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# taz.de -- Proteste gegen die WHO: Feindbild „Weltelite“
> Verschwörungsideologen weltweit laufen Sturm gegen die
> Weltgesundheitsorganisation. Gegen die Bedrohung scheint die
> Weltgemeinschaft nahezu machtlos.
Bild: Hauptsitz der Weltgesundheitsorganisation in Genf, Schweiz
Kurz nachdem die ersten Eilmeldungen zum [1][Attentat auf den slowakischen
Ministerpräsidenten] Robert Fico eingehen, melden sie sich in den sozialen
Netzwerken. Die Tat ereigne sich „nur wenige Tage, nachdem Fico das globale
Pandemieabkommen der WHO offiziell und öffentlich abgelehnt hatte“, postet
der „Verschwörungsrealist“, wie er sich nennt, mit dem X-Account Concerned
Citizen. Die rechte republikanische US-Kongressabgeordnete und
[2][Q-Anon]-Anhängerin Marjorie Taylor Greene springt auf, unterstützt
diese Theorie. Befeuert wird der Zusammenhang zwischen Attentat und
WHO-Pandemieabkommen von Portalen aus dem Verschwörungsmilieu, etwa
Redacted oder infowars, die sich in Videos dazu äußern.
Vieles bleibt in der Argumentation vage, nur der Verdacht wird geschürt,
dass „eine Weltelite“ sogar zu solchen Taten fähig ist. Denn für nichts
Geringeres soll das Pandemieabkommen stehen: für Repression, Unterdrückung,
das Ende der Selbstbestimmtheit und das Ergreifen der Weltherrschaft durch
einen kleinen Kreis. Tausende folgen solchen Accounts, auch Tech-Gigant
Elon Musk witterte bereits im vergangenen Jahr eine Gefahr für souveräne
Staaten. Beweise liefert jedoch niemand.
Es bleibt nicht nur bei vermeintlich wirren Posts in der digitalen Welt.
Bei einer Demo der Abkommensgegner Ende April im schweizerischen Bern
gingen rund hundert Menschen auf die Straße. Unterstützung für ihren
Protest [3][gegen die WHO, Nato und UN] bekamen sie aus Ungarn oder
Bulgarien – aus dem rechtsextremistischen, pro-russischen Milieu. Auch in
Deutschland deuten Rechtsextreme das Abkommen, das die globalisierte Welt
künftig vor Pandemien besser schützen soll, für ihre Zwecke um. Im
Bundestag machte sich die AfD das Thema zu eigen und wollte über einen
Antrag im Plenum das Parlament dazu bringen, dem Abkommen nicht
zuzustimmen. Der Antrag hatte wenig überraschend keinen Erfolg, doch die
Redebeiträge der Abgeordneten tauchen immer wieder im Zusammenhang mit
Debatten zum Abkommen auf.
„Die Coronapandemie war für die extreme Rechte und insbesondere ihren
verschwörungsideologisch geprägten Teil ein großer Mobilisierungsfaktor“,
sagt [4][Pia Lamberty] vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie.
Das WHO-Abkommen an sich und der Protest dagegen sollen für neuen Auftrieb
sorgen. Und die angepeilte Vereinbarung der Mitgliedstaaten passt in eine
gemeinsame Strategie. Die Weltgesundheitsorganisation ist wie so viele
andere Staatengemeinschaften ein Feindbild. „Gesellschaftliche Thematiken
werden nicht kritisch diskutiert, sondern über Feindbilder findet eine
Dämonisierung statt, die sich in verschiedenen Themenbereichen
niederschlagen kann“, sagt Lamberty.
Feindbilder sind nicht nur Organisationen, sondern auch konkrete
Personen, die für die vermeintliche „Diktatur“ stehen.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gehört dazu, [5][sollte
sogar entführt werden]. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ist
ebenfalls häufiges Angriffsziel, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ebenso.
Und natürlich Wissenschaftler:innen. „Je stärker die Bedrohungslage für die
Wissenschaft wird, desto höher die Hürden für die
Wissenschaftskommunikation“, resümiert Sozialpsychologin Lamberty. Dabei
sorgen genau die Personen, die aufklären, dafür, dass wir besser durch
Pandemien und Krisen kommen.
Der Spin der Weltverschwörer ist alles andere als harmlos. Auch die WHO
reagierte und fühlte sich im neuen Entwurf genötigt, klarzustellen, dass
die Souveränität und die freie Entscheidung der Staaten durch das Abkommen
nicht infrage gestellt werden. In der Plenardebatte im Bundestag wurde von
allen demokratischen Parteien mit Enthusiasmus betont, welcher Fortschritt
hinter der Vereinbarung steckt – das alles, um Druck aus den gegnerischen
Behauptungen zu nehmen.
In den sozialen Medien verbreitet sich Desinformation schnell und
unberechenbar. Viel Hoffnung liegt nun auf dem Digital Services Act (DSA),
der schärfere Maßnahmen gegen Hetze auf digitalen Plattformen vorsieht.
Allerdings ist auch dieser kein Selbstläufer. Laut Bundesinnenministerium
und BKA hat seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine das
[6][Ausmaß an Desinformation] zugenommen. In der heißen Phase zur
Abstimmung des WHO-Abkommens werden die Verschwörer erneut zur Hochform
auflaufen.
25 May 2024
## LINKS
[1] /Slowakei-nach-Attentat-auf-Robert-Fico/!6011272
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[4] /Lamberty-und-Nocun-ueber-Esoterik/!5885366
[5] /Geplante-Lauterbach-Entfuehrung/!5994007
[6] /Verbot-von-mehreren-russischen-Medien/!6011030
## AUTOREN
Tanja Tricarico
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