# taz.de -- Donald Trump und das F-Wort: Projekt und Projektion Faschismus | |
> Ist Donald Trump ein Faschist? In den USA sind sich immer mehr Analysten | |
> darüber einig – und verwaschen so die Bedeutung dieses Begriffs. | |
Bild: Viele halten auch Trump für einen Faschisten | |
Die Frage „Ist Trump ein Faschist?“ ist in den USA so alt wie Donald Trumps | |
politische Karriere. „So kommt Faschismus nach Amerika“, [1][schrieb der | |
konservative Kommentator Robert Kagan] schon 2016, als Trumps Aufstieg | |
gerade begann. „Wir sollten zögern, bevor wir diese toxischste aller | |
politischen Bezeichnungen auf Trump anwenden“, [2][mahnte demgegenüber der | |
renommierte Faschismusforscher Robert Paxton] 2017: Trump sei einfach „eine | |
autoritäre Persönlichkeit bar jeder Verpflichtung zum Rechtsstaat, zu | |
politischer Tradition oder gar Ideologie“. | |
Der Sturm rechtsradikaler Trump-Anhänger auf das Kapitol am 6. Januar 2021, | |
um den Machtwechsel zu verhindern, sorgte für einen Umschwung. Gleich in | |
der nächsten Ausgabe des Magazins Newsweek [3][übte Paxton öffentlich | |
Selbstkritik] und gab den Faschismusbegriff für Trump frei: „Die | |
Bezeichnung erscheint heute nicht nur akzeptabel, sondern notwendig.“ | |
Trumps Gegner griffen das dankbar auf. Kurz vor den Wahlen 2024 | |
beantwortete Kamala Harris, Präsidentschaftskandidatin der US-Demokraten, | |
die Frage, ob sie Trump für einen Faschisten halte, [4][mit „Ja“]. Seit | |
seiner erneuten Amtsübernahme am 20. Januar 2025 checken US-Linke Trumps | |
Worte und Taten gegen ihre Listen der Merkmale des Faschismus – | |
Autoritarismus, extremer Nationalismus, Militarismus und „Othering“, also | |
Ausgrenzung, lautet eine der beliebtesten – und kommen zum Schluss: Ja. | |
Trump ist ein Faschist. | |
In Ländern, die Faschismus selbst erlebt haben, ist er Teil der eigenen | |
Geschichte. In den USA ist es ein abstrakter Begriff, um dessen Definition | |
sich die historische Wissenschaft streitet, vor allem in Bezug auf Europa | |
zwischen den Weltkriegen. Vielleicht nicht ganz zufällig entwickelte sich | |
in den Jahren der Verhärtung in den USA nach den Terroranschlägen des 11. | |
September 2001 [5][eine Kontroverse] darüber, ob Faschismus eine | |
„revolutionäre“ oder eine „konterrevolutionäre“ Bewegung sei, also mit | |
einer eigenen positiven Vision oder lediglich mit dem Negativziel, | |
unerwünschte Entwicklungen zu zerstören. | |
Für erstere Annahme stand der in den USA lehrende britische Soziologe | |
Michael Mann, für letztere Robert Paxton. Mann definiert Faschismus in | |
seinem Buch „Fascists“ als eine Form von Staatsumbau, als „das Bestreben, | |
eine transzendente und säubernde Nationalstaatlichkeit durch | |
paramilitärische Organisation zu schaffen“; er unterdrückt zunächst seine | |
Gegner und unterwirft nach dem Sieg alle Klassen und Gruppen einem | |
korporatistischen Einheitsstaat. | |
Paxton hingegen definiert Faschismus in „The Anatomy of Fascism“ als eine | |
Art Abwehrkampf, nämlich „eine Form politischen Verhaltens, die durch eine | |
obsessive Beschäftigung mit dem Niedergang der eigenen Gemeinschaft, ihrer | |
Demütigung oder Opferrolle sowie durch kompensatorische Kulte von Einheit, | |
Stärke und Reinheit gekennzeichnet ist, in denen eine Partei | |
nationalistischer Kämpfer, die in loser, aber effektiver Zusammenarbeit mit | |
den traditionellen Eliten arbeitet, demokratische Freiheiten aufgibt und | |
mit messianischer Gewalt und ohne ethische oder rechtliche Beschränkungen | |
Ziele der internen Säuberung und externen Expansion verfolgt“. | |
Als die Öffentlichkeit diese vergleichende historische Forschung für die | |
Analyse des Phänomens Trump ausschlachtete, war die Wissenschaft entsetzt. | |
Denn nun konnte man sich aus unterschiedlichen Faschismusdarstellungen die | |
jeweils passende selbst zusammenstricken und auf die Gegenwart projizieren. | |
Der Politologe Dylan Riley [6][warnte 2018], so missbrauche man „die | |
Vergangenheit als Lagerstätte zusammenhangloser Beispiele“. | |
Als aber Paxton 2021 Trump dann doch als Faschisten bezeichnete, zog er | |
selbst den historischen Bogen. Wenn man, wie Paxton, Faschismus als | |
organisierte Konterrevolution begreift, ist der Sturm auf das Kapitol ein | |
faschistischer Akt und „Make America Great Again“ eine faschistische | |
Parole. Schon Italiens Benito Mussolini hatte 1919 beim Gründungskongress | |
der faschistischen Bewegung gesagt: „Wir Faschisten haben keine | |
vorgefertigte Doktrin, unsere Doktrin ist die Tat.“ | |
## Faschismus ist mehr als nur Gefuchtel | |
Aber genügt ein Aufstand, genügt eine Attitüde, um Faschist zu sein? Im | |
Laufe der Jahre wurden solche Debatten in linken Zirkeln zu einer Art | |
Reinlichkeitstest für Trump-Gegner, „ein Proxy dafür, wie man zu anderen | |
Fragen steht“, [7][bemerkte der New Yorker] im März 2024 in dem Essay | |
„Wieso wir nicht aufhören können, darüber zu streiten, ob Trump ein | |
Faschist ist“, und schlussfolgerte: „Um zu wissen, wann wir Panik kriegen | |
sollen, müssen wir wissen, wonach wir Ausschau halten.“ | |
Wonach also hält man Ausschau? Hitlergrüße? Hakenkreuze? NS-Reizwörter? | |
Rufe nach „Remigration“? | |
Vielen genügt das. Faschismus ist aber nicht auf Gesten und Worte zu | |
reduzieren. Faschismus ist keine Show und auch keine bloße Haltung. Es ist | |
ein politisches und gesellschaftliches Organisationsprinzip. In | |
zeitgenössischen Schilderungen des Faschismus aus den 1930er Jahren fällt | |
auf, dass an erster Stelle immer die Massenorganisationen und ihre rohe | |
Gewalt stehen, die allen Konkurrenten den Rang streitig machen. Mit der | |
Machtergreifung rücken sie selbst an die Schaltstellen der Macht. | |
Staatliche Institutionen sind fortan nur noch ausführende Organe des durch | |
den Faschismus ausgedrückten Volkswillens. Man gehört dazu – oder man ist | |
Volksfeind. Der gesunde Volkskörper muss von kranken Elementen gesäubert | |
werden, Gewalt gegen Abweichende und Andersdenkende ist systemisch und | |
unbarmherzig. | |
„Die faschistische Diktatur findet das nächste Moment für ihr Handeln in | |
der Notwendigkeit, jede Kritik, jede gegnerische Organisation zu | |
vernichten, die gesamte gesellschaftliche Tätigkeit ihrer Kontrolle und | |
Leitung zu unterwerfen“, hieß es in einem der letzten Manifeste der nicht | |
stalinistischen deutschen Linken vom Mai 1933, bevor sie alle ins KZ | |
wanderten oder in die Emigration zogen. „Der Faschismus treibt die | |
bürgerliche Staatsgewalt auf die höchste Spitze. Er reduziert sie auf die | |
nackte Gewalt. Zugleich setzt er an seine Spitze den Abschaum der | |
bürgerlichen Gesellschaft, eine Bande von Abenteurern, Dieben, | |
Meuchelmördern, Banditen.“ | |
Es gibt viele Länder, auf die all dies heute zumindest teilweise zutrifft: | |
Wladimir Putins Russland mit seiner Dauerhysterie und seinen Dauerkriegen, | |
Xi Jinpings China mit seiner totalen sozialen Kontrolle und der Dominanz | |
der Partei gegenüber dem Staat, Assads Syrien und Kims Nordkorea ebenso. | |
Aber die USA? Trumps Politik mag zu Recht Widerstand hervorrufen. Aber die | |
USA bleiben ein Land, in dem die Opposition frei tätig bleibt, die | |
Gewaltenteilung funktioniert, Justiz und Medien unabhängig arbeiten und wo | |
man den Präsidenten ungestraft einen Verbrecher nennen darf. | |
Eine Faschismusdefinition, die ohne die Praxis faschistischer Machtausübung | |
auskommt, die nicht von der Gewalterfahrung von Faschismusopfern ausgeht, | |
degradiert Faschismus von Herrschaft zu Performance, vom Terror zum | |
Habitus. Man läuft dabei Gefahr, wahre Faschisten zu verkennen. | |
## Eine Worthülse als Kampfbegriff | |
Putin etwa einen Faschisten zu nennen ist in den USA verpönt. Zwar führte | |
der russische Kommentator Wladislaw Inosemzew 2022 sorgfältig Parallelen | |
zwischen Putin und Mussolini auf und [8][wies darauf hin], mit dem Krieg | |
gegen die Ukraine sei diese Frage jetzt von „mehr als theoretischem | |
Interesse“. Aber in Deutschland sträubt man sich dagegen. In der taz | |
[9][meinte der deutsche Historiker Ulrich Herbert]: „Faschismus ist in | |
Bezug auf Russland ein rhetorischer Kampfbegriff, der das Böse und | |
Gegnerschaft assoziieren soll. Analytisch taugt er nicht. In dieser Logik | |
könnten wir auch China als faschistisch bezeichnen.“ | |
Worauf man antworten könnte: Ja, warum eigentlich nicht? Und es ist vor | |
allem Russland selbst, das den Faschismusvorwurf ungeniert als rhetorischen | |
Kampfbegriff gegen den „kollektiven Westen“ im Allgemeinen und die Ukraine | |
im Besonderen missbraucht. Rechte Israelis und radikale Palästinenser | |
bezeichnen sich gegenseitig als Nazis. Weltweit gehört „Faschist“ zu den | |
beliebtesten politischen Beschimpfungen. | |
Das ist nicht neu, wie man im Essay [10][„Was ist Faschismus?“] des | |
britischen Schriftstellers George Orwell aus dem Jahr 1944 feststellt. Aus | |
heutiger Sicht waren damals, zum Höhepunkt des Zweiten Weltkrieges und des | |
Kampfes gegen Hitler, die Dinge eigentlich eindeutig. Aber Orwell führt | |
aus, dass „Faschist“ im Alltag vor allem als Schimpfwort diente, das in | |
Großbritannien schon alles und jeden traf: „Konservative, Sozialisten, | |
Kommunisten, Trotzkisten, Katholiken, Kriegsgegner, Kriegsbefürworter, | |
Nationalisten“. Seine Schlussfolgerung: „Das Wort Faschismus ist fast | |
komplett bedeutungslos.“ | |
Auch heute dient der Faschismusvorwurf vor allem der Abgrenzung. Es ist | |
die Definition eines Bösen, mit dem man unter keinen Umständen etwas zu | |
tun haben darf. Es ist eine Negativdefinition ohne eigenen Inhalt. Der | |
Faschismusvorwurf gegen Donald Trump sollte, wie linke Kritiker während | |
des US-Wahlkampfs bemängelten, in erster Linie Kamala Harris zum Sieg | |
verhelfen, denn er stilisierte die Präsidentschaftswahl zu einer | |
Entscheidung zwischen Gut und Böse. Aber regiert heute das Böse? Müssen die | |
US-Demokraten nach der Wahlniederlage in den Untergrund? | |
[11][Was Trump heute als Faschismus vorgeworfen wird], trifft auf so gut | |
wie alle autoritären Regime der Welt zu: Eine personalisierte Staatsmacht | |
ohne Achtung für Rechtsstaat, Tradition und Ideologie schützt eine | |
oligarchische Klüngelwirtschaft. Bleibt man dabei, sind die meisten Länder | |
der Welt faschistisch. Das banalisiert den Begriff, es führt geopolitisch | |
in die Isolation – und es ist eine Diagnose der Hoffnungslosigkeit. | |
Das Fehlen von Hoffnung galt in den 1930er Jahren als Hauptmotiv derer, die | |
sich den Faschisten zuwandten. Nie wieder ist jetzt? Dann braucht es jetzt | |
neue Analysen. | |
10 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.brookings.edu/articles/this-is-how-fascism-comes-to-america/ | |
[2] https://harpers.org/archive/2017/05/american-duce/ | |
[3] https://www.newsweek.com/robert-paxton-trump-fascist-1560652 | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=wO0fglSeaYc | |
[5] https://sociology.berkeley.edu/sites/default/files/faculty/Riley/enigmas.pdf | |
[6] https://newleftreview.org/issues/ii114/articles/dylan-riley-what-is-trump | |
[7] https://www.newyorker.com/books/under-review/why-we-cant-stop-arguing-about… | |
[8] https://www.nzz.ch/meinung/wladimir-putin-ist-ein-faschist-wie-er-im-lehrbu… | |
[9] /Historiker-ueber-Putins-Ukraine-Krieg/!5861372 | |
[10] https://www.orwell.ru/library/articles/As_I_Please/english/efasc | |
[11] /Faschismus-in-den-USA/!6045324 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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