# taz.de -- Virologin über Zoonosen: Die Herrschaft der Viren | |
> Die Vogelgrippe befällt Rinder und könnte auch den Menschen bedrohen. | |
> Dabei gäbe es Möglichkeiten zur Prävention, sagt Isabella Eckerle. | |
Bild: Ein Bakteriologe führt die Analyse eines Coronavirus-Tests in einem Hoch… | |
wochentaz: Isabella Eckerle, sind eigentlich alle schlimmen Krankheiten vom | |
Tier auf den Menschen übergesprungen? Ebola, Aids, Pest, Corona… | |
Isabella Eckerle: Es gibt auch Viren, die sich mit dem Menschen zusammen | |
entwickelt haben, zum Beispiel die Windpocken oder das Virus, das den | |
Lippenherpes auslöst. Aber sehr viele Krankheitserreger, die heute nur im | |
Menschen zirkulieren, haben irgendwann den Sprung vom Tier zum Menschen | |
geschafft und sich dann an den Menschen angepasst. Bei einigen haben wir | |
erst sehr viel später herausgefunden, dass es sich einmal um Zoonosen | |
gehandelt hat. | |
Mit Zoonosen meinen wir in der Regel die Übertragung von Infektionen von | |
Tier zu Mensch? | |
Das stimmt. Aber es kann auch in die andere Richtung gehen, da gibt es ganz | |
interessante Beispiele. Das bekannteste sind vielleicht Menschenaffen, die | |
sich mit unseren Erkältungsviren anstecken und daran sterben. Und in den | |
USA und Kanada haben wir heute ein Reservoir an SARS-Cov-2 in Hirschen, das | |
auch über den Menschen dahin gelangt sein muss. Die Hirsche haben | |
inzwischen ihre eigene Variante – ihr eigenes Covid. | |
Wir interessieren uns erst dann für Erreger, wenn sie uns selbst krank | |
machen. | |
Ja. Aber wir sind eben Teil eines ganz großen Netzwerks. Für die Prävention | |
ist es fatal, nur vom Menschen aus zu denken. Bei SARS-CoV-2 haben wir das | |
Stadium verpasst, in dem das Virus auf den Menschen übergegangen ist, und | |
sind erst aufmerksam geworden, als die Menschen in den Krankenhäusern lagen | |
– und dann lässt sich so ein Virus kaum noch eindämmen. Nicht einmal China | |
mit seinen [1][umfassenden Maßnahmen und Lockdowns] hat das geschafft. | |
Ist inzwischen bekannt, wo Covid-19 seinen genauen Ursprung hatte? | |
Es ist jedenfalls [2][kein künstliches Virus], wir finden die Vorläufer | |
unserer SARS-CoV-2-Viren auch in Fledermäusen. Das war allerdings | |
wahrscheinlich nicht der direkte Vorgänger der Pandemie. Da müssen noch | |
einige Jahrzehnte Evolution oder ein Zwischenschritt in einem anderen Tier | |
dazwischen gelegen haben. Bisher wissen wir nicht, wie das Virus auf den | |
Menschen übergegangen ist, wir kennen diese Zwischenwirte nicht und | |
vielleicht finden wir sie auch nicht mehr – es wurden ja damals viele | |
Wildtierfarmen in China geschlossen und Bestände gekeult. Es fehlen uns | |
jedenfalls noch einige Puzzlestücke, aber es deutet alles darauf hin, dass | |
es sich auch bei SARS-CoV-2 um eine Zoonose handelt. | |
Ließe sich der Übergang eines Krankheitserregers von Tier zu Mensch im | |
Labor beschleunigen? | |
Es gibt bis heute keinen Hinweis darauf, dass an diesem Virus vor dem | |
Ausbruch geforscht wurde, aber weil wir den Zwischenwirt nicht gefunden | |
haben, lässt es sich nicht komplett ausschließen. Für mich, die schon sehr | |
lange an dieser Art von Viren forscht, spricht allerdings sehr viel dafür, | |
dass das Virus einen natürlichen Ursprung hat. | |
Nicht nur bei SARS-Cov-2 tauchen als möglicher Ursprung Fledermäuse auf. | |
Sind die eine Art Superspreader? | |
Das große Interesse an Fledermäusen kam nach der ersten Sars-Epidemie 2003. | |
Ab da hat man sich die Fledermäuse genauer angeschaut, und nicht nur | |
Vorläufer von Corona-Viren, sondern auch von ganz vielen anderen | |
menschlichen Viren oder deren nahen Verwandten entdeckt: Masern, Mumps, | |
Ebola, Marburg-Virus. Dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Zum einen | |
sind Fledermäuse eine sehr alte Gruppe von Säugetieren und ihr Immunsystem | |
hatte sehr lange Zeit, sich an diese Viren anzupassen. Eine andere Theorie | |
ist, dass Fledermäuse aufgrund ihrer Flugfähigkeit, die sehr belastend für | |
den Stoffwechsel ist, ein Immunsystem haben, das besonders gut mit | |
Zellschäden und daher auch mit Viren umgehen kann. Außerdem sind | |
Fledermäuse sehr mobil und leben in großen Gruppen, was die | |
Virusübertragung erleichtert. Es kann also sein, dass Fledermäuse eine | |
besondere Stellung haben. Es gab in den letzten Jahren allerdings auch | |
vermehrt Forschung zu Nagetieren und Spitzmäusen. Wenn man da genauer | |
hinschaut, findet man auch sehr viele Vorläufer menschlicher Viren. | |
Mit Sars-Cov-2 rückten auch Folgeerkrankungen von Virusinfektionen stärker | |
in den Blickpunkt. Hatte die Wissenschaft sowas vorher gar nicht auf dem | |
Zettel? | |
Man hat bei den Viren tatsächlich lange Zeit vor allem auf die akut | |
Erkrankten geschaut. Also: Jemand hat einen Atemwegsinfekt, und wenn der | |
vorbei ist, dann ist man wieder gesund. Durch SARS-CoV-2 und [3][auch Long | |
Covid] sind die Langzeitfolgen und Komplikationen von Viruserkrankungen | |
stärker in den Fokus gerückt. Die besondere Situation war ja, dass es eine | |
Bevölkerung vor der Pandemie gab und dann eine, in der quasi jeder Kontakt | |
mit dem Virus hatte. Dadurch lässt sich der Einfluss auf chronische | |
Erkrankungen tatsächlich beobachten. Das ist bei Viren, die praktisch immer | |
in der Bevölkerung zirkulieren, gar nicht möglich. Die Frage, inwiefern | |
nicht-infektiöse Erkrankungen durch Virusinfektionen verursacht werden, ist | |
ein ganz spannendes Forschungsfeld, das uns in Zukunft vielleicht viel mehr | |
Prävention, zum Beispiel vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder | |
Autoimmunerkrankungen, ermöglichen könnte. | |
Wird es denn künftig immer mehr neue Erkrankungen geben, die von Tieren auf | |
Menschen überspringen? | |
Wir sehen tatsächlich eine Zunahme dieser Ereignisse. Das liegt zum einen | |
daran, dass wir in der Beobachtung viel besser geworden sind – also zum | |
Beispiel in der Sequenzierung von Viren. Andererseits leben wir in einer | |
globalisierten Welt mit extrem vielen, sehr mobilen Menschen. Die | |
natürlichen Lebensräume werden immer stärker zurückgedrängt, und wir haben | |
immer höheren Bedarf an Lebensmitteln, das heißt, dass die Nutztierherden | |
immer größer werden. Wir holzen Wälder ab und kommen mit Erregern in | |
Berührung, die wir vorher nicht kannten. Alles zusammengenommen gehen wir | |
nach heutigem Stand davon aus, dass es tatsächlich auch eine Zunahme in der | |
Frequenz gibt. Und das, obwohl wir in der Vergangenheit ja von alten | |
Infektionskrankheiten wie Pest und Cholera gelernt und bestimmte | |
Übertragungswege durch verbesserte Hygiene bei Wasser und Nahrung | |
abgeschnitten haben. | |
Haben wir bis zur nächsten Pandemie noch etwas Ruhe? | |
Wenn ich mir den aktuellen [4][Umgang mit der Vogelgrippe] anschaue, finde | |
ich das sehr besorgniserregend. Es gibt sicher Gründe, davon auszugehen, | |
dass sich das Virus nicht für ein menschliches Virus eignet. Andererseits | |
tun wir gerade einiges dafür, dass es sich vielleicht doch noch an den | |
Menschen anpasst. | |
Inwiefern? | |
Wir schauen gerade dabei zu, wie die Vogelgrippe sich in den USA bei | |
Rindern ausbreitet. Das sind Säugetiere, wie der Mensch. Und noch dazu | |
spielen sie für unsere Nahrungsmittelproduktion eine große Rolle, und viele | |
Menschen kommen in Kontakt mit Rindern. Das sind alles Punkte, die bei so | |
einem neuen Virusübergang die Alarmglocken schrillen lassen. | |
Und damit wird zu lasch umgegangen? | |
Es gab vor über zehn Jahren eine riesige Debatte, ob in | |
Hochsicherheitslaboren zur Übertragbarkeit von Vogelgrippeviren unter | |
Säugetieren geforscht werden darf. Damals gab es sogar ein Moratorium zu | |
dieser Forschung. Und jetzt passiert das ohne Labor, ohne Schutzanzüge, mit | |
freiwilliger Testung, quasi im Freien. Wo bleibt da der Aufschrei? Warum | |
sind wir bei dem Risiko so entspannt? Das ist hochgefährlich, was da im | |
Moment passiert. | |
Was wäre Ihrer Meinung nach der richtige Umgang? | |
Wenn das Vogelgrippevirus bei Hühnern oder Gänsen auftritt, werden die | |
Tiere gekeult. Da tut man sozusagen alles, um das Virusreservoir zu | |
vernichten. Genau das hat man jetzt bei diesen Rindern nicht gemacht, teils | |
wohl auch aus finanziellen Gründen. Ich glaube, jetzt hätte man noch die | |
Chance, das Virus aus den Rindern wieder herauszubekommen. Dafür bräuchten | |
wir auch ein umfangreiches Überwachungsprogramm. Es ist beunruhigend, dass | |
die Kontaktpersonen von bereits infizierten Rindern nicht regelmäßig | |
getestet werden – diese Kühe werden ja gemolken und haben täglich Kontakt | |
zu Menschen. Insgesamt ist die Aufarbeitung des Infektionsgeschehens sehr | |
schleppend. | |
Das ist wahrscheinlich nicht im Interesse der Farmen, die mit den Kühen ihr | |
Geld verdienen. | |
Sicher ist das ein Interessenkonflikt. Aber das ließe sich doch von | |
staatlicher Seite durch finanzielle Entschädigungen ausgleichen. Wenn wir | |
jetzt die ersten Schritte verpassen, sehen wir den Beginn einer neuen | |
menschlichen Infektion wieder erst dann, wenn die Leute im Krankenhaus | |
auflaufen. | |
Haben wir zu wenig aus SARS-CoV-2 gelernt? | |
Das ist das Frustrierende. Wir sprechen seit vier Jahren darüber, dass wir | |
eine bessere Beobachtung und Prävention brauchen, und die Umsetzung | |
scheitert nicht an den Möglichkeiten. Wir haben ganz viele Tools dafür: Wir | |
können quasi in Echtzeit sequenzieren, Abwassermonitoring und Tests in | |
riesigen Mengen sind möglich. | |
Gerade ringen die Staaten der Welt um einen Pandemievertrag. Brauchen wir | |
so ein Abkommen, um besser vorbereitet zu sein? | |
Am Anfang einer Pandemie gibt es Chaos. Menschen sterben, Medikamente und | |
Impfstoffe reichen nicht für alle. Das wäre selbst bei einem bekannten | |
Erreger wie der Vogelgrippe so, für den es schon Impfstoffkandidaten gibt. | |
Für solche Situationen müssen wir als Weltgemeinschaft eine Lösung finden. | |
25 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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