# taz.de -- Debatte über Abtreibung in USA: Ein Gesetz von 1873 | |
> Vieles deutet darauf hin, dass Republikaner im Fall eines Wahlsieges von | |
> Trump planen, Abtreibung landesweit zu verbieten – mit einem alten | |
> Gesetz. | |
Bild: Das Thema Abtreibung wird mitentscheidend bei der US-Wahl im November | |
Ihre Anti-Abtreibungs-Politik macht der Republikanischen Partei mit Blick | |
auf die Präsidentschaftswahl im November Kopfzerbrechen – denn die von ihr | |
befürworteten drakonischen Abtreibungsverbote, die in republikanisch | |
geführten Bundesstaaten bereits gelten, finden keine Unterstützung bei der | |
Mehrheit der Bevölkerung, nicht mal in konservativen Staaten. | |
Am mehrheitlich rechtskonservativen Obersten Gerichtshof der USA wird | |
darüber verhandelt, ob Schwangere in medizinischen Notfällen im | |
republikanisch regierten Idaho eine rettende Abtreibung erhalten dürfen, | |
wenn Organschäden auftreten – oder ob Ärzte abwarten müssen, bis die | |
Schwangere kurz davor ist zu sterben. Berichte über Frauen, die von | |
Krankenhäusern weggeschickt wurden und drohten allein zu verbluten, weil | |
Ärzte Angst vor strafrechtlicher Verfolgung haben, gefährden den Wahlkampf | |
der Republikaner. Die Debatte um Abtreibungsrechte [1][wird einer der | |
entscheidenden Faktoren der Wahl] sein. | |
Prominente Republikaner hoffen nun darauf, dass weichgespülte | |
Pressestatements den Zorn der Öffentlichkeit besänftigen. Mark Ronchetti, | |
der republikanische Herausforderer von Michelle Lujan Grisham, der | |
demokratischen Gouverneurin von New Mexico, sagte in einem Werbespot: „Ich | |
bin persönlich pro-life, aber ich glaube, wir können zusammen einen Weg | |
finden, der unsere gemeinsamen Werte reflektiert. Wir können Abtreibungen | |
kurz vor der Geburt beenden, während wir Zugang zu Verhütung und | |
Gesundheitsversorgung bewahren.“ | |
Eine weitere Strategie der Republikaner ist seit dem Midterms-Wahlkampf | |
2022, Demokraten als „extrem“ in Sachen Abtreibung darzustellen. Doch | |
solche Beschwichtigungen klingen hohl angesichts des desaströsen Zustands | |
der Gesundheitsversorgung für Schwangere und Frauen in republikanisch | |
regierten Bundesstaaten mit drakonischen Abtreibungsverboten und der | |
offiziellen Positionen der Republikaner. Gleichzeitig dürfen sie die | |
religiöse Rechte nicht zu sehr verärgern, weil sie auf ihre Unterstützung | |
angewiesen sind. Am liebsten würden die Republikaner gar nicht über | |
Abtreibungen sprechen – doch sie werden permanent damit konfrontiert. | |
## Führende Republikaner wollen Comstock Act anwenden | |
Donald Trump veröffentlichte am 8. April ein Videostatement, in dem er | |
nicht, wie angekündigt, seine Position zu Abtreibungen offenlegte, sondern | |
lediglich die aktuelle Situation beschrieb: dass die Frage von | |
Bundesstaaten geregelt werde. Trump behauptete – wenig glaubwürdig – im | |
Anschluss, dass er als Präsident kein nationales Abtreibungsverbot | |
unterschreiben werde. Doch ein neues Gesetz braucht er nicht: Denn Trumps | |
Verbündete wie die reaktionäre Heritage Foundation planen, ein | |
Anti-Obszönitäten-Gesetz („Comstock Act“) von 1873 wieder anzuwenden, das | |
seit mehr als fünfzig Jahren nicht mehr durchgesetzt wurde. Dazu wäre keine | |
Zustimmung des Kongresses nötig. | |
Als „Comstock Act“ werden eine ganze Reihe von Gesetzen bezeichnet, die | |
nach Anthony Comstock, einem religiösen Fanatiker, benannt sind. Der | |
„Comstock Act“ verbietet den Versand „obszöner“ Materialien per Post. … | |
dabei als „obszön“ gelte, liege im Ermessen der Person, die das Gesetz | |
interpretiere, sagt Andrew Seidel, Verfassungsrechtler und Sprecher für | |
Americans United For the Separation of Church and State, der taz. „Es bezog | |
sich im Grunde auf alles, was mit Sex zu tun hatte, und oft auch auf Dinge, | |
die als 'gotteslästerlich’ galten.“ Das Gesetz wurde verabschiedet, als | |
Frauen noch kein Wahlrecht hatten. | |
Führende Stimmen der amerikanischen Rechten wollen den Comstock jetzt | |
anwenden, um den Versand von Abtreibungspillen zu verbieten. Einer von | |
ihnen ist Jonathan Mitchell, bis 2015 Republikaner-Generalanwalt von Texas, | |
seitdem eine führende Stimme des juristischen Flügels der amerikanischen | |
Rechten und Autor des drakonischen Abtreibungsverbots aus Texas von 2021, | |
das auf Helfer ein Kopfgeld von 10.000 Dollar ausgesetzt hat. Er erklärte | |
laut der New York Times: „Wir brauchen kein landesweites Verbot, wenn wir | |
Comstock haben.“ | |
Der von Trump ernannte texanische Bundesrichter Matthew Kacsmaryk hat sich | |
bereits für das Verbot des Versands von Abtreibungsmedikamenten via | |
Comstock ausgesprochen. Andere Richter widersprechen dieser Rechtsauslegung | |
in Teilen – aber das könnte keine Rolle spielen, denn alle Wege führen zum | |
Obersten Gerichtshof der USA. Dort hatten vor Kurzem 119 republikanische | |
Abgeordnete und 26 Senatoren in einer schriftlichen Eingabe gefordert, | |
Comstock anzuwenden, um den Versand des Abtreibunsgmedikaments Mifepristone | |
zu verbieten. Diesen Fall verloren die Abtreibungsgegner zwar, aber zwei | |
Richter am Obersten Gerichtshof der USA, Clarence Thomas und Samuel Alito, | |
signalisierten in der Verhandlung, dass sie offen für eine Wiederbelebung | |
von Comstock seien. | |
## Bizarre Zurückhaltung von Biden | |
Juristen befürchten jedoch, dass das Comstock-Gesetz noch breiter | |
ausgelegt werden könnte – und nicht nur den Versand von | |
Abtreibungsmedikamenten, sondern auch von medizinischem Gerät, das bei | |
chirurgischen Abtreibungen verwendet wird, verbieten könnte. Neben den | |
zitierten Indizien halten sich die Organisationen der US-Rechten auf | |
Medienanfragen zu Comstock bedeckt – wohl wissend, wie unbeliebt ihre Pläne | |
sind. Eine Strategie, die aufgehen könnte, sollten Demokraten die | |
Comstock-Pläne im Wahlkampf nicht prominent attackieren. | |
Frühere Grundsatzurteile des Obersten Gerichtshofs wie die Fälle Griswold | |
v. Connecticut (1965) und Roe v. Wade (1973) hatten die Anwendung von | |
Comstock auf Verhütungsmittel und Abtreibungsmedikamete bisher unterbunden, | |
erklärt Verfassungsrechtler Seidel. Doch Roe ist dank der | |
rechtsreaktionären Mehrheit am Obersten Gerichtshof [2][seit dem Sommer | |
2022 kein geltendes Recht mehr] – und wie Thomas in seinem Urteilsabschnitt | |
argumentierte, muss mit dem Ende Roes auch das Urteil in Griswold in Frage | |
gestellt werden, da beide sich auf das Recht auf Privatsphäre stützen. | |
Verfassungsrechtler Seidel macht sich Sorgen, wie der Oberste Gerichtshof | |
in Sachen Comstock entscheiden würde: „Es ist leicht vorstellbar, dass | |
einige Richter sich Thomas und Alito anschließen – nicht zuletzt aufgrund | |
der Tatsache, dass diese Gesetze nie aufgehoben wurden.“ Er ist sich | |
sicher: „Weil es so viel Verwirrung und Unsicherheit gibt, wird ein | |
immenser Teil der Entscheidung bei Leuten liegen, die bereits in | |
Machtpositionen sind. Wir wissen, dass christliche Nationalisten ihre Macht | |
missbrauchen werden, um ihre persönlichen religiösen Überzeugungen allen | |
anderen aufzuzwingen, so wie es einst Anthony Comstock getan hat. Sie | |
werden dieses Gesetz nutzen, wenn sie können.“ | |
In einem am 30. April veröffentlichten Interview mit dem Time Magazine | |
weigerte sich Trump, zuzusichern, dass er den Postversand von | |
Abtreibungsmedikamenten nicht verbieten werde – kurz, dass er Comstock | |
nicht durchsetzen werde | |
Nachdem die öffentliche Empörung über Abtreibung die politische Debatte | |
neben dem Krieg in Gaza dominiert hatte, berichten US-Medien in den letzten | |
Wochen jetzt vermehrt über die Pläne, das Gesetz aus dem 19. Jahrhundert | |
zum Leben zu erwecken, um Abtreibung landesweit zu verbieten. In Arizona | |
hatten Republikaner zuvor im Landesparlament zwei Versuche von Demokraten | |
blockiert, das Abtreibungsgesetz aus dem 19. Jahrhundert zu kippen – am 1. | |
Mai gelang es dann doch, weil zwei republikanische Senatoren mit ihrer | |
Fraktion brachen und mit den Demokraten abstimmten. Die Rufe danach, dass | |
Demokraten die Republikaner geschlossen mit ihren Plänen konfrontieren | |
sollten, werden lauter. | |
Besonders bizarr erscheint angesichts dessen, dass die Demokraten bisher | |
nicht geschlossen mit der Gefahr des Comstock Act Wahlkampf machen. Bidens | |
Team scheint derzeit darauf zu setzen, dass es so weit schon nicht kommen | |
wird. Ein hoher Wetteinsatz, den Schwangere im ganzen Land, sollte Trump | |
die Wahl gewinnen, mit ihrem Leben bezahlen könnten. | |
3 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Annika Brockschmidt | |
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