Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Zoonosen bedrohen Gesundheit: Gefährliche Nähe
> Lange vor Corona und Affenpocken litten unsere Vorfahren schon unter
> Zoonosen. Verändert hat sich im Laufe der Jahrhunderte die Gefahr für
> Pandemien.
Bild: Nichts für Maskengegner: Pestarzt mit Schnabelmaske im 17. Jahrhundert
Ebola in Westafrika, Zikafieber in Lateinamerika, [1][das Coronavirus als
globale Krankheit], HIV als omnipräsente Infektion, Rinderwahn,
Schweinepest und Vogelgrippe in unseren Ställen, Salmonellen im
Seniorenheim und nun die Affenpocken. Dass an dieser Stelle der Begriff
[2][Zoonosen, also zwischen Tier und Mensch übertragene
Infektionskrankheiten,] kaum erklärt werden muss, liegt wohl an ihrer
Alltäglichkeit. Pro Jahr infizieren sich damit etwa 2,5 Milliarden
Menschen. Nicht selten liest man sogar vom Zeitalter der Zoonosen.
Ganz richtig ist das nicht, suggeriert es doch, Zoonosen seien eine Geißel
der Moderne. Dabei sind sie so alt wie die Menschheit selbst. „Parasiten
oder auch Milzbrand sind Beispiele für Erreger, mit denen schon die frühen
Menschen zu kämpfen hatten“, sagt Fabian Leendertz, Gründungsdirektor des
Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH).
Die Gründe liegen auf der Hand: Geschwächte und kranke Tiere waren eine
leichte Beute für urzeitliche Jäger, die Kulturtechnik des Bratens noch
unbekannt. Mit der Sesshaftwerdung in der Jungsteinzeit wächst die Nähe zu
(Nutz-)Tieren und damit auch die Wahrscheinlichkeit für die Übertragung.
„Die Größe der Jäger-und-Sammler-Gruppen und frühen Siedlungen sind
allerdings noch überschaubar, der Austausch untereinander geringer. Eine
Pandemie konnte so nicht entstehen. Es blieb bei lokalen Ausbrüchen“, so
der Zoonose-Experte weiter. Das ändert sich spätestens in der Antike.
Die Hochkulturen in Europa, Asien und Afrika stehen im engen Austausch. Die
Weltbevölkerung wächst stetig, die Weltmetropolen wie Athen, Babylon oder
Rom entstehen. Gut übertragbare Erreger wie Masern oder Pocken haben nun
ein leichtes Spiel.
## Mangelnde Hygiene und Unwissen
Ihren Ursprung haben viele Krankheiten aber schon deutlich früher. Ein
Beispiel dafür ist [3][die Pest.] Im 14. Jahrhundert löscht der Schwarze
Tod fast die Hälfte der europäischen Bevölkerung aus. Übertragen wird sie
von Flöhen, die im Fell von Ratten sitzen. Begünstigt wird die Pandemie
durch schreckliche hygienische Zustände und medizinisches Unwissen im
Mittelalter.
Neu ist die Krankheit in dieser Zeit nicht. Paläogenetiker konnten anhand
von Knochenfunden zeigen, dass bereits in der Bronzezeit viele Menschen an
der Pest verstarben, ganze Landstriche fielen ihr zum Opfer.
Völkerwanderungen trugen die Krankheit vermutlich durch die Welt.
Auch Spuren von Lepra oder Syphilis fanden Forschende an Skeletten aus
dieser Zeit. Die ersten schriftlichen Quellen zu Zoonosen kommen aus der
Antike. „Die Symptome von Tollwut, also Wesensveränderungen, aggressives
Verhalten oder Lähmungen, werden schon in historischen Schriften
beschrieben. Auch Warnungen vor Hunden gibt es in diesem Zusammenhang
schon. Auch passende Beschreibungen zu Pocken oder Milzbrand kennen wir aus
römischen, griechischen, aber auch ägyptischen Quellen“, sagt Veronika
Goebel vom Institut für Paläoanatomie der Ludwig-Maximilians-Universität
München.
Pocken zählen zu den tödlichsten der Krankheitserreger. Für viele antike
Seuchen werden sie inzwischen verantwortlich gemacht. Zwischen 430 und 426
v. Chr. tritt zum Beispiel in Griechenland die Attische Seuche auf. Der
Philosoph Thukydides schreibt von Fieber, Geschwüren und blutenden Mündern.
Viele Menschen sterben, am Ende ist Athen so stark geschwächt, dass die
Stadt später von den Spartanern besiegt und eingenommen wird.
Im 2. Jahrhundert n. Chr. bringen römische Legionäre die Antoninische Pest
aus Asien in die Metropole. Am Ende sterben 5 bis 7 Millionen Menschen, der
Kaiser Mark Aurel inklusive. Die Pandemie tritt zeitlich mit
innenpolitischen Spannungen und wachsendem Druck an den Reichsgrenzen auf
und trägt zu einer tiefen, ja fast endgültigen Krise des Weltreichs bei.
Als Erregerfavorit gelten auch hier die Pocken.
Bis ins 20. Jahrhundert gibt es immer wieder Ausbrüche. Ludwig XV., König
von Frankreich, stirbt an Pocken, Queen Elizabeth I. überlebt nur knapp die
Infektion. Erst eine großangelegte Impfkampagne ab Mitte der 1900er Jahre
beendet diese Bedrohung.
Auch die Masern könnte es schon in der Antike gegeben haben. Dieses Virus
ist eng mit dem inzwischen verschwundenen Erreger der Rinderpest verwandt
und muss einst vom Rind auf den Menschen übergesprungen sein. Bis heute
hält sich die Krankheit wacker, immerhin gibt es aber eine wirksame Impfung
dagegen. Dieses Glück hatte ein zweijähriges Mädchen 1912 noch nicht. Ihre
Lungen hat sich entzündet, in dieser Zeit war eine Bronchitis
lebensgefährlich. Berliner Pathologen entnahmen dem kleinen Körper wichtige
Organe und konservierten sie in Alkohol. Ein Glücksfall für das
Forscherteam, das knapp 100 Jahre später die Gläser öffnet, auf der Suche
nach dem erhaltenen Erbgut des Krankheitserregers.
Sebastien Calvignac-Spencer von Robert-Koch-Institut in Berlin ist einer
von ihnen. „Mit dem Erbgut wollen wir die Frage klären, wann sich der erste
Mensch mit Masern ansteckte“, sagt der Genetiker. Tatsächlich werden er und
sein Team fündig. Das historische Genom vergleichen sie mit modernen
Masernviren und verwandten Erregern. So erfahren sie mehr über die
Geschwindigkeit, in der sich das Genom verändert und können das Alter des
Erregers ausmachen.
## Große Städte begünstigen Ausbreitung
Das erstaunliche Ergebnis: Mit 2.500 Jahren sind Masern deutlich älter als
bisher angenommen. Nicht im Mittelalter, sondern schon im 6. Jahrhundert v.
Chr. traten sie vermutlich auf. „Dieser Zeitpunkt fällt mit der Entstehung
großer Städte zusammen. Dort konnten sie gut zirkulieren und sich dauerhaft
verbreiten“, sagt Calvignac-Spencer.
Das sei kein Zufall. Immerhin haben epidemiologische Studien gezeigt, dass
Masernviren eine Bevölkerungsgruppe von mindestens 250.000 Menschen
brauchen, um sich auszubreiten und dauerhaft zu überleben. Antike
Metropolen wie Athen, Rom oder auch Babylon erfüllen mit ihrer Größe und
den internationalen Handelsbeziehungen alle Kriterien für eine „gute“
Weitergabe durch direkten Kontakt oder Tröpfchen-Infektion. Im Abgleich mit
historischen Quellen finden sich außerdem einige Ausbrüche, bei denen die
beschriebenen Symptome durchaus zu einer Masern-Erkrankung passen.
Das Wissen über historische Zoonose-Pandemien wächst also stetig, auch
Impfungen und Heilmittel gegen Masern, Pocken oder Pest gibt es heute. Ein
Ausbruch, wie zuletzt bei Covid-19, stellt unsere Welt trotzdem vor große
Herausforderungen und kostet Millionen von Menschen das Leben. Weltweit
ringen Fachleute deshalb um bessere Überwachung von Zoonose-Erregern wie
SARS oder die Pocken, um bessere Kommunikation zwischen Pandemie- und
Gesundheitsexperten und die Entwicklung von universelleren Impfstoffen.
## Selber schuld?
Doch ein großes Problem bleibt dabei oft unerwähnt, unser eigenes
Verhalten. „Wir dürfen nicht den Fehler machen, bei Zoonose auf die Tiere
als Verursacher zu zeigen“, sagt Fabian Leendertz. Es sei vor allem unser
eigenes Verhalten, dass die Ausbrüche befeuert, früher wie heute.
Die Weltbevölkerung wächst, mit ihr die Metropolen. Der menschengemachte
Klimawandel fördert auch die Ausbreitung von Mücken und Zecken, die
gefährliche Krankheiten übertragen können. Außerdem dringen wir Menschen
immer weiter in natürliche Lebensräume ein, machen Jagd auf Wildtiere,
treiben mit ihnen illegalen Handel und sorgen so für neue Übertragungswege.
Wenn wir konsequent die Natur schützen und respektieren, wäre das ein
wichtiger Schritt für die Prävention vor neuen Pandemien – auch das ist
eine Erkenntnis, die wir aus der Geschichte ziehen könn(t)en.
7 Jul 2022
## LINKS
[1] /Hohe-Coronazahlen-in-Schleswig-Holstein/!5862302
[2] /Biologe-ueber-Herkunft-des-Coronavirus/!5708235
[3] /Historiker-Malte-Thiessen/!5676907
## AUTOREN
Birk Grüling
## TAGS
Krankheit
Infektion
Pandemie
Pest
Historie
Mpox
wochentaz
Gesundheit
Schwerpunkt Artenschutz
Zoo Berlin
WHO
Coronaleugner
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
WHO schlägt Alarm: Weltweite Notlage wegen Mpox
Neue Mpox-Ausbrüche in Afrika bedrohen die öffentliche Gesundheit weltweit
– die WHO ruft eine Notlage aus. Impfstoffe müssen nachproduziert werden.
Virologin über Zoonosen: Die Herrschaft der Viren
Die Vogelgrippe befällt Rinder und könnte auch den Menschen bedrohen. Dabei
gäbe es Möglichkeiten zur Prävention, sagt Isabella Eckerle.
Alpha-Gal-Syndrom: Fleischallergie nach Zeckenstich
In den USA wurde seit 2010 bei mehr als 100.000 Menschen eine
Fleischallergie festgestellt. Auslöser soll der Stich der Lone-Star-Zecke
sein.
Artenschutzkonferenz Cites in Panama: Hoffnung für Meerestiere
Vor der zweiten Woche der Artenschutzkonferenz Cites ist das bislang größte
Schutzpaket für Haie und Rochen in Sicht. Aber was ist mit Flusspferden?
Vogelgrippe im Berliner Zoo: Das ist der Hammerkopf!
Der Zoo im Westteil der Stadt muss nach einem Fall von Vogelgrippe
schließen. Wie lange, ist unklar. Alle Vögel würden nun getestet.
WHO zu Affenpocken: Internationale Notlage ausgerufen
In mittlerweile mehr als 150 Ländern sind Infektionsfälle bekannt geworden.
Der WHO-Generaldirektor hat deshalb nun die höchste Alarmstufe ausgelöst.
Autor über Wissenschaftsskepsis: „Da geht es um Systemisches“
Autor Philipp Kohlhöfer hat ein Buch über Viren und Wissenschaft generell
geschrieben. Ein Gespräch über Fortschritt, Verschwörung und Heulsusigkeit.
Biologe über Herkunft des Coronavirus: „Wir sind Teil des Tierreichs“
Frettchen und Nerze können Wirte für das Coronavirus sein. Sie können es
auf Menschen übertragen, sagt der Chef des Friedrich-Loeffler-Instituts
Thomas Mettenleiter.
Historiker Malte Thießen: „Seuchen verschärfen Ungleichheit“
Ein Blick in die Geschichte der Epidemien zeigt, wie wichtig internationale
Koordination ist, doch anlässlich von Corona erleben wir Isolationismus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.