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# taz.de -- Politologe über US-Demokratie: „Trump will den Apparat umbauen“
> Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt plädiert dafür, Lehren aus dem
> Trumpismus zu ziehen und die Demokratie vor radikalen Minderheiten zu
> schützen.
Bild: Bekenntnisdrang in Pennsylvania, April 2024
wochentaz: [1][Herr Ziblatt, Sie beschäftigen sich als
Politikwissenschaftler damit, wie Demokratien sterben können.] Würde die
US-Demokratie eine zweite Amtszeit von [2][Donald Trump] überstehen?
Daniel Ziblatt: Sie würde stark beschädigt werden. Trumps Pläne sprechen
für sich: Im Time Magazine hat er gerade angekündigt, dass er das
Justizsystem nutzen will, um seine Gegner zu verfolgen. Er will das
Heimatschutzministerium anweisen, von Tür zu Tür zu gehen, um nach
illegalen Migranten zu suchen – wie immer er diese auch definiert.
Und er will den gesamten Regierungsapparat umbauen. Eine Wahl Trumps würde
nicht bedeuten, dass wir gleich einen Staat im Sinne Viktor Orbáns oder
Wladimir Putins bekommen. Es würde breiten Widerstand dagegen geben. Vor
allem in den Bundesstaaten, die von den Demokraten regiert werden. Aber es
wäre ein Angriff auf unsere Demokratie.
Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass Trump eine realistische Chance
hat, ins Weiße Haus zurückzukehren?
2016 trat Trump als Außenseiter gegen das Partei-Establishment an. Ab 2023
wurde die Republikanische Partei aber Schritt für Schritt zu einer Partei,
die ganz auf ihn ausgerichtet ist. Seine Gegner haben die Partei verlassen,
sich in den Ruhestand verabschiedet – oder sich entschieden, dass sie
Trumps Wohlwollen für ihre Wiederwahl brauchen.
Die Trump-Wähler machen den harten Kern der Republikaner aus, der in den
Vorwahlen oft entscheidet, welcher Kandidat aufgestellt wird. Sie umfassen
etwa 30 Prozent der US-Wahlberechtigten. Das ist wichtig festzuhalten: Zu
keinem Zeitpunkt hatte Trump eine Mehrheit der ganzen Wählerschaft hinter
sich.
Trotzdem hat er die Republikaner so fest im Griff …
Das hat auch mit dem System der Vorwahlen und dem Gerrymandering, dem
speziellen Zuschneiden der Wahlkreise, zu tun. Durch dieses Zuschneiden
kommen die meisten republikanischen Abgeordneten aus Distrikten, in denen
sie keine Niederlage gegen einen Demokraten fürchten müssen. Was sie aber
fürchten, ist, in den Vorwahlen der Partei gegen einen Herausforderer von
rechts zu unterliegen. Deswegen rücken sie selbst immer weiter nach rechts.
Und dazu tritt noch die Androhung von Gewalt.
Wie meinen Sie das?
[3][Mitt Romney hat im Senat mit sechs anderen Republikanern für ein
Impeachmentverfahren gegen Donald Trump gestimmt.] Er hat danach
geschrieben, dass noch mehr republikanische Senatoren dafür stimmen
wollten, sie aber davor zurückgeschreckt sind, weil es Gewaltdrohungen
gegen ihre Familien gab.
In Ihrem neuen Buch beschäftigen Sie sich mit der „Tyrannei der
Minderheit“. In der Demokratietheorie steht sonst eigentlich immer die
„Tyrannei der Mehrheit“ im Fokus, die Befürchtung, dass die Interessen der
Minderheit in einer Demokratie mit ihrem Mehrheitsprinzip auf der Strecke
bleiben.
Natürlich ist das eine reale Gefahr. Alexis de Tocqueville hat 1835 in
seiner berühmten Studie „Über die Demokratie in Amerika“ vor der Tyrannei
der Mehrheit gewarnt. Und wir haben zum Beispiel in Ungarn gesehen, wie
eine politische Partei ihre temporäre Mehrheit missbrauchen kann, um sich
an der Macht festzukrallen. Andere Denker haben aber auch schon früh über
die Tyrannei der Minderheit nachgedacht. James Madison, einer der Väter der
US-Verfassung, schrieb, dass das Grundprinzip einer Republik das Prinzip
des Mehrheitsentscheids ist. Zu einer Demokratie gehört natürlich viel mehr
als das. Aber ohne Mehrheitsentscheid gibt es eben keine Demokratie.
Im Buch beschäftigen Sie sich auch mit den Problemen der US-Verfassung. Die
gibt es aber seit über 230 Jahren. Trumps Aufstieg hängt dagegen auch mit
dem Wandel der Öffentlichkeit, den sozialen Medien und der
gesellschaftlichen Polarisierung zusammen. Wieso schauen Sie da so stark
auf die Verfassung?
Die Polarisierung durch soziale Medien und die gesellschaftliche
Radikalisierung beobachten wir überall in entwickelten Demokratien. Wir
haben in vielen Staaten Westeuropas 20 bis 30 Prozent der Wählerschaft, die
für Parteien wie Trumps Republikaner stimmen würden. Aber wenn wir die USA
und Westeuropa miteinander vergleichen, sehen wir nur in den USA einen
drastischen demokratischen Rückschritt.
Der Freedom-House-Score misst, wie gut es um demokratische Grundrechte
bestellt ist. 2016 hatten die USA einen Freedom-House-Score von 100. Sie
waren damit in derselben Gruppe wie Deutschland, Kanada und Großbritannien.
Heute liegt er bei 84, damit sind die USA in einer Gruppe mit Argentinien
und Rumänien.
Und was hat das mit der Verfassung zu tun?
Unsere Institutionen sind nicht so gut in der Lage, mit diesen Gefahren
umzugehen, wie das in anderen Ländern der Fall ist. Unsere
Institutionen ermöglichen es 30 Prozent der Wähler, sehr viel Macht zu
haben. Und ja, unsere Verfassung ist sehr alt und wurde kaum verändert. Das
ist Teil des Problems. Die zweitälteste geschriebene Verfassung der Welt
ist diejenige Norwegens. Sie wurde seit ihrer Verabschiedung Hunderte Male
geändert. Die US-Verfassung nur 27-mal.
Warum ist das erst in den vergangenen Jahren zu einem solchen Problem
geworden?
Die Verfassung hat ein politisches System geschaffen, worin schon immer
ländliche Gebiete überrepräsentiert waren. Im 21. Jahrhundert hat sich aber
etwas Entscheidendes verändert: Die Trennung zwischen Land und Stadt
spiegelt jetzt die Trennung zwischen den Parteien wider. Die Demokraten
repräsentieren die Städte, die Republikaner die ländlichen Gebiete. Das
führt dazu, dass durch die Überrepräsentierung der ländlichen Gebiete heute
die Republikaner überrepräsentiert sind. Und so kann eine Partei mit der
Minderheit der abgegebenen Stimmen die Präsidentschaftswahl und die
politische Macht gewinnen.
Die Republikanische Partei habe sich von der Demokratie verabschiedet,
schreiben Sie.
Um eine demokratische Partei zu sein, braucht es drei grundlegende Dinge:
Man muss die Ergebnisse von Wahlen akzeptieren; man darf keine Gewalt
anwenden, um an der Macht zu bleiben; und man muss sich klar von Gruppen
oder Individuen im eigenen Lager distanzieren, die gegen die ersten beiden
Regeln verstoßen. Der 6. Januar 2021 und der Sturm auf das Kapitol haben
gezeigt, dass die Republikanische Partei, nicht nur Donald Trump allein,
sich in zunehmendem Maße von diesen Grundregeln verabschiedet.
Woher kommt diese Abkehr?
Seit den 1960er Jahren sind die USA eine immer diversere, multiethnische
Demokratie geworden. Die Republikaner sind aber weiterhin eine überwiegend
weiße und christliche Partei, die sich dem gesellschaftlichen Wandel
widersetzt. Viele ihrer Wähler fühlen sich durch diesen in ihrem Lebensstil
bedroht. Und der demografische Wandel macht es für die Republikaner in
Zukunft schwerer zu gewinnen. Parteien, deren Anhänger meinen, einer
existenziellen Bedrohung gegenüberzustehen, und die es schwer haben zu
gewinnen, neigen aber dazu, sich von der Demokratie abzuwenden.
Was muss sich ändern?
Die Republikanische Partei muss wieder lernen, Niederlagen zu akzeptieren.
Und wenn sie eine Zukunft haben will, muss sie diverser werden, um breitere
Wählerschichten zu erreichen. Denn unabhängig davon, was man von den
politischen Zielen der Republikaner hält, braucht es für eine Demokratie
mindestens zwei Parteien, die miteinander konkurrieren. Wenn sich jede Wahl
wie ein nationaler Ausnahmezustand anfühlt, weil Menschen Panik haben, dass
die Republikanische Partei gewinnen könnte, ist das kein Ausweis einer
gut funktionierenden Demokratie.
Und was ist mit der Verfassung?
Die wichtigste Reform wäre wohl die Abschaffung des Electoral College.
Seine Existenz führt dazu, dass ein Präsidentschaftskandidat nicht die
Mehrheit der Stimmen haben muss, um zum Wahlsieger erklärt zu werden.
Besser wäre es, wenn die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden
würde. Etwas, das man gleich angehen könnte, ist die Praxis des
Filibusters im US-Senat.
Das ist einfacher zu ändern, weil er nicht Teil der Verfassung ist.
Einzelne Senatoren können durch Dauerreden jede Abstimmung blockieren. Sie
können nur mit Zweidrittelmehrheit überstimmt werden. Diese Praxis wird
seit den 1990ern vermehrt benutzt. Der Senat könnte das Filibustern allein
abschaffen. Das würde ermöglichen, striktere Waffengesetze zu verabschieden
oder Abtreibungsrechte zu schützen. Der Filibuster ist wie die deutsche
Schuldenbremse, er verhindert rationale Entscheidungen.
21 May 2024
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## AUTOREN
Jan Pfaff
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