| # taz.de -- Pandemievertrag der WHO: Protektionistischer Markt | |
| > Das neue Pandemieabkommen der WHO ändert nichts an der ungleichen | |
| > Verteilung von Ressourcen. Nötig ist eine Dekolonisierung der | |
| > Gesundheitspolitik. | |
| Bild: Fläschchen mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer | |
| Eine Sondersitzung der Weltgesundheitsversammlung, dem | |
| [1][Entscheidungsgremium der WHO], hat sich diesen Mittwoch ausschließlich | |
| [2][mit einem Thema beschäftigt: dem Pandemievertrag]. Wird dieser Vertrag | |
| in der Lage sein, die Defizite in der globalen Solidarität zu beseitigen, | |
| wenn es um besseren Zugang zu wichtigen, lebensrettenden Medikamenten geht, | |
| um Impfungen und medizinisches Material? | |
| Die Antwort lautet: Nein. Solange der politische Wille fehlt, mit demselben | |
| Nachdruck Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen wie bei Ländern, denen man | |
| eine falsche Politik vorwirft, ändert der Vertrag nichts. Er wird nichts | |
| nützen, solange es in den reichen Ländern keine Bereitschaft gibt, | |
| wissenschaftliche und technologische Ressourcen zu teilen. Verhandlungen um | |
| einen neuen Pandemievertrag sollen vom politischen Unwillen der reichen | |
| Länder ablenken, zu teilen. | |
| Zwar gibt es ein Instrument, das eine globale Antwort der öffentlichen | |
| Gesundheit auf weltweite Ausbrüche von Infektionskrankheiten ermöglicht: | |
| die Internationalen Gesundheitsregularien (IHR). Doch es setzt sich | |
| zunehmend die Erkenntnis durch, dass dieses Instrumentarium, das 1969 | |
| beschlossen und 2005 nach dem Ausbruch der Sars-Pandemie reformiert wurde, | |
| weiterer Überarbeitung bedarf. Dazu würde die Ausweitung der Zuständigkeit | |
| auf Pandemien und Krankheitsübertragungen vom Tier auf den Menschen | |
| gehören. | |
| Und dazu muss die Garantie gehören, dass die Maßnahmen gerecht und gleich | |
| vorgenommen werden – und die Möglichkeit der WHO, das Handeln der | |
| nationalen Regierungen in diesem Zusammenhang zu überwachen und mit ihnen | |
| zusammenzuarbeiten. | |
| Jetzt ist ein neuer Pandemievertrag verabschiedet worden, der von der | |
| Europäischen Union und einer Handvoll anderer Länder und Institutionen mit | |
| Unterstützung des Generaldirektors der WHO vorangetrieben wurde. Das Timing | |
| ist dabei von Bedeutung. Die Zahl der Covid-19-Fälle steigt weltweit an, | |
| und es ist eine neue Virusmutation aufgetaucht. | |
| Europa stagniert trotz vorhandenen Impfstoffs bei einer Impfrate von | |
| lediglich 70 Prozent. Während sich Straßenproteste von Österreich bis zu | |
| den Niederlanden gegen den Impfdruck richten und in den reichen Ländern die | |
| dritte Impfung verabreicht wird, haben [3][Millionen Menschen auf der Welt | |
| noch nicht einmal die erste Impfung] in Aussicht. Dieses katastrophale | |
| Versagen von globaler Kooperation und Solidarität kann nicht allein damit | |
| begründet werden, dass die globalen Rahmenbedingungen und Vereinbarungen | |
| dafür nicht ausreichen. | |
| Was fehlt, ist der politische Wille der reichen Länder, wesentliche | |
| Ressourcen und Instrumente zur Bekämpfung der Pandemie zu teilen. Wie das | |
| Kaninchen auf die Schlange starren wir auf ein weiteres Jahr mit wachsenden | |
| Infektionen und resignieren gleichzeitig vor der Impfungleichheit und | |
| wachsender Todeszahlen. | |
| Es ist klar, warum Menschen in armen Ländern keinen Zugang zu Impfungen | |
| haben: Eine große Mehrheit der Staatengemeinschaft hatte den Vorschlag | |
| gestützt, Patentrechte für essenzielle medizinische Technologien, darunter | |
| auch Impfstoffe, für die Dauer der Pandemie auszusetzen. Dies lehnten die | |
| EU, Großbritannien, Norwegen und die Schweiz ab, ausgerechnet jene Länder, | |
| die nun die Initiatoren des Pandemievertrags sind. Das sollte wohl davon | |
| ablenken, dass sie gegen die Patentaussetzung sind. | |
| Aber im Herzen der Ideologie vom freien Markt, die den reichen Ländern ein | |
| so wichtiges Anliegen ist, steckt eigentlich eine protektionistische | |
| Tendenz. Patentgesetze haben es Big Pharma ermöglicht, Monopole zu | |
| errichten und immense Gewinne einzufahren, während sie Millionen von | |
| Menschen den Zugang zu Impfstoffen verweigern. Selbst in Zeiten eines | |
| weltweiten Gesundheitsnotstandes sind die reichen Länder nicht in der Lage, | |
| Menschen über Profite zu stellen. | |
| Darüber hinaus haben Pharmaunternehmen per Geheimabkommen Haftungsschutz | |
| mit einzelnen Ländern ausgehandelt, bevor sie ihnen Impfstoff lieferten. | |
| Man kann es nicht anders ausdrücken: Die Privatwirtschaft hat die Kontrolle | |
| über die öffentliche Agenda der Weltgesundheit übernommen. | |
| Wir müssen die richtigen Lehren aus der Pandemie ziehen, bevor wir uns in | |
| einen neuen globalen Vertrag stürzen. Selbst bei allen gut gemeinten | |
| Absichten wird ein globaler Rahmenvertrag nur dann sinnvoll sein, wenn | |
| seine Empfehlungen in den einzelnen Ländern letztlich auch durchsetzbar | |
| sind. Das bedeutet, dass jeder künftige Vertrag unternehmerischen | |
| Interessen widerstehen muss, um die Verteilung zu sichern, damit auch arme | |
| Länder und Regionen einen Zugang zu wichtigen Medikamenten haben. | |
| ## Dekolonisierung der globalen Gesundheit | |
| Der kolonialisierende Impuls, die Kontrolle über Maßnahmen und Lieferketten | |
| zu behalten, muss zurückgedrängt werden. Praktiker und Wissenschaftler der | |
| Public Health fordern zunehmend eine Dekolonisierung der globalen | |
| Gesundheit. Dafür wäre eine bewusste Deimperialisierung eine Voraussetzung. | |
| Dabei geht es nicht nur darum, Macht und Kontrolle aufzugeben, sondern | |
| Wissen und Fähigkeiten zu teilen. Dekolonisierte und umverteilte Ressourcen | |
| sind auch in Zukunft die beste Versicherung gegen Pandemien, wenn es | |
| weiterhin an globaler Solidarität fehlt. | |
| Ein fundamentaler Richtungswechsel ist nötig, um einer Pandemie erfolgreich | |
| zu begegnen. Globale Solidarität bedeutet, Herausforderungen, aber auch | |
| Errungenschaften zu teilen. Es ist nötig, Leben über Profite, soziale | |
| Gerechtigkeit über Monopole und Gleichheit über Nationalismus zu stellen. | |
| Und es ist nötig, die Menschen in armen Ländern und Schwellenländern nicht | |
| als Empfänger von bloßer Wohltätigkeit zu sehen, sondern als Menschen mit | |
| einem Anrecht auf gesundheitlichen Schutz – und das nicht innerhalb | |
| nationaler Grenzen. Sondern global. | |
| Aus dem Englischen: Katja Maurer/Gunnar Hinck | |
| 2 Dec 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /WHO/!t5008423 | |
| [2] https://www.who.int/news/item/01-12-2021-world-health-assembly-agrees-to-la… | |
| [3] /Impfstoffverteilung-durch-Covax/!5813282 | |
| ## AUTOREN | |
| Unni Karanukara | |
| Unni Karunakara | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Covid-19 | |
| WHO | |
| Gesundheitspolitik | |
| Weltgesundheitsorganisation | |
| GNS | |
| COVAX | |
| Pandemie | |
| Mpox | |
| WHO | |
| WHO | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| WHO ruft Notstand wegen Mpox aus: Wo ist die globale Solidarität? | |
| Aus der Corona-Pandemie wurden nicht ausreichend Konsequenzen gezogen. Das | |
| könnte uns mit dem Ausbruch von Mpox nun einholen. | |
| Proteste gegen die WHO: Feindbild „Weltelite“ | |
| Verschwörungsideologen weltweit laufen Sturm gegen die | |
| Weltgesundheitsorganisation. Gegen die Bedrohung scheint die | |
| Weltgemeinschaft nahezu machtlos. | |
| WHO-Pandemieabkommen: An einem Strang ziehen | |
| Ein internationales Abkommen soll den Umgang mit Pandemien verbessern. Fast | |
| alle Staaten unterstützen das, doch um Details wird erbittert gerungen. | |
| Coronavirus-Mutation Omikron: Der Egoismus der Reichen | |
| Wenn reiche Länder Impfstoffe horten, entstehen neue Varianten. Die | |
| ungerechte Verteilung ist das Problem. Reisebeschränkungen sind | |
| wirkungslos. | |
| Impfstoffverteilung durch Covax: Kein Grund zum Feiern | |
| Die Initiative Covax sollte den ärmeren Teil der Welt mit Impfstoff | |
| versorgen. Doch von dem Ziel ist die Impfallianz weit entfernt. | |
| Internationaler Kampf gegen Corona: Jens Spahn fordert Reform der WHO | |
| Laut Gesundheitsminister Spahn muss die WHO gestärkt werden. Es sei | |
| möglich, „die ganze Welt im nächsten Jahr mit Impfstoff zu versorgen“. |