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# taz.de -- WHO-Pandemieabkommen: An einem Strang ziehen
> Ein internationales Abkommen soll den Umgang mit Pandemien verbessern.
> Fast alle Staaten unterstützen das, doch um Details wird erbittert
> gerungen.
Bild: Mit dem internationalen Abkommen sollen entwickelte Produkte gegen Pandem…
Ein Plot wie bei „Star Trek“: Die Menschheit ist bedroht durch eine bisher
unbekannte Seuche, Forscher entwickeln binnen weniger Monate hochwirksame
Impfstoffe – die aber nicht sofort für alle reichen werden. Also vereinbart
die Weltgemeinschaft, die Impfstoffe gerecht zu verteilen. Denn globale
Seuchen lassen sich nur global bekämpfen. „Die Föderation basiert auf
Zusammenarbeit“ – Captain Picard wäre stolz auf uns.
[1][Covax] hieß die Initiative, für die reiche Länder gleich zu Beginn der
Coronapandemie eine Menge Geld und Zugeständnisse versprachen. Der
überwiegende Teil der Nationen trat bei und trotzdem scheiterte sie am
Ende. Sobald die Hoffnung auf einen Impfstoff Realität wurde, sicherten
sich die reichen Länder mehr Impfstoff, als sie überhaupt brauchten – auch
Deutschland. Gepfiffen auf die Weltgemeinschaft. Im Globalen Süden war
dagegen Ende 2021 nicht einmal das Gesundheitspersonal ausreichend geimpft.
Die Menschheit ist noch nicht erwachsen geworden, würde Captain Picard wohl
dazu sagen.
Aber der Funke war noch da: die Idee, dass sich Katastrophen am besten
überwinden lassen, wenn die Weltgemeinschaft zusammenarbeitet. Man müsste
es nur besser vorbereiten. [2][Im Dezember 2021], noch mitten in der
Coronapandemie, tagte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einer
Sondersitzung. Die 194 Mitgliedstaaten beschlossen, ein internationales
Pandemieabkommen zu erarbeiten. Das Ziel: künftigen Pandemien besser
vorbeugen, sie schneller erkennen und gemeinsam bekämpfen. Ab dem 27. Mai
kommen Vertreter*innen der WHO-Mitgliedsländer wieder zur jährlichen
Weltgesundheitsversammlung zusammen, um darüber abzustimmen.
Eigentlich müsste der Entwurf des Abkommens nach über zwei Jahren
Verhandlung vor dem Abschluss stehen, aber kurz vor der Konferenz sind die
Fronten verhärtet. Einige Länder und Organisationen sorgen sich, dass sich
bei der Chancengerechtigkeit ärmerer Länder nichts ändert,
[3][Pharmaunternehmen fürchten um Patentrechte] und Gewinne, andere
Kritiker werfen der WHO vor, über das Abkommen zu viel Macht zu erhalten.
Bei den Ländern des Globalen Südens stoßen vor allem die im Abkommen
vorgesehenen Verpflichtungen zu einem Ausbau der Gesundheitsversorgung und
einer [4][Überwachung von Tierseuchen] auf Kritik. Den Industrienationen
ist das zur Pandemie-Vorbeugung besonders wichtig. Auch wenn fast alle
Länder das befürworten, geht es in der Praxis um die Finanzierung und die
Sorge, dass in ärmeren Ländern dringlichere Probleme wie die
Basisversorgung zu wenig Beachtung finden.
Die vor allem in den reicheren Ländern ansässigen Pharmaunternehmen haben
wenig Interesse an einem solidarischen Austausch von Wissen, Rechten,
Technologien und Medizinprodukten. Sie malen den Teufel der
Innovationsbremse an die Wand, falls ihre Gewinnmöglichkeiten eingeschränkt
werden sollten.
Aber auch die Länder des Globalen Südens haben Bedenken in Sachen
Wissenstransfer. Wenn sie Proben und Daten zu neuartigen Erregern zur
weiteren Erforschung an westliche Pharmaunternehmen geben, werden sie dann
auch wirklich ausreichend berücksichtigt bei der Verteilung der
entwickelten Produkte? Die Erfahrungen aus der Coronapandemie haben viel
Vertrauen verspielt.
Das Pandemieabkommen im jetzigen Entwurf liefert einen simplen
Lösungsansatz: Wer Zugang zu den Erregern bekommt, muss später den Gewinn
teilen. Aber auch hier wird um die konkrete Ausgestaltung gerungen. Der im
April veröffentlichte Entwurf ist um ein Drittel kürzer als der vorherige
und in den Forderungen wesentlich abgemildert. Umstrittene Details sollen
erst im Verlauf des Jahres geklärt werden, damit, so die Hoffnung, doch
noch Anfang Juni ein gemeinsames Abkommen verabschiedet werden kann.
Das „Fenster der Möglichkeiten“ schließe sich, erklärte Precious Matsoso,
eine der Vorsitzenden des Verhandlungsgremiums für das Pandemieabkommen.
Und wenn es erst einmal zu ist, wäre die Gelegenheit für Generationen
verpasst, mahnte die Südafrikanerin Anfang Mai.
Denn die einschneidenden Erfahrungen der Corona-Krise rücken weiter in die
Ferne, und tiefgreifende Entscheidungen zur Prävention werden zunehmend
schwerer zu treffen sein. Beschließen die 194 Länder in der
Weltgesundheitsversammlung, das Abkommen ganz zu vertagen, käme die nächste
Gelegenheit wohl erst wieder 2025. Dann könnte aber nicht nur die
Europäische Union weiter nach rechts gerückt sein. Auch im Weißen Haus
könnte ein amerikanischer Präsident Donald Trump sitzen, der 2020 schon
einmal [5][der WHO den Rücken gekehrt] und die Beitragszahlungen auf Eis
gelegt hatte.
Was mit dem Abkommen geschaffen werden kann, sind weniger rechtlich
bindende Vorgaben für einzelne Länder, sondern vor allem die
Konkretisierung einer Idee, wie diese Länder im Falle einer neuerlichen
Pandemie besser zusammenarbeiten. 60 Länder müssten das Abkommen nach
dessen Verabschiedung ratifizieren, damit es überhaupt in Kraft tritt.
Im schlechtesten Fall bleibt nur ein Papier voller vager Zusicherungen –
die im Ernstfall erneut von nationalstaatlichen Interessen ausgehebelt
werden. Im besten Fall jedoch wird der Geist solidarischer Zusammenarbeit
in Zukunft mit Leben gefüllt und verändert den Blick auf Bedrohungen, die
uns alle betreffen, nachhaltig. Captain Picard würde sagen: „Die
Vergangenheit ist geschrieben, aber die Zukunft ist noch nicht in Stein
gemeißelt.“
25 May 2024
## LINKS
[1] /Impfstoffverteilung-durch-Covax/!5813282
[2] /Pandemievertrag-der-WHO/!5815858
[3] /Aerztin-ueber-globale-Impfgerechtigkeit/!5813281
[4] /Zoonosen-bedrohen-Gesundheit/!5862733
[5] /US-Praesident-gegen-die-WHO/!5678946
## AUTOREN
Adefunmi Olanigan
Manuela Heim
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