# taz.de -- US-Debatte über Trump und Faschismus: Der Verstärker | |
> Ist Ex-Präsident Donald Trump ein Faschist? Die USA diskutieren vor | |
> seiner möglichen Rückkehr über eine Anthologie namens „Did it happen | |
> here?“. | |
Bild: Donald Trump im Oval Office, November 2020 | |
Bei der Verwendung des Faschismus-Begriffs in der politischen Debatte, das | |
weiß wohl kaum jemand besser als wir Deutschen, ist äußerste Vorsicht | |
geboten. Zu gut sind uns noch die 1960er und -70er Jahre in Erinnerung, als | |
sich die Linke dabei lächerlich machte, jeden politischen Gegner mit dem | |
F-Wort zu belegen und damit den Begriff bis zur Bedeutungslosigkeit | |
auszuleiern. | |
Und auch heute gerät wieder so manch eine in die Bredouille, wenn sie zu | |
leichtfertig mit dem Wort umgeht, das bisweilen als Bezeichnung für | |
Positionen an den entgegengesetzten Enden des politischen Spektrums benutzt | |
wird. | |
Spätestens seit Donald Trump zum ersten und hoffentlich letzten Mal ins Amt | |
gewählt wurde, haben die USA nun ein ähnliches Problem. Noch bevor Trump im | |
Jahr 2017 seinen Fuß über die Schwelle des Weißen Hauses setzte, hagelte es | |
in den amerikanischen Debatten Vergleiche mit der Machtübernahme Hitlers | |
1933. | |
Michiko Kakutani prophezeite in der New York Times einen bevorstehenden | |
amerikanischen Reichstagsbrand. [1][Timothy Snyder] wurde mit seinem Buch | |
„On Tyranny“ der liebste Zitatgeber der Alarmisten. Der Star der US-Linken, | |
Alexandria Ocasio Cortez, nannte Trumps Internierungslager an der | |
mexikanischen Grenze Konzentrationslager und selbst Joe Biden schreckte | |
zuletzt nicht davor zurück, Trump einen „Semi-Faschisten“ zu nennen. | |
## Status Quo vor Trump | |
Nach der Abwahl Trumps im Jahr 2020 konnten die USA für einen Moment | |
durchatmen, man hatte das Gefühl, zu einer gewissen demokratischen | |
Normalität zurückzukehren oder besser, zu einem Status Quo Ante Trump, den | |
man als Demokratie hinzunehmen gelernt hatte. Doch mit seiner möglichen | |
Wiederwahl kehrt die Diskussion nun zurück. | |
Was haben die USA zu erwarten, fragt man sich dort, wie auch anderswo, wenn | |
Trump ins Weiße Haus zurückkehrt? Wird er mit der Erfahrung einer ersten | |
Amtszeit und einer besseren Einsicht in die Mechanismen der Macht | |
tatsächlich endgültig die amerikanische Demokratie aushebeln und ein wie | |
auch immer geartetes autokratisches Regime errichten? | |
Um eine Ahnung davon zu bekommen, was die USA und die Welt erwartet, blickt | |
eine neue Aufsatzsammlung in die jüngste Vergangenheit und stellt | |
provokativ die Frage „Did it happen here?“ Wie weit, möchte der Herausgeber | |
Daniel Steinmetz Jenkins einkreisen, waren die USA in der ersten Amtszeit | |
Trump oder gar schon vorher in den Faschismus abgerutscht und vor allem: | |
taugt die Analogie zu den italienischen, spanischen und deutschen Regimen | |
im 20. Jahrhundert dazu, das zu beschreiben, was der Welt möglicherweise | |
bei einer Wiederwahl Trumps bevorsteht? | |
## Entwarnung und Pessimismus | |
Wie bei einer akademischen Anthologie nicht anders zu erwarten, finden sich | |
fundierte Argumente quer über das Spektrum zwischen entwarnenden und | |
pessimistischen Behauptungen. So eröffnet das Buch mit einem Aufsatz des | |
[2][Princetoner Politologen Jan-Werner Müller], der sich dezidiert gegen | |
die Verwendung des Faschismus-Begriffs für den amerikanischen Kontext | |
stellt. | |
Entscheidende Elemente der Faschismen des 20. Jahrhunderts fehlten in den | |
USA, Trump sei kein Kriegstreiber per se, er habe die freie Presse zwar | |
ständig attackiert, aber niemals ernsthaft versucht, sie auszuschalten, und | |
bei aller rassistischen und xenophoben Rhetorik gebe es keine massenhafte | |
staatliche Verfolgung von Minderheiten. | |
Auf Müllers Text folgt ein Aufsatz des [3][Politologen Robert Paxton], der | |
sich lange gegen den Begriff gesträubt hatte, jedoch angesichts des Sturms | |
auf das Kapitol am 6. Januar 2021 seine Meinung geändert hat. Trumps offene | |
Anstiftung zu politischer Gewalt, so Paxton, mache trotz aller historischen | |
Unterschiede zum Europa der 1930er-Jahre das Label Faschismus zwingend. | |
Je mehr man sich in diese Begriffsdiskussion vertieft, desto klarer wird | |
jedoch, wie bedeutungslos sie für die Praxis ist. Denn auch Müller, der den | |
Begriff Rechtspopulismus vorzieht, möchte unter keinen Umständen Trump | |
verharmlosen. Zugleich sind sich fast alle Kommentatoren einig, dass, | |
welche Form auch immer eine mögliche erneute Trump-Regierung annehmen wird, | |
sie nicht so aussehen wird wie Deutschland im Jahr 1933. | |
## Trumps Anhänger glauben ihm alles | |
Ebenso einig ist man sich jedoch, dass es zahlreiche signifikante | |
Parallelen gibt: Das Aufpeitschen einer Wählerschaft, die sich missachtet | |
und zurückgelassen fühlt, die rhetorische Entmenschlichung einer | |
Bevölkerungsgruppe – in Trumps Fall vor allem Einwanderer – und vor allem | |
die Art und Weise, wie er, im Sinn von Hannah Arendt, jegliche | |
Informationsquelle außer sich selbst diskreditiert und somit eine | |
Anhängerschaft geschaffen hat, die ihm, losgelöst von allen Fakten, alles | |
glaubt. | |
Was also hätte die Welt von einer zweiten Trump-Amtszeit zu befürchten? | |
Wenn es eine Quintessenz aus den verschiedenen Stimmen der Anthologie gibt, | |
dann vielleicht die: Es werden keine Braunhemden mit Fackeln durch die | |
Straßen von New York und Washington marschieren und Trump wird es | |
vermutlich schwer haben, alle demokratischen Institutionen | |
gleichzuschalten, inklusive seiner eigenen Partei. | |
Gleichzeitig wird er weiterhin rassistische und xenophobe Ressentiments | |
aufpeitschen, Einwanderern das Leben schwer machen, versuchen, errungene | |
Rechte wie jene auf Abtreibung zurückzufahren, den Polizeistaat stärken und | |
antidemokratischen sowie antipluralistischen Tendenzen in den USA | |
Rückenwind verschaffen. | |
Und das scheint am Ende die größte berechtigte Sorge zu sein. [4][Sarah | |
Churchwell] legt in ihrem aufschlussreichen Aufsatz dar, dass die | |
amerikanische Gesellschaft faschistische Tendenzen hat, die tief durch die | |
Geschichte des 20. Jahrhunderts laufen. Trump ist weder deren Kulminations- | |
noch deren Endpunkt. Aber er ist ein Katalysator, der sie um ein Vielfaches | |
verstärkt. | |
28 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Sebastian Moll | |
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