| # taz.de -- Protokoll einer Long-Covid-Betroffenen: Eine unberechenbare Krankhe… | |
| > Mira Brunner aus Berlin ist an Long Covid erkrankt. Die 31-jährige | |
| > Künstlerin wünscht sich mehr Unterstützung. Ein Protokoll. | |
| Bild: „Das Kranksein hat mich gelehrt, geduldiger zu sein“: Mira Brunner | |
| Ich bin nicht mehr die Person, die ich einmal war. Sich von einem Tag auf | |
| den anderen von einem gewöhnlichen Menschen zu einer Patientin zu | |
| entwickeln, ist extrem frustrierend. Es bedeutet einen [1][großen Verlust | |
| an Handlungsfähigkeit]. | |
| Im März 2022 infizierte ich mich mit Corona. Ich war geimpft und hatte | |
| einen relativ milden Krankheitsverlauf. In den Wochen danach ging es mir | |
| jedoch nicht besser und mir wurde klar, dass etwas nicht stimmte. Ich fing | |
| mir jede Erkältung ein, bekam Halsschmerzen und Husten, körperliche | |
| Schmerzen, neurokognitive Probleme und konnte mich nicht mehr an Dinge | |
| erinnern. Wenn ich nicht arbeitete, lag ich im Bett. | |
| [2][Ich bin Künstlerin], arbeite aber auch als Archivarin. Dazu gehört, | |
| detailorientiert, geduldig und methodisch zu arbeiten. Aber wegen der | |
| Erschöpfung und des Gehirnnebels war ich nicht mehr in der Lage, einfache | |
| Verwaltungsarbeiten zu erledigen. Das hat sich sehr stark auf mein | |
| Selbstwertgefühl ausgewirkt. Ich bin immer noch dabei herauszufinden, wie | |
| ich den Rest meines Lebens leben werde. | |
| Das Schlimmste an der Krankheit ist ihre Unberechenbarkeit. Es gibt Zeiten, | |
| in denen ich wochenlang ans Haus gebunden bin, nicht sehen, aufrecht stehen | |
| oder gehen kann, körperliche Schmerzen und Konzentrationsschwierigkeiten | |
| habe. An anderen Tagen bin ich müde, kann aber aufstehen und ein paar | |
| Besorgungen machen. Heute geht es mir erstaunlich gut, es ist 14 Uhr und | |
| ich habe tagsüber noch nicht schlafen müssen. | |
| ## Verlust sozialer Beziehungen | |
| Das Kranksein hat mich gelehrt, geduldiger zu sein. Ich muss mich mit | |
| meiner verinnerlichten Behindertenfeindlichkeit auseinandersetzen und bin | |
| dadurch anderen gegenüber mitfühlender. Aber im Allgemeinen ist es | |
| durchschlagend negativ: Viele Beziehungen haben darunter stark gelitten, | |
| ich habe einen großen Teil meines sozialen Lebens verloren. Als ich krank | |
| wurde, war ich erst seit eineinhalb Jahren in Berlin, sodass ich auf keine | |
| langfristigen Beziehungen zurückgreifen konnte. | |
| Außerdem habe ich [3][meine finanzielle Sicherheit verloren]. Mit meinem | |
| Krankheitsgrad ist es kaum möglich, ohne Unterstützung zu überleben. Doch | |
| das Leben in Berlin wird immer teurer. Wenn das Krankengeld aufgebraucht | |
| ist, habe ich nur noch sehr wenig Geld zur Verfügung. Deshalb überlege ich, | |
| zurück zu meinen Eltern nach Indien zu ziehen. | |
| Es ist eine so seltsame Krankheit, die als langfristiges, seltsames | |
| Unwohlsein konträr zu unserem allgemeinen Verständnis von Krankheit steht. | |
| Ich überforderte mich ständig, um die Erwartungen der Menschen in meinem | |
| Leben zu erfüllen, denn sie wussten nicht, wo meine Grenzen lagen. Und ich | |
| wusste es auch nicht. Es ist ein bisschen wie ein Coming-out: Man muss | |
| Menschen ständig mitteilen, welche Fähigkeiten und Einschränkungen man hat, | |
| auch Ärzt*innen. | |
| Die Ärzt*innen stellten schnell fest, dass es sich bei meiner Krankheit | |
| um ME/CFS handelte. Trotzdem trauten sie sich nicht, eine Diagnose zu | |
| stellen, bevor ich nicht in der Long-Covid-Sprechstunde der Charité war. | |
| Dort konnte ich jedoch lange Zeit nicht behandelt werden, weil ich zu krank | |
| war. Nach einem Jahr erhielt ich endlich eine mündliche Diagnose. Bis ich | |
| den Brief mit Behandlungsvorschlägen erhielt, dauerte es aber noch mal | |
| einige Monate. | |
| ## Überforderte Ärzt*innen | |
| Das medizinische System lässt ME/CFS-Patient*innen lange warten, um | |
| ihnen dann sehr begrenzte Behandlungsmöglichkeiten anzubieten. Selbst diese | |
| werden von Ärzt*innen aber oft nicht umgesetzt, sodass der Patient selbst | |
| einen Großteil der Verantwortung für seine Behandlung übernehmen muss. | |
| Die Ärzt*innen haben mir offen gesagt: „Wir wissen nicht viel über die | |
| Krankheit, Sie müssen sich selbst weiterbilden.“ Das war frustrierend, denn | |
| einerseits bin ich auf sie angewiesen, andererseits musste ich oftmals | |
| diejenige sein, die mehr weiß. | |
| Ich wünsche mir einen schnelleren Zugang zur Behandlung und weniger | |
| bürokratische Hürden. Und mehr Unterstützung. Es macht mich traurig zu | |
| sehen, wie viele Menschen unter dieser Krankheit leiden und vom | |
| medizinischen Establishment und der Gesellschaft einfach so abgetan werden. | |
| Und auch das wünsche ich mir: mehr Forschung und eine Heilung. Aber die | |
| Aussichten auf Besserung sind in nächster Zeit gering. Ich bin so wütend | |
| und traurig über diese Krankheit. | |
| Protokoll: Lilly Schröder | |
| 15 May 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Long-Covid/!6003992 | |
| [2] https://mirabrunner.com/ | |
| [3] /Long-Covid-und-Armutsgefaehrdung/!6002002 | |
| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
| ## TAGS | |
| Long Covid | |
| Gesundheitspolitik | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| GNS | |
| IG | |
| Long Covid | |
| Schwerpunkt Coronavirus | |
| Herz | |
| Long Covid | |
| Long Covid | |
| IG | |
| Lesestück Recherche und Reportage | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Demo für bessere Versorgung bei ME/CFS: „Das wird sträflich vernachlässigt… | |
| Menschen, die mit ME/CFS leben, werden im Stich gelassen, sagt Gritt | |
| Buggenhagen. Mit Liegend-Demos wollen sich Betroffene Aufmerksamkeit | |
| verschaffen. | |
| Covid-19 in Berlin: Masketragen ist Privatsache | |
| Berlins Abwasser wird regelmäßig auf Coronaviren überprüft. Ergebnis: Die | |
| Stadt befindet sich wieder in einer Corona-Welle – auf niedrigem Niveau. | |
| Rückgang der Lebenserwartung: Früher sterben in Deutschland | |
| In anderen EU-Ländern leben Menschen laut einer neuen Studie länger. Einen | |
| Grund sehen die Autoren bei der Diagnose von Gefäßkrankheiten. | |
| Long Covid: Die Konferenz der Schwerkranken | |
| Long-Covid- und ME/CFS-Erkrankte haben eine Konferenz organisiert, um ihre | |
| Situation zu verdeutlichen. Anlass ist eine Reihe von Suiziden. | |
| Chronische Erkrankungen in Berlin: „Ich will keine Kämpferin sein“ | |
| Im She Said suchen Menschen mit chronischen Erkrankungen Unterstützung in | |
| der Gemeinschaft. Viele leiden unter Long Covid-Symptomen. | |
| Long Covid: Ausgebremst | |
| Diego hat Long Covid. Seine Partnerin und seine Mutter sind für ihn da. | |
| Aber es ist schwer. Wie mit einer Krankheit umgehen, deren Ende niemand | |
| kennt? | |
| Long Covid und Armutsgefährdung: Am Überleben arbeiten | |
| Armut isoliert Menschen – Long Covid auch. Besuch bei Melanie Zeiske und | |
| Daniela Bock, die als erschöpfte Betroffene mit der Bürokratie kämpfen. |