# taz.de -- Haus- und Zahnärzte in Not: Behandlung in der Garage | |
> Praxisärzte müssen Mitarbeiter und Patienten vor Corona schützen. Einige | |
> bauen ein Zelt auf, andere bitten mögliche Virusträger in den Hinterhof. | |
Bild: Die Corona-Ambulanz des Kreuzberger Zentrum für Ganzheitliche Medizin im… | |
BERLIN taz | „Und dann habe ich mich an das alte Partyzelt erinnert.“ | |
Marieke Atangana lacht ins Telefon. Knapp drei Wochen ist es her, dass der | |
Hausärztin aus dem niedersächsischen Achim die Idee kam, wie sie die | |
Praxis, in der sie arbeitet, vor der drohenden Schließung bewahren könnte, | |
eine Idee, schräg, ungewöhnlich und, nun ja, dynamisch, um es mit der | |
Schlüsselvokabel der Pandemie zu sagen. Auch bei ihnen im Landkreis hatte | |
es bereits damals erste Corona-Fälle gegeben; [1][Urlaubsrückkehrer aus | |
österreichischen Skigebieten], mit ihnen fing es an. | |
„Mein Chef und ich waren ständig in Sorge, dass das Gesundheitsamt uns die | |
Praxis dichtmacht. Es hätte gereicht, dass ein Corona-Infizierter das | |
Wartezimmer betritt und die anderen Patienten gefährdet. Oder dass er uns | |
oder unser Personal ansteckt.“ Ein Schreckensszenario – medizinisch, | |
versorgungstechnisch, ökonomisch. | |
Atangana, Typ zupackend und patent, und ihr Chef Parwis Azimi mussten eine | |
Lösung finden, wie sie Patienten mit Atemwegserkrankungen räumlich von den | |
anderen trennen konnten, von den Diabetikern, den Rückenkranken, den | |
Kreislaufschwachen und wer sonst noch zur typischen Klientel | |
niedergelassener Hausärzte gehört. „Aber unsere Praxis gab das nicht her.“ | |
Doch dann fiel Atangana das weiße Partyzelt ihres Chefs ein, mit | |
Pagodenoptik, Fensterkreuzen aus Plastik und Gasheizstrahler ganz im Design | |
westdeutscher Sommerfeste der 1990er Jahre, irgendwie aus der Zeit gefallen | |
und natürlich ohne festen Boden. Aber eben auch: ein isolierter Ort, | |
allemal tauglich, um mit einem Wattestäbchen Abstriche aus dem Rachen | |
hustender Patienten zu nehmen, in ein Röhrchen zu packen und dem Fahrdienst | |
ins Labor mitzugeben. | |
„Die meisten Patienten sind sehr dankbar. Denn ich mache in dem Zelt ja | |
nicht nur Abstriche. Sondern ich kann die Patienten auch klinisch | |
untersuchen, was andere nicht machen aus Angst vor Übertragung“, sagt die | |
Ärztin. Inzwischen haben Marieke Atangana und Parwis Azimi ihr Zelt um | |
einen ausrangierten Wohnwagen erweitert, der dauergeparkt vor der Praxis | |
steht. Ordnungs- und Gesundheitsamt üben sich derweil in Toleranz. | |
Deutschland geht plötzlich unbürokratisch. | |
## Eine Zerreißprobe | |
Das ist die Mut machende Seite der Geschichte über niedergelassene Ärzte, | |
die sich gerade überall im Land einer Zerreißprobe stellen: Sie wollen | |
mithelfen, dass möglichst viele Verdachtspatienten einen niedrigschwelligen | |
Zugang zum Coronatest erhalten – und bangen zugleich, wie sie sich, ihr | |
Personal und insbesondere ihre anderen Patienten vor dem Virus schützen | |
können. Denn wie geht das, wenn es nicht nur an Räumen mangelt, sondern | |
wenn selbst die basics des Selbstschutzes – Atemmasken, Schutzanzüge, | |
Handschuhe, Desinfektionsmittel – vielerorts fehlen? Wenn Gesundheitsämter | |
Praxen mit Schließung drohen? Wenn viele der herkömmlichen Patienten aus | |
Angst wegbleiben – und mit ihnen die Einnahmen? Wenn in der größten | |
globalen Gesundheitskrise ausgerechnet und absurderweise Vertreter | |
medizinischer Berufe in Existenznot geraten? | |
Es ist ja nicht so, dass das Problem nicht erkannt wäre. Vor „gravierenden | |
Honorarminderungen“ warnt der NAV-Virchow-Bund, der Berufsverband der | |
niedergelassenen Ärzte in Deutschland. Die Berliner Charité, Europas | |
größtes Krankenhaus, sorgt sich wegen des „Rückgangs von Schlaganfall- und | |
Herzinfarktpatienten“ seit Beginn der Pandemie. | |
Ein „Armutszeugnis“ stellt der Deutsche Hausärzteverband der Regierung aus | |
angesichts des „eklatanten [2][Mangels an Schutzkleidung“] in vielen | |
Praxen; die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und | |
Notfallmedizin spricht gar von „Staatsversagen“. Die Landesärztekammer | |
Brandenburg warnt vor einem „Infektionsrisiko für Mitarbeiter und | |
Patienten“. Der Marburger Bund, der Verband der angestellten und beamteten | |
Ärzte Deutschlands, fordert „zusätzliche Fertigungskapazitäten im Inland�… | |
Derweil die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci konstatiert, es | |
habe „alle kalt erwischt“. Was folgt nun daraus für die Ärztinnen und Är… | |
vor Ort? | |
Marieke Atangana und Parwis Azimi sind nicht die Einzigen, die sich und | |
ihrem Praxisteam fürs Erste selbst aus der Patsche geholfen haben: | |
Austausch_Covid19 heißt die WhatsApp-Gruppe, die die Ärztin aus Achim | |
initiiert hat, um mit befreundeten Kolleginnen und Kollegen über | |
unkonventionelle Konzepte für ausgelagerte Praxisräume zu brainstormen, | |
wissenschaftliche Erkenntnisse über Krankheitsverläufe zu teilen und über | |
Auswege aus der drohenden ökonomischen Krise zu diskutieren. | |
Ihr Hausarztkollege Stefan Karakaya aus Berlin betreibt im Stadtteil | |
Neukölln seit gut zwei Wochen in seinem Coronamobil, einem runtergerockten | |
Wohnwagen ohne TÜV, dafür aber mit behördlicher Standortgenehmigung in | |
unmittelbarer Nähe seiner gewöhnlichen Praxis, ebenfalls eine | |
Untersuchungsstation für Infektpatienten. | |
Der Arzt Nikolai Westphal, auch aus Berlin, entrümpelte in Kreuzberg | |
kurzerhand eine Hinterhofgarage, stellte eine Elektroheizung und ein paar | |
Stühle hinein – fertig war die Corona-Ambulanz. „Natürlich waren wir | |
nervös“, sagt Westphal, „aber das Gesundheitsamt war äußerst kooperativ.… | |
## Patienten als Bedrohung | |
Die fast größere Herausforderung sei es, sagt der Arzt, erstmals in seinem | |
Berufsleben Patienten auch als Bedrohung wahrzunehmen, dann nämlich, wenn | |
sie sich aus Versehen, Nachlässigkeit oder Unverständnis nicht an die | |
Regeln halten, die für sein fragiles Konstrukt existenziell sind: „Da den | |
richtigen Ton zu treffen, menschlich im Umgang miteinander und | |
verständnisvoll zu bleiben, das beschäftigt mich schon sehr“, sagt | |
Westphal. | |
In Achim südlich von Bremen haben die Hausärztin Marieke Atangana und ihr | |
Chef Parwis Azimi derweil die Dienste klar unter sich aufgeteilt. Während | |
sie draußen die Patienten mit Erkältungssymptomen versorgt, versucht er | |
drinnen in der Praxis, den normalen Betrieb aufrechtzuerhalten. „Vor dem | |
Dienst ziehe ich mich im Heizungskeller um“, erzählt Marieke Atangana, | |
„unter dem Schutzanzug trage ich Skiunterwäsche, eine Winterjacke und einen | |
Schal“. Zur Vermummung gehören daneben eine Schutzbrille, Handschuhe und | |
eine Spezial-Atemschutzmaske über die, weil es derzeit ihre einzige ist, | |
Atangana einen Einweg-Mund-Nasen-Schutz zieht. „Die knappen Bestände sind | |
ein Problem“, sagt die Ärztin, „aber man kann sich helfen“. Weil | |
Einmalschutzanzüge Mangelware sind, trägt Atangana nun eben alte OP-Kittel, | |
die sie abends in die Kochwäsche steckt. | |
Die aufwendige Prozedur dient dem Schutz der Patienten, aber auch dem der | |
eigenen Kollegen. „Wenn ich mich infiziere, sind alle anderen noch da“, | |
sagt Marieke Atangana. Im Fall der Fälle müsste die Praxis dann zumindest | |
nicht komplett geschlossen werden. Auch deshalb achtet sie peinlich genau | |
darauf, die Einzige zu sein, die mit den womöglich Corona-Infizierten | |
Kontakt hat. „Die Versichertenkarte lese ich mit einem mobilen Kartengerät | |
ein, den Befund diktiere ich durchs Fenster, und Rezepte und | |
Krankschreibungen werden ebenfalls durchs Fenster rausgereicht.“ Eine | |
vorübergehende Schließung, sagt ihr Chef Parwis Azimi, die länger dauern | |
würde als ein paar Wochen, „wäre existenzbedrohend“. Ohnehin mache die | |
Praxis seit Ausbruch der Pandemie nur noch 10 Prozent ihres Umsatzes – | |
viele der gewöhnlich erscheinenden Patienten blieben aus Angst vor | |
Ansteckung weg. | |
## Es drohen Kurzarbeit und Entlassungen | |
Bei Stefan Karakaya in Berlin zum Beispiel nimmt nur noch etwa die Hälfte | |
seiner Stammpatienten, viele davon chronisch Kranke, die | |
Untersuchungstermine wahr. „Im Moment versprechen die Kassenärztlichen | |
Vereinigungen, dass sie die Zahlungen an uns weiterhin garantieren“, sagt | |
Parwis Azimi, „aber irgendwann wird man über Kurzarbeit oder Entlassungen | |
nachdenken müssen.“ | |
Der Zahnarzt Ulrich Barth hat diese Gedanken bereits in die Tat umgesetzt. | |
Seine Praxis in Welzow, einem 3.800-Einwohner-Ort bei Cottbus, ist seit | |
eineinhalb Wochen geschlossen – krankheitsbedingt und für unbestimmte Zeit. | |
So jedenfalls, erzählt Barth, habe er es an seine Praxistür geschrieben. | |
„Ich hatte noch zwei Atemmasken für meine acht Beschäftigten und mich“, | |
sagt der Zahnarzt, „wie soll ich damit mein Personal schützen?“ 80 | |
Patienten versorgen Barth und sein Team durchschnittlich – pro Tag. „Ganz | |
klar“, sagt der Arzt, „ich habe einen Versorgungsauftrag, ich trage | |
Verantwortung.“ Aber wie soll er diesen gerecht werden, wenn er diejenigen, | |
denen er doch helfen soll und will, im Zweifel krank macht oder sie ihn? | |
„Es gibt kaum einen Ort, an dem man sich besser infizieren kann als beim | |
Zahnarzt“, sagt Barth, er klingt bitter. Termine für eine professionelle | |
Zahnreinigung hatte er schon früh abgesagt, weil dabei Pulverstrahlgeräte | |
eingesetzt werden, die besonders viele Flüssigkeitstropfen produzieren. | |
Er wird nun beim Land Brandenburg Soforthilfe beantragen, 1.500 Euro, hat | |
er ausgerechnet, müsste er kriegen, dann Kurzarbeit für seine Angestellten. | |
„Und den Rest finanziere ich vom Sparbuch – solange es geht.“ | |
1 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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