# taz.de -- Verfassungsschutzbericht im Norden: Rechtsextremismus nimmt stark zu | |
> Der Verfassungsschutzbericht für Schleswig-Holstein zeigt einen starken | |
> Zuwachs rechter Taten. Zudem gelingt es den Rechten, an die Mitte | |
> anzudocken. | |
Bild: Mit dem Eisernen Kreuz am Revers: Schleswig-Holsteins AfD-Vorsitzender Ku… | |
RENDSBURG taz | Deutlich zugenommen hat die Zahl rechtsextremer Gewalt- und | |
Straftaten in Schleswig-Holstein: 975 Vorfälle, 40 Prozent mehr als im | |
Vorjahr, vermerkt der Verfassungsschutzbericht für 2023, den | |
Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) gemeinsam mit den Vertretern | |
von Verfassungs- und Staatsschutz in Kiel vorstellte. Damit liegen die | |
Vorfälle aus dem rechten Milieu weit vor linken oder islamistischen Taten. | |
Beim Rechtsrock-Konzert „Der Norden rockt“ in Neumünster im März 2023 | |
wurden 19 Polizeikräfte verletzt. Vor allem aber wurden in 56 Fällen nicht | |
deutsch gelesene Menschen Opfer rechter Gewalt. Auch zwei Brandstiftungen | |
gelten als rechte Taten. Die Mehrzahl aller Fälle sind sogenannte | |
Propagandadelikte, zu denen verfassungsfeindliche Symbole oder rassistische | |
Beleidigungen gehören. Rund 1.200 Personen zählen die Behörden zur | |
rechtsextremen Szene im Land. | |
„Das sind beunruhigende Zahlen“, sagt Henrik Greve, stellvertretender | |
Leiter der Abteilung Staatsschutz im Landeskriminalamt. Ein Grund für den | |
starken Anstieg könne sein, dass mehr Taten angezeigt würden. „Aber je | |
länger ich die Lage betrachte, muss ich sagen, es ist auch wirklich mehr | |
geworden.“ | |
Neben der rechten Szene, die Sütterlin-Waack als „größte Bedrohung“ für… | |
Land bezeichnete, beobachten die Behörden auch linke und islamistische | |
Gruppen sowie die Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“, wie | |
Verfassungschef Torsten Holleck sagte. Alle diese Gruppen sind mit je 700 | |
bis etwa 750 Personen etwa gleich stark. Dabei bleibe die Bedrohung durch | |
die islamistische Szene „weiterhin abstrakt hoch“, so Sütterlin-Waack. | |
Daher seien Sicherheitsmaßnahmen gerade bei Großereignissen wie Fußball-EM | |
oder Kieler Woche wichtig. | |
Die linksextremistische Szene agiere in der Regel „reaktiv“, sprich: Die | |
meisten linken Straftaten – insgesamt zählen die Behörden 137 – passieren | |
bei Demos gegen rechte Gruppen. Zu einer „festen Größe“ in der linken Sze… | |
sei inzwischen die Kieler [1][Turboklimakampfgruppe] (TKKG) geworden, die | |
der Bericht als „aktivste Gruppe im Bereich der Klimabewegung“ in | |
Schleswig-Holstein bezeichnet. Allerdings sei es „der linksextremistischen | |
Szene über alle Spektren hinweg nicht gelungen, eine intensivierte | |
Vernetzung und Zusammenarbeit mit dem zivilgesellschaftlichen Spektrum | |
aufzubauen“, stellt der Bericht fest. Die „Scharnierfunktion zum | |
bürgerlichen Spektrum“ schwinde, die Linke verliere an Bedeutung. | |
Anders sieht das mit den Ideen der rechten und rechtsextremen Gruppen aus. | |
„Wir alle spüren, dass unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung unter | |
massiven Druck gerät“, so der Sprecher der SPD-Fraktion für Innere | |
Sicherheit, Niclas Dürbrook. „Besorgniserregend“ nannte er die Versuche der | |
rechtsextremen Szene, „nationalistisches und völkisches Gedankengut [2][in | |
die Mitte der Gesellschaft zu tragen]“. Über Plattformen wie Tiktok oder | |
Youtube würden [3][vor allem Jugendliche angesprochen.] | |
Das sah Holleck ähnlich, er sprach bei der Pressekonferenz von Versuchen, | |
das „nicht Sagbare sagbar zu machen“. Dazu würden Begriffe besetzt, um die | |
Deutungshoheit zu ändern. Das beginne mit rassistischen Sprüchen nach dem | |
Motto „Das wird man ja wohl sagen dürfen“ und ende mit Begriffen wie | |
„[4][Remigration]“ oder dem Narrativ des „Großen Austausches“. | |
Wie gut es gelingt, die Grenzen zu verschieben, ließ sich sogar bei der | |
Pressekonferenz erkennen, in der die Ministerin den | |
Verfassungsschutzbericht vorstellte. Denn neben den Bilanzen des Vorjahres | |
ging es um die aktuelle Frage, wie Menschen mit ausländischem Pass, die als | |
„Straftäter und Gefährder“ eingeschätzt werden, leichter abgeschoben wer… | |
können – auch in Länder wie Afghanistan oder Syrien, für die bislang ein | |
Abschiebestopp gilt. | |
8 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Esther Geißlinger | |
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