| # taz.de -- Coronakrise in Deutschland: Das Schlimmste kommt erst noch | |
| > Wer jetzt nach Exit aus den Coronamaßnahmen ruft, handelt populistisch. | |
| > Ein Blick auf die Fallzahlen zeigt: Das Drama kommt noch. Ein | |
| > Kassandraruf. | |
| Bild: Der Ernstfall kommt noch: Training mit Puppe am 2. April in Rheinmünster | |
| Das seit Tagen anschwellende Gerede über eine Exitstrategie aus den | |
| Corona-Maßnahmen hat vor allem einen Zweck: Es dient der Beruhigung der | |
| besorgten und genervten Bevölkerung. Das aber ist fatal. Denn wer derzeit | |
| den Eindruck erweckt, bald könnte das Schlimmste vorüber sein, der ist | |
| entweder ein populistischer Blender. Oder er hat wenig Ahnung von | |
| Mathematik. | |
| Ein nüchterner Blick auf die Zahlen lässt erkennen: Wir stehen keineswegs | |
| kurz vor dem großen Turn-Around, sondern immer noch ganz am Anfang der | |
| Coronakrise. Mehr als 73.000 bestätigt mit Corona Infizierte [1][meldete | |
| das Robert-Koch-Institut am Donnerstag]. Das waren 6.150 Fälle mehr als am | |
| Tag zuvor. In absoluten Zahlen der zweitstärkste Anstieg bisher. | |
| Das Drama dabei: Die Fallzahl stieg in der vergangenen Woche immer noch im | |
| Schnitt um 11 Prozent, Tag für Tag. Ginge das konstant so weiter, hätten | |
| wir binnen 30 Tagen – also Ende April rund 1,5 Millionen Infizierte. Und am | |
| 20. April, der Tag, an dem [2][laut neusten Beschlüssen von Bund und | |
| Ländern] die Kontaktsperren gelockert werden könnten, gäbe es rund 450.000 | |
| bestätige Fälle. | |
| Aus dem Bundeskanzleramt, das sich zum Glück bisher sehr bedächtig zeigte, | |
| hieß es Anfang der Woche, wenn es gelänge, die Infektionsgeschwindigkeit so | |
| zu senken, dass sich die Zahl der Infizierten nur noch alle zehn Tage | |
| verdoppeln würde, sei man auf dem richtigen Weg. | |
| Aber können dann die Maßnahmen gelockert werden? Nein. Selbst eine | |
| Verdopplung nur alle zehn Tage würde bedeutet: Am 20. April, wird es immer | |
| noch 270.000 Infizierte geben. Und Ende April mehr als eine halbe Million. | |
| Nicht von ungefähr hat die Kanzlerin sich am Mittwoch korrigiert. Angela | |
| Merkel sagte, dass man die Verdopplungszeit sogar auf 14 Tage strecken | |
| müsse. Das entspräche einem täglichen Wachstum von nur 5 Prozent. Davon | |
| sind wir noch weit entfernt. | |
| ## Exponentielle Zunahme der Todesfälle | |
| Noch dramatischer wird sich die Zahl der Todesfälle entwickeln. Denn sie | |
| hinkt der Infiziertenrate rund drei Wochen hinterher. Der dramatisch | |
| exponentielle Anstieg steht uns in den nächsten Tagen also noch bevor. Es | |
| wird wohl nicht mehr um die Frage gehen, ob es über 10.000 Tote werden, | |
| sondern wann. | |
| Aber, werden nun die einen einwenden, muss man nicht die heute Infizierten | |
| bei solchen Prognosen wieder rausrechnen? Stimmt, das muss man. Weil bis | |
| Ende April sind sie entweder wieder gesund. Oder tot. Aber bei 500.000 oder | |
| gar einer Million potenzieller Patienten wird es für das Gesundheitssystem | |
| auf 60.000 mehr oder weniger auch nicht mehr ankommen. Es wird so oder so | |
| an der Grenze der Kapazitäten sein. Oder weit darüber hinaus. | |
| Und was, werden andere fragen, ist mit der Besserung, die viele Experten | |
| wie etwa den Chef des Robert-Koch-Instituts von [3][vorsichtigem | |
| Optimismus] reden ließ? Ja, die gab es tatsächlich. Vor einer Woche lag die | |
| durchschnittliche, tägliche Zuwachsrate noch bei 21 Prozent. Wäre es dabei | |
| geblieben, hätte es binnen 30 Tagen 10 Millionen Infizierte gegeben. Allein | |
| in Deutschland wohlgemerkt. | |
| Das große Ziel, die Kurve flach zu halten, wurde also erreicht. Doch weil | |
| sie anfangs extrem steil war, ist sie trotz aller Fortschritte bei weitem | |
| noch nicht flach genug. | |
| ## Es wird keine Lockerung am 20. April geben | |
| Dritte hingegen werden kritisieren, dass all diese Zahlen doch vollkommen | |
| unzuverlässig sind. Dass niemand genau sagen kann, wie viele Infizierte es | |
| tatsächlich gibt. Auch das stimmt. Das Problem ist nur: Experten gehen | |
| davon aus, dass die reale Fallzahl sogar drei- bis zehnmal höher ist. | |
| Jedenfalls nicht niedriger. | |
| Vor allem aber gilt: Es sind die einzigen Zahlen, nach denen wir uns | |
| richten können. Sie stimmen wahrscheinlich nicht in ihrer absoluten Größe, | |
| aber sie zeigen einen Trend auf. Und der zeigt weiter steil nach oben. | |
| Daher ist schon jetzt klar ist: Es wird kaum eine Lockerung der | |
| Anti-Corona-Maßnahmen in Deutschland ab dem 20. April geben können. | |
| Sicher, ganz sicher kann man darauf vertrauen, dass das Gesundheitssystem | |
| in Deutschland viel besser aufgestellt ist als etwa in Italien und Spanien. | |
| Es wird daher etwas später überlastet sein. Nicht auszuschließen ist auch, | |
| dass die Rate der Neuinifizierten aufgrund der bereits getroffenen | |
| Maßnahmen schneller sinkt als derzeit absehbar. Hoffentlich. | |
| Vielleicht wird alles gut. Vielleicht. Bekanntlich stirbt die Hoffnung | |
| zuletzt. Aber man darf nicht verdrängen: auch sie stirbt. | |
| 2 Apr 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html | |
| [2] /Beschraenkungen-waehrend-der-Feiertage/!5675945 | |
| [3] /Corona-Neuinfektionen-in-Deutschland/!5675756 | |
| ## AUTOREN | |
| Gereon Asmuth | |
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