Praxis haben wir 13 Corona-Abstriche gemacht. Es gibt inzwischen | |
| eine gewisse Routine. Jedenfalls erscheint es mir nicht mehr so | |
| außergewöhnlich, wie die Leute auf dem Bürgersteig vor meinem Wohnwagen | |
| stehen. Die Patienten sind wirklich nett. Viele bedanken sich, dass wir die | |
| Abstriche nehmen. Das tut schon gut. | |
| Die Schutzkleidung haben wir noch nicht bekommen. Aber ein befreundeter | |
| Arzt in Charlottenburg hat sie bereits: drei Astronautenanzüge, eine Kiste | |
| mit FFP3-Masken, eine Schachtel mit Mund-Nase-Schutz, Handschuhe. Wenn es | |
| wirklich nur drei Overalls sind, wäre das echt zu wenig. | |
| ## Freitag, 3. 4. 2020 | |
| Bestätigte Fälle deutschlandweit: 79.696 | |
| Verstorbene: 1.017 | |
| Der Intensivpfleger: Bei uns sind es sind immer noch vier Covid-Patienten – | |
| drei davon intubiert, einer wird bisher nur überwacht. Von dem | |
| Beatmungsgerät bekommen die Patienten mit hohem Druck das Drei- bis | |
| Vierfache an Sauerstoff im Vergleich zum normalen Sauerstoffgehalt in die | |
| Lunge gedrückt. Das ist auch belastend. Da gilt grundsätzlich: Je länger | |
| die Beatmung dauert, desto schlechter die Prognose. | |
| Ich war heute Nacht mit Nicht-Covid-Patienten beschäftigt, die intubiert | |
| sind. Kreislaufüberwachung, bei einem habe ich eine Blutwäsche gemacht, | |
| dazu die Grundpflege – Patienten waschen, Betten beziehen, | |
| Infusionsmaterial wechseln. | |
| Zurzeit gibt es ja dieses Phänomen, dass Leute auf ihren Balkon stehen und | |
| für das Pflegepersonal klatschen. Ganz ehrlich? Ich finde das lächerlich. | |
| Und das geht meinen Kolleginnen und Kollegen auch so. An der Pinnwand hängt | |
| bei uns ein Zettel: „Toll geklatscht, da kann ich dann meine nächste Miete | |
| von bezahlen.“ Diese Wertschätzung wird nicht anhalten. Wenn Covid vorbei | |
| ist, vergisst man das ganz schnell wieder. | |
| Jens Spahn hat gesagt, dass er es nicht ausschließen kann, dass es bei uns | |
| in den Krankenhäusern doch auch Zustände geben wird wie in Bergamo oder New | |
| York. Das ist schon richtig. Ausschließen kann das keiner. Wir warten jetzt | |
| seit 10 Tagen auf die große Welle. Ich hätte eigentlich gedacht, dass sie | |
| schneller kommt. | |
| Der Hausarzt: Heute waren weniger Menschen für Abstriche da. Ein Patient, | |
| der positiv auf Corona getestet wurde, hat mich angerufen. Er komme nicht | |
| mehr hoch, hat er gesagt. Ich habe schon an seiner Atmung am Telefon | |
| gehört, dass er Hilfe braucht, und habe den Notarzt gerufen, der ihn ins | |
| Krankenhaus fährt. Jetzt mache ich gleich noch einen Hausbesuch. | |
| Ich hatte ja auf neue Schutzkleidung gehofft, aber von der Kassenärztlichen | |
| Vereinigung kam auch heute keine Nachricht. | |
| Am letzten Wochenende habe ich mit den Kindern im Garten ein Baumhaus | |
| gebaut, zur Abwechslung. Das hat total gutgetan, auch wenn bislang nur zwei | |
| Pfosten stehen. Dieses Wochenende wird daraus leider nichts, ich muss in | |
| der Praxis die Abrechnung machen. | |
| 4 Apr 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Pfaff | |
| Antje Lang-Lendorff | |
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