# taz.de -- AfD-Ergebnisse bei der Europawahl: Deutschland kann von Mainz lernen | |
> In Mainz hat die AfD bei der Europawahl keine Prozentpunkte gewonnen. | |
> Unser*e Kolumnist*in erklärt, was Deutschland der Stadt absehen | |
> kann. | |
Bild: Mainz ist anders, zumindest was das Wahlergebnis der AfD betrifft | |
Es lebt sich gut in Mainz. Wo Rieslingschorle fließt und man den Karneval | |
noch Fassenacht nennt, ist etwas anders als in vielen Teilen Deutschlands: | |
Die rechtsextreme AfD hat bei der jüngsten Europa- und Kommunalwahl gerade | |
mal 6 Prozent bekommen. Das ist wenig, aber viel wichtiger ist: Es ist | |
ziemlich genau so viel wie bei der letzten Wahl. Und progressive Kräfte | |
haben sogar etwas gewonnen. In der SWR-Wahlrunde am Wahlabend war man bei | |
der Mainzer AfD gleich so verdattert über das Ergebnis, dass man prompt die | |
Zahlen infrage stellte: Vollkommen gegen den Bundestrend? Das könne nicht | |
sein. | |
Doch. Kann sein. Man kann sagen, hier hat der Rechtsruck der letzten Jahre | |
und Monate nicht stattgefunden. Und dafür gibt es gute Gründe. Wer in Mainz | |
lebt, bemerkt schnell, dass die Stadtgesellschaft weltoffen ist und | |
zusammenhält. Und das ist keine Floskel. Als Anfang 2024 gegen die | |
Deportationspläne der AfD protestiert wurde, waren wie selbstverständlich | |
auch die lokale CDU und die hiesigen Freien Wähler Teil der | |
Demonstrationen. Das stand nicht mal zur Debatte. | |
In Mainz gibt es keine „Zugezogenen“, kein Argwohn gegenüber Menschen, die | |
neu in die Stadt kommen. Diese Haltung ist tief verankert an [1][Rhein] und | |
Main. Die Mainzer Lebensart hat etwas Antiautoritäres. Die | |
Fassenachtsvereine sind das wahrscheinlich größte Bollwerk gegen die | |
Faschisten. Dort schmeißt man Nazis im Zweifel einfach raus und lässt sie | |
gar nicht erst versuchen, lokale Strukturen zu übernehmen. Wie dieses Jahr, | |
als der Fraktionsvorsitzende der AfD nicht am [2][Rosenmontagszug] | |
teilnehmen durfte. | |
Die AfD und auch ihre politischen Vertreter sind in der Stadt isoliert: ein | |
paar alte Herren, die im Prinzip schon seit Jahren in der rechtsradikalen | |
Szene unterwegs sind. Wer heute für die AfD im Stadtrat sitzt, saß vor 20 | |
Jahren noch für die rechten Republikaner im selben Gremium. Unter jungen | |
Menschen ist es hier nicht attraktiv, rechtsradikal zu sein. Kein Schobbe | |
für Nazis lautet das Motto. Ihnen wird also keine Weinschorle serviert. | |
## Gesellschaftliches Klima ist eine reale Ressource | |
All das funktioniert natürlich nicht im luftleeren Raum. Mainz betreibt | |
seit Jahren erfolgreiche Wirtschaftspolitik, und das führt zu einer | |
allgemeinen Aufbruchsstimmung. Der Rest der Bundesrepublik sollte von uns | |
lernen, denn Mainz ist keine Insel. Die Stadt liegt in Deutschland, hier | |
werden Häuser aus Stein gebaut, und auch sonst geht es ganz irdisch zu. | |
Mainz ist nicht mal eine typische Ausreißerkommune mit horrend hohen | |
Gewerbeeinnahmen, sondern seit 30 Jahren chronisch hoch verschuldet und | |
erst durch [3][Biontech] kurzzeitig schuldenfrei gewesen. Keine Sorge: | |
Auch die Mainzer Stadtkassen sind wieder leer. | |
Dass Mainz Biotechnologiestandort ist, muss nicht so bleiben. Biontech | |
kann die Stadt verlassen, wenn es anderswo attraktiver ist. Mainz ist immer | |
noch eine 200.000-Einwohner-Stadt und nicht Berlin oder Hamburg. Aber wenn | |
eine Stadtgesellschaft ein attraktives Klima bietet, werden Fachkräfte | |
zuziehen und Unternehmen Standorte ausbauen. | |
Gesellschaftliches Klima ist eine reale Ressource, die ganz direkte | |
Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen hat – und | |
damit auf den Erfolg oder Misserfolg der Faschisten. Die wollen nämlich das | |
Gegenteil, sie wollen ein Umfeld aus Nationalismus, Abschottung und | |
Fremdenfeindlichkeit, wodurch Wirtschaftsstandorte abgehängt werden. | |
Das gesellschaftliche Klima fängt bei uns selbst an. Lasst uns alle ein | |
bisschen Mainz sein. | |
16 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Maurice Conrad | |
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