| # taz.de -- Reaktionen auf das Sylt-Video: Von nichts gewusst | |
| > Dass Leute auf Sylt rassistische Parolen brüllen, hat online für Schock | |
| > und Überraschung gesorgt. Doch die Reaktionen sind unaufrichtig. | |
| Bild: Mahnwache in Kampen unter dem Motto: Sylter gegen Rechts am 26.05.2024 | |
| Es ist wieder passiert: Rassismus in Deutschland wurde dokumentiert und | |
| medial öffentlich gemacht. Ein rassistischer Vorfall hat unsere | |
| Aufmerksamkeit und wird zum Aufreger im Netz. Habt ihr [1][das Sylt-Video] | |
| gesehen? Ich auch. Auf allen Plattformen. Rassistisches und | |
| menschenverachtendes Verhalten gehört aufgezeigt, problematisiert, | |
| öffentlich bloßgestellt und geächtet. Gut wenn so etwas viral geht und | |
| niemand so tun kann, als hätte man es leicht nicht mitkriegen können. | |
| Richtig so. | |
| Doch dann beginnt das Überraschungs-Game. Das Spiel ist so nervig wie | |
| vorhersehbar: Irgendwas mit [2][Rassismus geht viral] und wird in den | |
| Medien diskutiert. Dann kommen die Reaktionen und Statements. Von | |
| Politiker*innen und Privatleuten. Von Medienpersönlichkeiten und | |
| Leuten mit einem Insta-Account. | |
| Viele Menschen sagen, sie seien schockiert. Jedes Mal, ob in Reaktion auf | |
| Beleidigungen im Alltag, auf rassistische Chatnachrichten einer Behörde, | |
| beim Anschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft oder eben wenn ein Video | |
| kursiert auf dem irgendwelche reichen Leute auf einer deutschen Insel in | |
| bester Partylaune rassistische Parolen grölen und [3][den Hitlergruß | |
| zeigen]. | |
| Irgendwer ist immer überrascht. All diese Momente, in denen sich Rassismus | |
| öffentlich zeigt, sind ganz unterschiedlich einzuordnen, kommen aber aus | |
| dem gleichen rassistischen Grundton in diesem Land. Deswegen ist daran | |
| selbstverständlich nichts überraschend. „Schockierend“ lasse ich gelten. | |
| ## Sie sind nicht überrascht, sie tun nur so | |
| Ich bin nicht die Einzige, die sich an der vorgetragenen, behaupteten | |
| Überraschung stört. Denn auf solche ersten Statements folgt eine zweite | |
| Welle. Es ist die Empörung über die Überraschung: eine Welle an Tweets und | |
| Instagram-Storys, in denen Leute erklären, dass sie nicht überrascht | |
| sind. Wie gesagt, ich bin es auch nie. Doch die Abläufe dieser Reaktionen | |
| wiederholen sich so sehr, dass sie schon einstudiert wirken und ich | |
| beginne, an der Aufrichtigkeit von beidem zu zweifeln: Die Reaktion ist | |
| nicht echt und die Gegenreaktion auch nicht. | |
| Wie wahrscheinlich ist es, dass Menschen, die in diesem Land leben, | |
| wirklich von nichts wissen? Dass ihnen das rassistische Klima nicht bewusst | |
| ist, sie von [4][Halle] und [5][Hanau] nichts mitbekommen haben? Kennen sie | |
| nicht die Wahlergebnisse und [6][Umfragewerte der AfD]? Wer einen | |
| Internetzugang hat, weiß, was hier los ist und wird nicht von Rassismus | |
| „überrascht“. Wer ins Internet kommt, um seine Überraschung auszudrücken, | |
| kann nicht überrascht sein. | |
| Und die Unüberraschten wie ich? Wir spielen das Spiel mit, in dem wir die | |
| Überraschung durch unsere Gegenposition legitimieren. Vor allem wenn wir | |
| als Betroffene argumentieren. „Ich, die ich Rassismus erfahre, bin nicht | |
| überrascht“, ist bestimmt eine befreiende Aussage und weist darauf hin, | |
| dass nicht alle auf die gleiche Weise Rassismus erfahren. Dass es ein | |
| [7][weißes Privileg] ist, überrascht sein zu können. Dabei schwingt aber | |
| eine Entschuldigung mit für alle, die sich ignorant stellen: „Ich weiß | |
| etwas, das du nicht so gut wissen kannst.“ | |
| Sie sind nicht überrascht. Sie tun nur so. Sie entscheiden sich dafür, die | |
| rassistische und faschistische Gefahr zu ignorieren. Das nächste Mal sollte | |
| die Reaktion also nicht sein: „Du bist überrascht und ich bin es nicht“, | |
| sondern: „Ich bin nicht überrascht, und ich weiß, du bist es auch nicht. | |
| Was machen wir jetzt?“ | |
| 30 May 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Simone Dede Ayivi | |
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