Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Prozess zu Schiffsunglück: „Pylos war kein Unfall“
> Mehr als 500 Geflüchtete starben 2023 bei dem Unglück im Mittelmeer. Vor
> Gericht stehen nun neun Überlebende, die Schuld der Küstenwache ist
> ungeklärt.
Bild: Gefährliche Überfahrt: Geflüchtete wollen übers Mittelmeer nach Europa
Berlin taz | Rund elf Monate nach einem der wohl schwersten Unglücke von
Migrant:innen im Mittelmeer überhaupt beginnt am Dienstag im
griechischen Kalamata der Prozess gegen neun Ägypter, die die Katastrophe
überlebt hatten. Die Staatsanwaltschaft wirft den Männern Mitgliedschaft in
einer kriminellen Vereinigung, Beihilfe zur unerlaubten Einreise und
fahrlässige Tötung durch die Verursachung des Schiffbruchs vor. Die
Behörden gehen von 500 Toten aus, darunter allein 350 Menschen aus
Pakistan.
Am 14. Juni 2023 [1][war in internationalen Gewässern] 80 Kilometer vor der
griechischen Hafenstadt Pylos der Fischkutter „Adriana“ mit nach
Schätzungen von Passagieren rund 750 Menschen an Bord nach einem
Motorschaden gekentert. Nur 104 Menschen überlebten, 78 Leichen wurden
geborgen. Nach Recherchen internationaler Medien oder
Nichtregierungsorganisationen, darunter der Forensis, trägt die griechische
Küstenwache erhebliche Mitschuld an der Katastrophe.
Die „Adriana“ war am 10. Juni im libyschen Hafen Tobruk abgefahren. An Bord
befanden sich Flüchtlinge und Migrant:innen aus Pakistan, Syrien,
Palästina, Ägypten und Afghanistan. Unter den 104 Überlebenden waren keine
Frauen und Kinder, vermutlich, weil Schlepper diese im Unterdeck
eingeschlossen hatten. Das Unglück ereignete sich in einer Region, in der
das Mittelmeer zwischen 4.000 und 5.200 Metern tief ist, weshalb das Wrack
mit den Leichen nicht geborgen wurde.
Die für die Meeresregion [2][zuständige griechische Küstenwache] (HCG)
hatte bereits 15 Stunden bevor das Schiff sank, kurz vor 10 Uhr morgens, am
13. Juni, von einem Aktivisten die ersten Alarm-Meldungen zur „Adriana“
erhalten. Eine Stunde später machte nachweislich sowohl die
EU-Grenzschutzagentur Frontex als auch die italienische Küstenwache die HCG
auf die „Adriana“ aufmerksam. Doch diese half nicht. In den Tagen nach dem
Unglück behauptete die Küstenwache, Passagiere hätten im Laufe des 13. Juni
Hilfsangebote abgelehnt. Überlebende bestreiten dies.
## Welche Schuld trägt die Küstenwache?
Sie sagten aus, in den frühen Morgenstunden des 14. Juni habe ein Boot der
Küstenwache die „Adriana“ zunächst dazu gebracht, in Richtung italienisch…
Gewässer weiterzufahren. Als der Motor der Adriana versagte, habe die
Küstenwache versucht, das Boot mit einem Seil weiter aus der griechischen
Rettungszone heraus, Richtung Italien zu schleppen. [3][Dabei sei das
überfüllte Boot] ins Schaukeln geraten und danach gekentert und gesunken.
Eine im Juni 2023 vom griechischen Seegericht eröffnete Ermittlung zu
möglichem Fehlverhalten der Küstenwache ist anhängig.
Die direkt nach dem Unglück festgenommenen neun Ägypter im Alter von 20 bis
40 Jahren befinden sich seit elf Monaten in Untersuchungshaft. Ihnen drohen
lebenslange Haftstrafen. Sie hatten bei einer ersten Anhörung im Juni 2023
auf „nicht schuldig“ plädiert. „Es besteht ein reales Risiko, dass diese
neun Überlebenden auf der Grundlage unvollständiger und fragwürdiger
Beweise für ‚schuldig‘ befunden werden könnten, da die offizielle
Untersuchung der Rolle der Küstenwache noch nicht abgeschlossen ist“, sagt
Judith Sunderland, Europa-Direktorin bei Human Rights Watch.
„Eine glaubwürdige und aussagekräftige Rechenschaftspflicht für eines der
schlimmsten Schiffsunglücke im Mittelmeer muss auch die Feststellung einer
eventuellen Haftung der griechischen Behörden beinhalten.“ In einer
Untersuchung der NGO Alarm-Phone, die während der letzten Stunden der
„Adriana“ in Kontakt mit den Menschen auf dem Schiff stand, heißt es:
„Pylos war kein Unfall, es war ein weiteres Massaker auf See.“ Die
Katastrophe sei eine Folge der „eskalierenden Brutalisierung der
Grenzdurchsetzung auf See, an Land und im öffentlichen Diskurs.“
21 May 2024
## LINKS
[1] /Proteste-in-Bruessel-gegen-EU-Asylpolitik/!5943957
[2] /Griechenland-nach-der-Bootskatastrophe/!5940288
[3] /Bootsunglueck-im-Mittelmeer/!5939907
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Migration
Schwerpunkt Flucht
Flucht
Küstenwache
Griechenland
GNS
Social-Auswahl
NGO
Lesestück Recherche und Reportage
Griechenland
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Lesestück Recherche und Reportage
Griechenland
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Schwerpunkt Flucht
Griechenland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Studie zu Grenzfluss Evros: Wem gehört die Insel?
Eine Studie zeigt, wie Geflüchtete Opfer ungeklärter Grenzkonflikte
zwischen Griechenland und der Türkei werden. Sie stammt von der
Forschungs-NGO Forensis.
Was Griechenland wusste: Das tödliche Geschäft des Abu Sultan
Hunderte Menschen starben 2023 beim Schiffbruch von Pylos und Griechenland
steckte neun Überlebende in den Knast. taz-Recherchen zeigen: Die Justiz
wusste, dass sie unschuldig waren.
Griechenlands neuer Migrationsminister: Das rechte Profil stärken
Nikos Panagiotopoulos gilt als Verfechter eines harten Kurses in der
Flüchtlingspolitik. Für Schutzsuchende sind das schlechte Nachrichten.
Urteil nach tödlichem Schiffsunglück: Freispruch und viele Unklarheiten
Hunderte Geflüchtete ertranken bei dem Schiffsunglück 2023 nahe der
griechischen Küstenstadt Pylos. Neun Angeklagte werden freigesprochen.
EGMR verurteilt Griechenland: Schüsse waren „unverhältnismäßig“
Die Küstenwache schoss 2014 auf ein Boot, ein Migrant starb. Darüber
urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Migration nach Europa: Die Weiterflucht
Ein Großteil der syrischen Geflüchteten ist im Nachbarland Jordanien
untergekommen. Viele wollen jetzt weiter nach Europa. So etwa Mohammad Ali
Hamad.
Verbrannte Migranten in Griechenland: Eine neue Qualität
18 Geflüchtete sterben bei Waldbränden in Griechenland. Migranten werden
beschuldigt, die Feuer gelegt zu haben. Es trifft wieder die ganz unten.
Proteste in Brüssel gegen EU-Asylpolitik: Das Mittelmeer ist „ein Tatort“
Geflüchtete und NGOs protestieren in Brüssel gegen die EU. Während sich die
Regierungschefs treffen, werden Notruf-Mails bis Samstag vorgelesen.
Griechenland nach der Bootskatastrophe: Einig mit Meloni, Zwist mit Frontex
Griechenland prescht mit migrationsfeindlicher Politik vor. Frontex macht
dem Land nun schwere Vorwürfe im Fall der Bootskatastrophe vor zwei Wochen.
Bootsunglück im Mittelmeer: Ein Sohn, ein Bruder, einer von 750
Der Pakistaner Ali Raza wollte in Europa sein Glück versuchen. Nun ist er
vermutlich im Mittelmeer ertrunken. Ein Besuch bei seiner Familie.
Nach Bootsunglück vor griechischer Küste: Kanonen statt Schwimmwesten
646 Menschen könnten vor Pylos gestorben sein. In einer Woche will der
Konservative Mitsotakis die absolute Mehrheit erreichen.
Nach dem Bootsunglück vor Griechenland: Die Küstenwache griff nicht ein
Mehrere Hundert Tote befürchtet. Die griechischen Behörden hatten das
überfüllte Fischerboot mehr als 10 Stunden lang begleitet, statt
einzugreifen.
Bootsunglück im Ionischen Meer: Katastrophe mit Ansage
Mindestens 78 Menschen kommen ums Leben, als in der Nacht zu Mittwoch ein
überladenes Fischerboot mit Flüchtlingen und Migranten untergeht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.