# taz.de -- Impfstoffverteilung durch Covax: Kein Grund zum Feiern | |
> Die Initiative Covax sollte den ärmeren Teil der Welt mit Impfstoff | |
> versorgen. Doch von dem Ziel ist die Impfallianz weit entfernt. | |
Bild: Trotzdem viel zu wenig: Impfstoff-Lieferung im Zuge der Covax-Initiative … | |
GENF taz | Bald ein Jahr ist es her, dass die ersten Impfungen gegen | |
Covid-19 verabreicht worden sind. Der Universität von Oxford zufolge sind | |
seither mehr als vier Milliarden Menschen auf der Welt mindestens einmal | |
geimpft worden, das ist über die Hälfte der Weltbevölkerung. | |
Doch der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom | |
Ghebreyesus, sieht keinen Grund zum Feiern. Denn während in Ländern mit | |
hohen Einkommen Anfang November fast zwei Drittel der Bevölkerung geimpft | |
waren, sind es in armen Ländern kaum mehr als ein Zwanzigstel. „Wir hören | |
immer neue Entschuldigungen dafür, warum Länder mit niedrigen Einkommen nur | |
0,4 Prozent des weltweit verfügbaren Impfstoffs erhalten haben“, wettert | |
Tedros. „Wir rufen weiterhin alle Hersteller von WHO-geprüften Impfstoffen | |
auf, vorrangig [1][Covax] zu beliefern und nicht den Profit der Aktionäre | |
in den Mittelpunkt zu stellen.“ | |
Covax ist eine Initiative, die einen weltweit gerechten Zugang zu | |
Covid-19-Impfstoffen gewährleisten will. WHO, die EU-Kommission und | |
Frankreich hatten sie im April 2020 gegründet. Gemeinsam sollten bis Ende | |
2021 zwei Milliarden Dosen Impfstoffe eingekauft und fair verteilt werden. | |
Es geht darum, auch Pfleger und Ärzte in Afrika bevorzugt zu versorgen. Für | |
Länder mit niedrigerem Bruttoinlandsprodukt, die sich diese Impfstoffe | |
sonst nicht leisten könnten, ist Covax der einzige Zugang zu | |
Covid-19-Impfstoffen. | |
Doch offensichtlich ist es dieser Allianz nicht gelungen, die Impfstoffgier | |
der Industrienationen einzudämmen. Zwar stellte WHO-Chef Tedros Anfang | |
November fest, das Programm nehme an Fahrt auf: Im Oktober seien mehr | |
Impfstoffe über Covax verteilt worden als in der ersten Jahreshälfte | |
zusammengenommen. Aber es sei noch viel zu tun, um das ausgegebene Ziel zu | |
erreichen, nämlich die Impfung von 40 Prozent der Bevölkerung in jedem Land | |
bis Jahresende. | |
In vielen der 144 Länder, die an Covax beteiligt sind, waren die Impfquoten | |
Ende September noch einstellig. Überhaupt sind bislang nur 435 Millionen | |
Impfdosen über Covax verteilt worden. Um das WHO-Ziel zu erreichen, müssten | |
es monatlich 1,5 Milliarden werden. Das ist nicht in Sicht. Die WHO-Chefin | |
in Afrika, Matshidiso Moeti, hat bereits angekündigt, das 40-Prozent-Ziel | |
zu verfehlen. Ihr fehlen mindestens 500 Millionen Dosen, um es zu | |
erreichen. | |
Während Tedros und die WHO über Impfgerechtigkeit nachgrübeln, verzeichnen | |
die Impfstoffhersteller astronomische Gewinne. Allein Moderna | |
erwirtschaftete im dritten Quartal fünf Milliarden US-Dollar, für das | |
Gesamtjahr wird ein Umsatz von 18 Milliarden erwartet – mit einem einzigen | |
Produkt. | |
Der Gewinn wird fast ausschließlich in reichen Ländern gemacht. Nach | |
Angaben von [2][Ärzte ohne Grenzen (MSF)] hat Moderna bis Oktober nur eine | |
Million Impfdosen in Länder mit niedrigen Einkommen verkauft. Covax erhielt | |
demnach keine einzige Dosis – allerdings behauptete Moderna, kürzlich erste | |
Chargen an Covax ausgeliefert zu haben, erklärt MSF-Expertin Kate Elder. | |
So oder so hät Elder die Milliardengewinne für einen Skandal: Schließlich | |
habe Moderna nicht nur zehn Milliarden Dollar Staatsgelder für die | |
Impfstoffentwicklung erhalten, sondern auch Patente genutzt, die die | |
US-Regierung ihnen zugänglich gemacht habe. Anstatt im Gegenzug den | |
Impfstoff der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, etwa über den | |
TechTransfer-Hub der WHO in Südafrika, melde Moderna in Südafrika | |
Patentschutz an, ohne den Impfstoff dort auszuliefern. Zwar hat Moderna | |
angekündigt, bis Ende des Jahres 15 Millionen Impfdosen nach Afrika zu | |
liefern. | |
Doch angesichts des Bedarfs sei das nicht mehr als ein Tropfen in den | |
Ozean, moniert Elder. „Wenn die USA als globaler Anführer im Kampf gegen | |
Covid-19 wahrgenommen werden wollen, dann muss die Biden-Regierung dafür | |
sorgen, dass der maßgeblich von der Bevölkerung bezahlte Impfstoff den | |
Menschen überall auf der Welt zugänglich gemacht wird – das ist am Ende des | |
Tages eine politische Entscheidung.“ | |
Bis die fällt, werden vor allem die Länder mit Mitteln gegen Covid-19 | |
versorgt, die es sich leisten können. Arme Länder müssen nehmen, was übrig | |
bleibt. Und das ist nicht viel. So warnt die WHO bereits, dass | |
Injektionsspritzen knapp werden. „Weltweit sind 6,8 Milliarden Dosen | |
Covid-19-Impfstoff verabreicht worden, das ist die doppelte Zahl der sonst | |
üblichen Impfungen“, erklärt Lisa Hedman von der WHO. „Im kommenden Jahr | |
könnte mindestens eine Milliarde Spritzen fehlen.“ | |
Keine Frage, wem sie fehlen werden: Denen, denen in der Pandemie zunächst | |
die Masken, dann der Sauerstoff und schließlich der Impfstoff vorenthalten | |
wurde. Die WHO scheint zu ahnen, dass sie an der Gegenwart wenig ändern | |
kann. Die außerordentliche WHO-Vollversammlung Ende des Monats schaut | |
lieber in die Zukunft: Neue Regeln sollen dafür sorgen, dass künftige | |
Pandemien global gerecht bekämpft werden. | |
17 Nov 2021 | |
## LINKS | |
[1] /COVAX/!t5763731 | |
[2] https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/unsere-arbeit/themen-im-fokus/covid-19/m… | |
## AUTOREN | |
Marc Engelhardt | |
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