Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ärzte und Pflegende in der Corona-Krise: Wie schlimm wird es noch?
> Sie kämpfen jeden Tag gegen das Virus. Wie erleben sie diesen neuen
> Alltag? Durch die Woche mit einer OP-Schwester, einem Pfleger und einem
> Hausarzt.
Bild: Anmeldung zum Corona Test beim Hausarzt auf der Strasse in Berlin-Neuköl…
Die Zahl der Coronainfizierten steigt und damit auch die Zahl der
Schwerkranken. ÄrztInnen und Pflegende kämpfen jeden Tag gegen das Virus.
Wie erleben sie diesen neuen Alltag? Wir haben eine OP-Schwester aus
München, einen Intensivpfleger aus dem Rhein-Main-Gebiet und einen Hausarzt
aus Berlin gebeten, uns einen Einblick in ihre Woche zu geben.
Die OP-Schwester: Sie ist 60 Jahre alt und arbeitet seit 30 Jahren als
OP-Schwester, derzeit in einem Münchner Klinikum. Damit sie freier sprechen
kann, möchte sie anonym bleiben.
Der Intensivpfleger: Er ist 58 Jahre alt und arbeitet seit 35 Jahren als
Intensivpfleger, zurzeit auf einer Intensivstation eines
Universitätsklinikums im Rhein-Main-Gebiet. Damit er freier sprechen kann,
möchte er anonym bleiben.
Der Hausarzt: Stefan Karakaya, 45, ist Hausarzt in Berlin-Neukölln. Vor
seiner Praxis im Erdgeschoss hat er einen alten Wohnwagen geparkt, als neue
Außenstelle. Karakaya nimmt darin Abstriche für Corona-Tests.
Die OP-Schwester hat ihre Einträge per WhatsApp geschickt, die anderen
Texte wurden aus Telefonaten verschriftlicht.
## Sonntag, 29. 3. 2020
Bestätigte Corona-Fälle laut Robert-Koch-Institut deutschlandweit: 52.547
Verstorbene: 389
Die OP-Schwester: Heute war ein normaler Wochenend-Arbeitstag von 11
Stunden. Der Vormittag war ruhig, um 11.30 Uhr ein Kaiserschnitt; Mutter
und Kind wohlauf. Viele Gespräche mit Kollegen, wie die nächsten Wochen
wohl werden. Dann plötzlich eine Anmeldung: alte Frau mit Darmverschluss
und Covid-19-Verdacht. Vor meinem inneren Auge spult sich der Ablauf mit
allen Sicherheitsmaßnahmen ab. Dabei merke ich trotz der Vorbereitung eine
gewisse Nervosität.
Leider dauert es ewig, bis es losgeht, da einige Beteiligte nicht genau
wissen, wie sie sich verhalten müssen. Ich hatte angenommen, dass die
Abläufe in allen Abteilungen kommuniziert worden sind. Wohl doch nicht,
oder es fehlt die Routine. Die Patientin ist schwer krank. Nach einer
Stunde kommt während der OP der Anruf mit dem Testergebnis: negativ,
Isolierung aufheben, Erleichterung! Die Patientin wird erfolgreich
operiert. Dann noch ein Kind mit Blinddarmentzündung. Auch dieser Patient
verlässt sicher den OP. Alles in allem ein guter Tag. Trotzdem schwebt die
Angst über allem: Wie schlimm wird es noch? Wird das Material reichen? Wie
geht es weiter, wenn die Intensivstationen volllaufen?
## Montag, 30. 3. 2020
Bestätigte Fälle deutschlandweit: 57.298
Verstorbene: 455
Der Hausarzt: Ab 7 Uhr war ich in meiner Praxis in Berlin-Neukölln. Ich
habe Laborergebnisse angeschaut, Papierkram gemacht. Ab 8 Uhr kommen die
normalen Patienten in die Praxis.
Um 10 Uhr bin ich raus in den Wohnwagen. Ich habe zuerst den Heizlüfter
angeschmissen. Ich ziehe meine Schutzkleidung an, den Plastik-Overall,
Maske und Brille. Alle, die einen Infekt haben oder Fieber unklarer
Ursache, untersuche ich dort.
Die Patienten verteilen sich auf dem Gehsteig, stehen in großem Abstand
zueinander, das sieht schon komisch aus. Ich rufe sie in den Wagen, sie
nehmen in der Sitzecke Platz. Wir reden, dann entscheide ich, ob ich
untersuche oder nur einen Abstrich mache. Ich kann die Lunge abhören,
Fieber messen, den Sauerstoffgehalt im Blut, eine komplette Untersuchung,
nur Hinlegen geht nicht, dafür ist es zu eng.
Heute waren 24 Leute da. Einer hatte eine Mandelentzündung. Bei einem
anderen war gar nichts – außer Sorge. Insgesamt habe ich 20 Abstriche
gemacht und ins Labor geschickt. Die Befunde bekomme ich immer am nächsten
Tag.
Den Wohnwagen habe ich seit fünf Jahren. Er ist original 60er Jahre, auch
innen. Wir sind mit der Familie damit bis in die Bretagne gefahren, auf
einen Campingplatz am Atlantik. In einem der Urlaube bin ich an einem Stein
hängen geblieben, dabei ist die Rückwand aufgegangen. Deshalb steht der
Wagen seit einer Weile nur rum. Ich hatte ihn schon fast vergessen. Jetzt
hat er eine neue Funktion.
Angst vor Corona habe ich nicht. Ich gehe davon aus, dass uns das früher
oder später alle mal erwischt und wir dann hoffentlich genug Immunität
haben. Dass ich ein potenzielles Risiko für meine Familie bin, ist mir
schon klar. Mir macht das aber keine großen Sorgen, meiner Ex-Frau auch
nicht. Weil nach allem, was man weiß, Kinder kaum daran erkranken. Man muss
unterbinden, dass sie Überträger sind. Deshalb ist es gut, dass sie im
Moment zu Hause bleiben.
Der Intensivpfleger: Heute habe ich Nachtschicht. Die letzten zwei Tage
hatte ich frei, deshalb weiß ich noch nicht genau, was auf mich zukommt –
aber das macht mir auch keine Sorgen. In meinem Beruf muss man überzeugt
davon sein, dass man sich mit der richtigen Ausrüstung vor ansteckenden
Krankheiten schützen kann. Und Covid-Patienten sind von der Arbeitsweise
für uns nicht anders als Influenza-Patienten, die wir jedes Jahr haben.
Vergangene Woche sind bei uns Pfleger und Schwestern der
Intermediate-Care-Abteilung mitgelaufen, um zu sehen, wie wir arbeiten. IMC
ist ein Zwischending zwischen Intensiv- und normaler Station. Das sind
Leute, die bei uns vielleicht aushelfen können, wenn es hart auf hart
kommt. Die haben auch schon mal eine Lunge abgesaugt – das kann man nämlich
nicht einfach nebenbei lernen. Wenn ich jetzt höre, dass auch
Medizinstudenten im fünften Semester bei uns mitarbeiten könnten, muss ich
sagen: Das ist weltfremd. Die könnten vielleicht Bettpfannen leeren, aber
bei intubierten Patienten gibt es keine Bettpfannen. Im Ernstfall würde so
jemand hier nur im Weg rumstehen.
Die OP-Schwester: Heute hatte ich einen Ausgleichstag für gestern. Da
konnte ich ausschlafen. Dann Wäsche waschen, bügeln und für morgen
vorkochen. Eine Freundin von mir wohnt auch allein. Da haben wir einen
Spaziergang mit Abstand gemacht. Das war schön. Manchmal klatschen Menschen
jetzt auf ihren Balkonen. Ich finde diese Wertschätzung schön. Ich schaffe
es im Alltag ja auch nicht, mit den Stahlarbeitern auf die Straße zu gehen
– aber vielleicht sind bei der nächsten Pflegedemo ein paar mehr Menschen
dabei, die uns unterstützen. Am Ende werde ich die Politiker daran messen,
was sie für uns getan haben, und nicht meine Nachbarn.
## Dienstag, 31. 3. 2020
Bestätigte Fälle deutschlandweit: 61.913
Verstorbene: 583
Die OP-Schwester: Nun ist der Mangel an Material auch bei uns angekommen.
Wir werden sehr deutlich angehalten, MNS-, FFP2- und FFP3-Masken sehr
sparsam anzuwenden. Wir suchen nach Lösungen für einen alternativen
Gesichtsschutz und versuchen etwas zu basteln, das auch Mund und Nase
schützt. Damit war ich heute zwei Stunden beschäftigt, optimal ist das noch
nicht, aber noch haben wir ja Masken – wie lange noch? Wieder eine
OP-Anmeldung mit Covid-19-Verdacht, wieder ist sehr viel Kommunikation
vonnöten. Wer muss welche Regeln einhalten?
Nach Feierabend war ich noch bei meinem Buchladen, da kann man telefonisch
bestellen. Jetzt noch ein paar nette Bücher suchen und dann geht’s los.
Dieser Laden soll nicht pleitegehen, ich bin so froh, dass es den um die
Ecke gibt.
Der Hausarzt: Ich habe eine E-Mail bekommen, angeblich ist neue
Schutzausrüstung bei der Kassenärztlichen Vereinigung angekommen. Ich habe
deshalb gleich morgens um 8 Uhr zwei Mitarbeiterinnen hingeschickt. Wir
waschen schon den normalen Mund-Nase-Schutz. Auch Plastik-Overalls könnte
ich gut gebrauchen. Da habe ich nur noch drei originalverpackt, eigentlich
soll man die nur ein Mal benutzen.
Die Mitarbeiterinnen waren leider umsonst bei der KV: Man muss eine
schriftliche Benachrichtigung vorweisen. Die haben wir noch nicht, also
sind sie ohne Sachen wieder zurück.
Es war ziemlich voll heute bei uns. Ich habe in der Praxis Patienten
versorgt, meine Kollegin hat im Wohnwagen die Abstriche genommen, 17
insgesamt.
Was mich heute beschäftigt hat, sind Diskussionen mit den Kollegen. Ich bin
in mehreren Chatgruppen, wir schicken uns Fachartikel. Die meisten in dem
Verteiler stehen hinter den Maßnahmen der Regierung. Aber es gibt auch
einige, die fragen, ob Corona wirklich etwas anderes ist als Grippe. Auch
für mich ist es wichtig, mich zu sortieren: Was ist korrekt, was nicht? Die
Patienten wollen ja von mir hören, ob das alles so richtig ist, sie haben
Ängste.
Ich glaube schon, dass die Maßnahmen richtig sind. Aber man weiß nicht, wie
viele Leute wirklich an Covid-19 sterben, dafür gibt es noch nicht genug
Zahlen.
Der Intensivpfleger: Mein Dienst heute Nacht war sehr ruhig. Wir hatten
zwei Covid-Patienten, fünf von elf Betten der Station sind gerade belegt.
Dafür sind wir in der Nachtschicht vier Leute. Was Laien sich nicht so gut
vorstellen können: Wenn man einen Patienten auf Intensiv hat, der mehrere
Probleme hat, hat man allein mit diesem praktisch die ganze Nacht zu tun.
Bei einem Covid-Patienten, der beatmet werden muss, muss man regelmäßig die
Lunge absaugen. Dazu haben die meisten eine Kreislaufschwäche, deshalb
müssen sie Kreislaufmittel bekommen – das muss ständig überwacht werden.
Bei vielen kommt noch ein Nierenversagen dazu, sodass eine Dialyse
durchgeführt wird. Da hat man schon zu tun.
## Mittwoch, 1. 4. 2020
Bestätigte Fälle deutschlandweit: 67.366
Verstorbene: 732
Der Hausarzt: Von den 20 Abstrichen am Montag waren 5 positiv, von den 17
am Dienstag 4. In der vergangenen Woche gab es oft nur einen positiven
Befund, mal 3, wenn die Leute in derselben Kneipe waren.
Die Leute, die kommen, sind etwas kränker als noch vergangene Woche. Was
ich auch feststelle: Die, die über Luftnot klagen und über sonst nicht
viel, haben oft einen positiven Befund. Anfangs habe ich das als Symptom
nicht so ernst genommen, weil man sich Luftnot ja auch einreden kann. Jetzt
achte ich mehr darauf.
Ich war ganz froh heute, dass alle normalen Patienten zu ihren Terminen
kamen. Ungefähr die Hälfte blieb zuletzt weg. Das ist für mich ein
ökonomisches Problem, mein Umsatz bricht ein. Einerseits muss ich dafür
sorgen, dass möglichst wenige kommen wegen der Ansteckung, andererseits
brauche ich auch Patienten – und diejenigen mit chronischen Erkrankungen
muss man jedes Quartal angucken.
Ich weiß noch nicht, welchen Schaden ich habe, deshalb weiß ich auch nicht,
ob ich eine Entschädigung beantragen soll.
Heute habe ich versucht, eine Videosprechstunde zu starten, aber das ist
mir technisch noch nicht gelungen. Ich bin am Login gescheitert, meine
Daten stimmten nicht, das war frustrierend.
Die OP-Schwester: Jeden Morgen werden die Frühbesprechungen länger, es gibt
immer mehr neue Infos zu Abläufen und neue Regeln. Es wurden Freiwillige
gesucht, die sich anlernen lassen, um auf der Corona-Intensiv zu arbeiten.
Drei haben sich gemeldet, eine erzählt, dass sie nicht ordentlich angelernt
wird, weil die Kollegen überfordert sind. Die haben jetzt ja auch mehr
Arbeit als sonst, und wir können die Gesamtsituation einfach nicht
überblicken.
Das OP-Programm ist heute recht voll und anspruchsvoll. Ich muss zu einer
komplizierten Bandscheiben-OP, hatte ich lange nicht mehr. Die besondere
Konzentration ist gut, da sie von den anderen Sorgen ablenkt. Nach der
Mittagspause soll ein Kaiserschnitt kommen, doch kaum ist alles
vorbereitet, Programmumstellung: eine Nachblutung bei einem Patienten mit
Gerinnungsstörung! Also Tempo! Auch das geht letztendlich gut. Auf dem
Heimweg bin ich geschafft!
Am Abend ein Videotelefonat mit meinem Neffen und seiner kleinen Tochter:
ich erfahre, was gerade so vorgelesen wird, sehe einen selbstgebastelten
Traumfänger. Das tut gut.
Der Intensivpfleger: Heute Nacht war deutlich mehr los. Wir haben jetzt
vier Covid-Patienten, auf der Station sind gerade zehn von elf Betten
belegt. Eigentlich gilt bei uns eine 1:2-Betreuung, ein Pfleger kümmert
sich um zwei Patienten. Diese Regel wurde von der Klinikleitung aufgehoben,
das wird nicht durchhaltbar sein.
Ein Kollege ist mit Covid-Verdacht ausgefallen, wir haben kurzfristig einen
Ersatz bekommen – das war Glück. Sonst wären wir heute Nacht nur zu dritt
auf Station gewesen.
Auf unserer Station gibt es zwei Zimmer mit einer Schleuse davor, wo man
sich die Schutzkleidung anziehen kann – Kittel, Haube, Handschuhe,
Schutzbrille, FFP2-Maske. Mit vier Covid-Patienten liegen jetzt schon zwei
in Zimmern ohne Schleuse, da muss man sich dann im Zimmer umziehen. Das
Anziehen der Schutzkleidung dauert vielleicht drei Minuten. Wenn es ein
Notfall ist, geht das aber auch schneller. Dann kann man sich auch nicht 30
Sekunden die Hände desinfizieren, das ist nicht drin.
Für die nächsten Tage erwarte ich, dass es noch stressiger wird. Meist ist
es so: Die Arbeitsbelastung nimmt zu, das Personal ab. Manche bleiben zu
Hause, weil sie krank sind – manche, weil es ihnen zu stressig wird. 15 bis
20 Prozent solcher Kollegen gibt es immer.
## Donnerstag, 2. 4. 2020
Bestätigte Fälle deutschlandweit: 73.522
Verstorbene: 872
Der Intensivpfleger: Die Schicht war anstrengend. Die Zahl der
Covid-Patienten ist gleich geblieben, aber wir hatten in der Nacht drei
Neuzugänge mit anderen Krankheiten – darunter ein multimorbider Patient.
Ich musste Katheter legen und er brauchte eine Blutwäsche, da gehen die
Stunden schnell um.
Im gesamten Klinikum gibt es ein Besuchsverbot, aber wenn jemand im Sterben
liegt, dann dürfen ein, zwei Angehörige kommen. Ich denke, dass wir das
auch bei Covid-Patienten erlauben werden. Wir würden dem Angehörigen genau
erklären, wie die Schutzkleidung angezogen wird und was man im Zimmer
machen kann, was nicht.
Sterben ist bei uns Teil des Alltags. Wenn jemand 80 Jahre alt ist, und er
schafft es nicht, dann hat er ja sein Leben gelebt – so what? Anders ist es
bei jungen Müttern oder Vätern, das geht einem nahe, obwohl man das auf der
Arbeit lassen sollte.
Die Klinik wird nur bis zum dokumentierten Todeszeitpunkt für einen
Patienten bezahlt. Danach bleibt jeder Tote noch zwei Stunden auf Station
und wird dann noch mal von einem Arzt begutachtet – um ganz sicher zu sein.
Anschließend kommen die Mitarbeiter eines Bestattungsunternehmens und
bringen den Toten bei uns in die Pathologie. Am nächsten Tag wird der
Leichnam abgeholt.
Die OP-Schwester: Ich bin heute relativ früh aufgewacht, ich bin öfter
schlaflos im Moment. Deswegen fühle ich mich übermüdet. Unsere
Frühbesprechung ist wie immer eine never ending story, es gibt ständig neue
Infos. Wie ist der Stand der Dinge, wie viele Covid-Patienten sind bei uns
im Krankenhaus? Viele Kollegen benötigen diesen Termin, um sich dort
auszusprechen; das ist wahnsinnig wichtig.
Ansonsten ist keine schlechte Stimmung, wir haben genug zu tun. Bei einer
Patientin war kurz Stress, aber dann hat alles geklappt. Manchmal merke
ich, dass die Konzentration nachlässt – bei mir, aber auch bei Kollegen.
Wir reden dann darüber, dass es für alle schwierig ist. Aus manchen
sprudelt es richtig heraus, dieser Austausch tut gut.
Mittlerweile ist klar, dass Kollegen für die neue Intensivstation
abgestellt werden sollen. Der Aufwachraum ist so vorbereitet, dass er eine
komplette Corona-Intensiv mit 8 Betten werden kann – ohne zusätzliches
Personal, also werden das Anästhesiepflegekräfte machen und Fachschwestern
von der Intensiv, die irgendwie entbehrlich sein könnten. Wir OP-Kräfte
werden dann teils die Tätigkeiten der Anästhesiepflege übernehmen.
Mein Gefühl ist, es schreitet voran, da kommt was ins Rollen. Man würde
sich natürlich wünschen, dass es schneller geht, damit man mit dem
möglichen Ansturm der Schwerstkranken fertig wird. Aber ja, es steigt die
Hoffnung, mit der Krise fertig zu werden, und dass es vielleicht nicht wie
in Italien der absolute GAU wird.
Der Hausarzt: Ich musste den Jüngsten heute erst einmal in die Schule
bringen, in die Notbetreuung. Das ging nicht anders. In der Notbetreuung
ist sonst nur ein anderer Junge, seine Eltern sind Polizisten, manchmal
kommen noch zwei ältere Mädchen. Zu Hause sagt er immer, dass er nicht
hinwill, aber dort gefällt es ihm dann doch.
In der Praxis haben wir 13 Corona-Abstriche gemacht. Es gibt inzwischen
eine gewisse Routine. Jedenfalls erscheint es mir nicht mehr so
außergewöhnlich, wie die Leute auf dem Bürgersteig vor meinem Wohnwagen
stehen. Die Patienten sind wirklich nett. Viele bedanken sich, dass wir die
Abstriche nehmen. Das tut schon gut.
Die Schutzkleidung haben wir noch nicht bekommen. Aber ein befreundeter
Arzt in Charlottenburg hat sie bereits: drei Astronautenanzüge, eine Kiste
mit FFP3-Masken, eine Schachtel mit Mund-Nase-Schutz, Handschuhe. Wenn es
wirklich nur drei Overalls sind, wäre das echt zu wenig.
## Freitag, 3. 4. 2020
Bestätigte Fälle deutschlandweit: 79.696
Verstorbene: 1.017
Der Intensivpfleger: Bei uns sind es sind immer noch vier Covid-Patienten –
drei davon intubiert, einer wird bisher nur überwacht. Von dem
Beatmungsgerät bekommen die Patienten mit hohem Druck das Drei- bis
Vierfache an Sauerstoff im Vergleich zum normalen Sauerstoffgehalt in die
Lunge gedrückt. Das ist auch belastend. Da gilt grundsätzlich: Je länger
die Beatmung dauert, desto schlechter die Prognose.
Ich war heute Nacht mit Nicht-Covid-Patienten beschäftigt, die intubiert
sind. Kreislaufüberwachung, bei einem habe ich eine Blutwäsche gemacht,
dazu die Grundpflege – Patienten waschen, Betten beziehen,
Infusionsmaterial wechseln.
Zurzeit gibt es ja dieses Phänomen, dass Leute auf ihren Balkon stehen und
für das Pflegepersonal klatschen. Ganz ehrlich? Ich finde das lächerlich.
Und das geht meinen Kolleginnen und Kollegen auch so. An der Pinnwand hängt
bei uns ein Zettel: „Toll geklatscht, da kann ich dann meine nächste Miete
von bezahlen.“ Diese Wertschätzung wird nicht anhalten. Wenn Covid vorbei
ist, vergisst man das ganz schnell wieder.
Jens Spahn hat gesagt, dass er es nicht ausschließen kann, dass es bei uns
in den Krankenhäusern doch auch Zustände geben wird wie in Bergamo oder New
York. Das ist schon richtig. Ausschließen kann das keiner. Wir warten jetzt
seit 10 Tagen auf die große Welle. Ich hätte eigentlich gedacht, dass sie
schneller kommt.
Der Hausarzt: Heute waren weniger Menschen für Abstriche da. Ein Patient,
der positiv auf Corona getestet wurde, hat mich angerufen. Er komme nicht
mehr hoch, hat er gesagt. Ich habe schon an seiner Atmung am Telefon
gehört, dass er Hilfe braucht, und habe den Notarzt gerufen, der ihn ins
Krankenhaus fährt. Jetzt mache ich gleich noch einen Hausbesuch.
Ich hatte ja auf neue Schutzkleidung gehofft, aber von der Kassenärztlichen
Vereinigung kam auch heute keine Nachricht.
Am letzten Wochenende habe ich mit den Kindern im Garten ein Baumhaus
gebaut, zur Abwechslung. Das hat total gutgetan, auch wenn bislang nur zwei
Pfosten stehen. Dieses Wochenende wird daraus leider nichts, ich muss in
der Praxis die Abrechnung machen.
4 Apr 2020
## AUTOREN
Jan Pfaff
Antje Lang-Lendorff
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Hausarzt
Krankenpflege
Schwerpunkt Coronavirus
Medizin
Krankenhäuser
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
Gesundheit
Bergamo
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Pandemie-Schutz für Hamburgs Hausärzte: Coronapraxen kommen
Ärzt*innen wollen sich, ihre Mitarbeiter*innen und Patient*innen vor einer
Corona-Infektion schützen. Ein neues Konzept soll das nun erleichtern
Corona-Krankenhaus in der Messehalle: Die Betten sind schon da
Weil in der Messehalle 26 nur Platz für 500 Betten ist, muss eine weitere
Halle her. Engpässe gibt es bei den Beatmungsgeräten und bei Pflegern.
+++ Corona News vom 6. April +++: Größte Krise seit Bestehen der EU
Bundeskanzlerin Merkel spricht von größter Bewährungprobe der EU. Keine
Lockerungen in Deutschland. Die Nachrichten zum Coronavirus im Live-Ticker.
Auf einer Intensivstation in Bergamo: Nummer 6 stirbt
In der Klinik San Pietro spielen sich täglich neue Dramen ab. Menschen
ringen um Luft, ihre Angehörigen dürfen nicht zu ihnen, nicht einmal am
Ende.
Coronakrise in Deutschland: Das Schlimmste kommt erst noch
Wer jetzt nach Exit aus den Coronamaßnahmen ruft, handelt populistisch. Ein
Blick auf die Fallzahlen zeigt: Das Drama kommt noch. Ein Kassandraruf.
Haus- und Zahnärzte in Not: Behandlung in der Garage
Praxisärzte müssen Mitarbeiter und Patienten vor Corona schützen. Einige
bauen ein Zelt auf, andere bitten mögliche Virusträger in den Hinterhof.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.