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# taz.de -- Rechtsextremismusforschung: „Pluraler, jünger, zeitgeistiger“
> Die Neue Rechte ist gut darin, alte Ideen zu aktualisieren, so Rolf
> Frankenberger, Leiter des Instituts für Rechtsextremismusforschung an der
> Uni Tübingen.
Bild: Die Rechtsextremen in den einzelnen Ländern sind radikal nationalistisch…
Das Interview mit Rolf Frankenberger wurde vor den EU- und Kommunalwahlen
am 9. Juni geführt.
wochentaz: Herr Frankenberger, sind in puncto Rechtsextremismus die 90er
Jahre zurück?
Rolf Frankenberger: Wir haben Konjunkturen extrem rechter Einstellungen. In
West- oder in Süddeutschland insbesondere in den 60er, 80er und 90er
Jahren. Und jetzt wieder. Doch die Art und Weise, wie sich die extreme
Rechte heute vernetzt, wie sie sich im Internet präsentiert, wie sie
Propaganda macht, ist anders. Das ist ein ganz neues Niveau, auch die
Sprache ist etwas anders, aber die Inhalte bleiben eigentlich gleich. Die
Form hat sich modernisiert. Gerade wenn Sie sich Social-Media-Auftritte der
AfD oder der Identitären Bewegung anschauen – das ist ein anderes Kaliber,
als irgendwelche Flugblätter oder Plakate zu verteilen wie in den 90er
Jahren. Es erreicht ganz neue Gruppen.
Die AfD steckt viele Ressourcen in ihre Medienarbeit, ist die mit Abstand
erfolgreichste Partei auf TikTok. Das kann doch nicht der einzige Grund
sein, warum sie bei jungen Wähler:innen beliebter wird.
Wenn man Umfragen glaubt, sind die jungen Menschen heute sehr verunsichert,
was ihre Zukunftsaussichten angeht. Sie leben in einer Zeit, wo auch medial
dauernd Krisen und Kriege auf sie einprasseln. Sei es der Ukrainekrieg, die
Coronapandemie, Bürgerkriege, die Fluchtbewegungen auslösen. Hinzu kommt
eine schlechtere wirtschaftliche Lage. Das führt zu einer Verunsicherung.
Um auch medial Botschaften, die Scheinbotschaften sein können, zu
dechiffrieren, brauchen sie eine gewisse Medien- und Politikkompetenz. Die
AfD ist recht erfolgreich darin, in populistischer Manier Feindbilder
aufzubauen, „Wir gegen die“, und vermeintlich einfache Lösungen zu
präsentieren. Und das macht sie technisch auch noch sehr gut auf Instagram,
Tiktok und YouTube Shorts.
Wenn Populismus auf Social Media zieht, wäre doch jetzt die Chance für das
Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
Ja, das BSW bedient ja auch ähnliche Ängste und Nöte und bietet einfache
Lösungen und Parolen an. Ich würde das BSW nicht als rechtsextrem
bezeichnen, aber populistisch auf jeden Fall. Und da finden wir
Schnittstellen. Wenn man von „Wir und die“ spricht, muss dieses „Wir“ ja
irgendwie ausbuchstabiert werden. So viele Möglichkeiten bleiben da nicht.
Und wenn es darum geht, Schuldige zu finden, gibt es ebenfalls nicht so
viele Varianten.
Ist die rechte Szene heute heterogener?
Es gab auch früher eine gewisse Vielfalt der rechten Radikalen, die sich in
einzelne Grüppchen unterteilt hat, die sich im Erscheinungsbild nicht sehr
unterschieden haben. Da haben wir heute eine größere Vielfalt:
Reichsbürger, Coronaleugner, Verschwörungsideologen, die heute eine
wichtigere und sichtbarere Rolle einnehmen, aber viele Ideologiefragmente
mit dem Rechtsextremismus teilen. Sie sind gut vernetzt. Dadurch wird die
Szene pluraler, jünger, zeitgeistiger. Sie finden die klassischen Skinheads
auch noch, aber sie bestimmen das Bild nicht mehr. Und das ist ganz bewusst
so.
Intellektuell kann sich die rechtsextreme Szene auf Verlage wie Antaios und
Kopp stützen. Gibt es heute neue rechte Ideologen, oder werden immer noch
Carl Schmitt und Armin Mohler gelesen?
Ich habe den Eindruck, dass es eine Gruppe von Ideologen gibt, die diese
alten Schinken aufbereiten, [1][Götz Kubitschek] zum Beispiel. Die greifen
diese Ideen noch mal auf, machen sie spannender. Oswald Spengler oder
Julius Evola zu lesen ist nicht gerade einfach. Diese Texte zu
aktualisieren, das macht die sogenannte Neue Rechte sehr gut. Tichys
Einblick etwa oder Jürgen Elsässer. [2][Überhaupt scheint sich die extreme
Rechte zu intellektualisieren]. Auch in den Reihen der AfD finden sich
viele gebildete Menschen, die vor rechtsextremen und
wissenschaftsfeindlichen Positionen nicht zurückschrecken.
Sie forschen seit Jahren zu Rechtsextremismus. Woran arbeiten Sie gerade?
Wir haben soeben ein Forschungsprojekt zu extrem rechten Raumkonstruktionen
abgeschlossen: Wie definieren AfD, NPD oder Der Dritte Weg Heimat, wie
Europa? Zudem arbeiten wir gerade an einer Studie zu den Kommunalwahlen und
den aufgestellten Kandidaten in Baden-Württemberg. Wir versuchen
herauszufinden, ob es strukturelle Determinanten gibt, die das Aufkommen
von Rechtsextremismus im Bundesland befördern. Aber allgemein sind mein
Kollege Reiner Baur und ich natürlich sehr mit dem Aufbau des Instituts
beschäftigt.
Sie leiten in Tübingen seit Kurzem das bundesweit erste Institut für
[3][Rechtsextremismusforschung]. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit von
anderen Forschungszentren?
Wir haben den großen Vorteil, dass wir institutionell abgesichert sind. Wir
sind auf Dauer finanziert, Teil einer Fakultät und damit gut eingebunden
und können auch nicht so schnell abgeschafft werden. Uns ist als Institut
zudem die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft wichtig. Von vornherein
die Bedarfe von Gesellschaft und Betroffenen mitdenken, wenn wir forschen,
sodass am Ende Extremismusprävention herauskommen kann.
Werden Sie international mit ähnlichen Instituten zusammenarbeiten?
Ja, mit dem C-REX (Center for Research on Extremism) in Oslo zum Beispiel
und mit Institutionen in den USA. Internationalisierung ist bei dem
Themenfeld wichtig. Rechtsextremismus macht vor nationalen Grenzen
interessanterweise keinen Halt. Die rechtsextremen Szenen in den jeweiligen
Ländern sprechen sich gegenseitig nicht die Existenzberechtigung ab, obwohl
sie alle radikal nationalistische Ideen vertreten.
Zuletzt hat es zwischen französischen und deutschen Rechten allerdings
gekracht, als der Rassemblement National (RN) die Zusammenarbeit mit der
AfD auf europäischer Ebene aufgekündigt hat.
Der RN hat seine Strategie geändert und möchte sich als konservative Kraft
etablieren. Wenn man sich die Positionen anschaut, sind die allerdings
immer noch weit rechtsaußen. Und es gibt ja mit der Partei Reconquête von
Éric Zemmour noch rechts vom RN eine eng verbundene Organisation. Wenn man
sich in Frankreich konservativ etablieren will, kann man aufgrund der Rolle
der Résistance auch in konservativen Kreisen nicht mit einer Partei
zusammenarbeiten, die die SS oder die SA verharmlost. Das ist strategisch
unklug. Man wird schauen müssen, wie sich die Zusammenarbeit zwischen den
extremen Rechten nach der EU-Wahl darstellen wird. Die Prognosen sagen,
dass sowohl die europäischen Reformer und Konservativen als auch die
ID-Fraktion deutliche Zuwächse verzeichnen werden. Man muss einen
Rechtsruck befürchten.
Kann die extreme Rechte auf Unterstützung durch die Wirtschaft rechnen? In
den USA zum Beispiel sind Unternehmer und Rechte eng verbunden.
Die Wahlkampfunterstützung in den USA funktioniert ganz anders als hier.
Die Kandidaten dort brauchen immer möglichst viel Geld. Außerdem gibt es
dort die Lobbygruppen, PACs (Political Action Committees), richtige
Geldmaschinen, die die jeweiligen Politiker unterstützen. Diese PACs können
sehr große Geldmengen zur Verfügung stellen. In Deutschland gibt es mit dem
Parteienfinanzierungsrecht ganz andere Schranken für Transparenz. Parteien,
die Großspenden annehmen, müssen diese offenlegen. Einzelne Großspenden
sehen wir auch hier, aber das hat nicht das Ausmaß wie in den USA.
Es geht ja nicht nur um Parteienfinanzierung, sondern auch um Unterstützung
für rechte Organisationen oder Thinktanks.
Klar, da gibt es einiges, Klimaleugner-Thinktanks et cetera, aber die
generieren nicht diese Riesenbeträge. Da spielt eher das Merchandising eine
Rolle bei der Finanzierung. Konzerte, Kampfsportveranstaltungen, Spenden.
Die Tendenz, dass mehr wohlhabende Menschen extrem rechte Gruppierungen
unterstützen, die sehen wir aber auch in Deutschland.
11 Jun 2024
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## AUTOREN
Julia Hubernagel
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