# taz.de -- Taxibranche unter Druck: Freiheit war gestern | |
> Sie führen einen erbitterten Kampf und geben nicht auf. Wie sich Berliner | |
> Taxifahrerinnen und Taxifahrer gegen den Untergang stemmen. | |
Bild: Taxi? Wird nicht mehr so oft gerufen | |
Vor Mustafa’s Gemüse Kebap stehen die Touris Schlange. Freitagabend, | |
Kreuzberg, Halteplatz am Mehringdamm. Uwe Jessen, 57, steigt aus seinem | |
Taxi und dreht sich erst mal eine Zigarette. Lässig lehnt er an der | |
Beifahrertür und pustet den Rauch in die schwüle Sommerluft. Seit einer | |
halben Stunde wartet er schon. | |
Jessen holt eine Tube Chin Min-Salbe aus dem Handschuhfach und reibt sich | |
Schultern und Nacken ein. Gegen die Schmerzen vom vielen Sitzen. | |
Ein paar Meter weiter vorne, Ecke Yorckstraße, hält ein weißer Toyota | |
Prius. In der Heckscheibe rechts unten die blaue Ordnungsnummer, | |
[1][wahrscheinlich ein Auto von Uber]. Eine Gruppe junger Leute steigt ein. | |
Sie sind zu siebt. | |
Uwe Jessen dreht sich noch eine. Schon seit 29 Jahren fährt er Taxi. Ohne | |
Geduld geht’s nicht, redet er sich das Warten schön. Das Spontangeschäft | |
sei halt schwierig geworden, sagt er. | |
Dann sprechen ihn endlich zwei Pärchen an, die zum Café am Neuen See | |
wollen. Sie steigen ein. | |
4,7 Kilometer, 4 Leute, 17,30 Euro, kein Trinkgeld. | |
Als er sie abgesetzt hat, kommt Uwe Jessen zurück zum Halteplatz am | |
Mehringdamm. Fünf Taxis stehen schon dort, aber er hat keine Lust, sich | |
wieder hinten einzureihen. Bloß nicht noch mal warten. Also fährt er weiter | |
ins Nova, eine Kreuzberger Kiezkneipe, die genauso in die Jahre gekommen | |
ist wie West-Berlin und die Taxibranche. Mit einem Pils und einer Kippe | |
lässt er sich auf einen Stuhl plumpsen. | |
Uwe Jessen lebt den alten Taxitraum: Durch die Stadt fahren, am liebsten | |
nachts, immer dahin, wo was los ist. Für ihn, sagt er, zählt Freiheit. | |
Jederzeit sagen zu können: Ich habe jetzt keinen Bock mehr und gehe in ’ne | |
Kneipe. | |
Wobei Freiheit immer häufiger heißt: rumstehen und zusehen, wie ihm | |
Fahrdienste wie Uber, Bolt und Free Now mit ihren Fixpreisen die Fahrgäste | |
wegschnappen. | |
Und jetzt? | |
*** | |
In Hermsdorf, am Rand von Berlin, schaltet Gundi*, 64, in den | |
Rückwärtsgang. Der Mercedes Kombi, Pastellgelb, oder in Taxisprache: | |
Hellelfenbein, ist schon ihr zehntes Taxi. Aus den Lautsprechern tönt „Und | |
es war Sommer“ von Peter Maffay. | |
Gundi wendet, gibt Gas und fährt los, entlang gepflegter Vorgärten. Vor dem | |
Haus von Frau Haag hält sie an. Eine Pflegekraft bringt die alte Dame zum | |
Auto, Gundi hilft ihr, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. Dreimal die | |
Woche fährt sie Frau Haag zur Krankengymnastik nach Tempelhof und wartet | |
vor dem Rehazentrum, eine Stunde lang. Während sie wartet, liest sie. | |
Gerade klemmt in der Ablage ihrer Fahrertür Martin Suters neuester Roman | |
„Melody“. | |
Gundi hat auch ein Schwarz-Weiß-Foto dabei. Sie liebt dieses Foto, weil es | |
sie an jene Zeit erinnert, in der Taxifahren noch Glamour hatte. Als sie, | |
statt Omas, Stars und Manager durchs alte West-Berlin chauffierte, als ihr | |
Taxi nach Parfumwolken, Alkohol und dem Schweiß durchtanzter Nächte roch. | |
Auf dem Foto fläzt sich Gundi lässig auf den Fahrersitz ihres ersten Taxis | |
und schaut nach oben durch das Panoramadach. | |
Vor allem bei ihren männlichen Kollegen sorgte ihre Pose damals für | |
Diskussionen, erzählt Gundi. So habe einer gesagt: „Auch noch in dieser | |
Position? Noch unanständiger geht ja nicht.“ Ein anderer habe sie | |
aufgefordert, nach Hause zu gehen, an den Herd, wo sie hingehöre. | |
Gundi war das egal. Gleich mit 18 hat sie den Führerschein gemacht, mit 20 | |
den Taxischein. Eher ging es nicht, denn man muss zwei Jahre Fahrpraxis | |
nachweisen, um anfangen zu dürfen. Seit sie sechs war, träumte sie schon | |
vom Taxifahren. | |
Und dann ging es endlich los, ihr wildes Taxileben. Überraschend und frei | |
und auch ein bisschen gefährlich. | |
Verdammt lange her. | |
Kurz vor 15 Uhr geht Gundi zur Eingangstür des Rehazentrums, wirft sich | |
Frau Haags Handtasche über die Schulter und stützt sie auf dem Weg zum | |
Auto. Gundi könnte auch den faltbaren Rollstuhl aus dem Kofferraum holen, | |
den sie extra für Fahrgäste wie Frau Haag angeschafft hat. Doch Frau Haag | |
ist stolz, dass sie die paar Meter bis zum Auto nur mit Hilfe von Gundi und | |
einem Gehstock schafft. | |
Ihr Taxileben hat sich im Laufe der Jahre ganz schön verändert, wird Gundi | |
später sagen. Erst erlitt ihr Vater mehrere Schlaganfälle, dann wurde ihre | |
Schwester schwer krank. Und so, wie ihre eigene Familie alterte, alterte | |
auch die Kundschaft im Taxi. Irgendwann fuhr Gundi die Leute nicht mehr zu | |
Clubs oder Partys, sondern zu Dialysezentren oder Onkologen. | |
Ohne es zu ahnen, war sie in der Zukunft der Taxibranche angekommen. | |
*** | |
Leszek Nadolski, 58, sagt nicht, dass früher alles besser war. Er sagt, die | |
Mobilität habe sich verändert. Er sagt, die Guten, die würden nicht | |
jammern. Nur die Schlechten, die würden jammern. Er sagt, es gehe immer | |
irgendeine Tür auf, man müsse sie nur bemerken. Wenn er über die | |
Schlechten, [2][also über Uber und Co.], lästert, entwischt ihm höchstens | |
mal ein „Möchtegerntaxifahrer“. Die Krise der Taxibranche? „Eine Frage d… | |
Perspektive“. | |
Leszek Nadolski, ein kleiner Mann mit langsamem Gang und gütigem Lächeln, | |
ist Chef der Berliner Taxi-Innung. Als Metallarbeiter kam er Mitte der | |
Achtziger nach Deutschland. Um sich den Meisterbrief zu finanzieren, fing | |
er in den Neunzigern an, Taxi zu fahren. Seiner Frau erzählte er damals, | |
das sei nur vorübergehend, maximal drei Monate. Mittlerweile sind es mehr | |
als 30 Jahre. | |
Die Haare an seinem Hinterkopf stehen die meiste Zeit ab, so als hätte er | |
sich im Schlaf unruhig hin- und hergewälzt. Und tatsächlich schläft er oft | |
schlecht, sagt er. Meistens geht er um 23 Uhr ins Bett und steht um 4 Uhr | |
morgens wieder auf. Kurz darauf steigt er in sein Taxi. | |
Gerade aber sitzt er in der Ebersstraße in Schöneberg an einem dunklen | |
Holztisch, im Büro der Taxi-Innung. Die Sitzflächen der Lederstühle sind | |
schrumpelig von den vielen Hintern, die hier schon gesessen haben müssen, | |
an den Wänden stehen Schränke in Dunkelbraun. Ein Raum wie aus der Zeit | |
gefallen – wäre da nicht der riesige Flachbildschirm auf dem Sideboard. | |
Nadolski hat seinen Laptop daran angeschlossen. Die Lesebrille auf der | |
Nasenspitze, füllt er für einen Kollegen den Antrag zur Förderung für ein | |
Elektroauto aus. Ein Tesla-Taxi soll es sein. | |
Nadolski sagt, er sei nicht nur Chef, sondern alles, was er eben sein | |
müsse. Fahrer, Freund, Vorsitzender. Und wenn es sein muss, auch derjenige, | |
der versucht, die Taxibranche zu retten. | |
Im Eingangsbereich der Taxi-Innung liegt ein Haufen Papierkram. Links auf | |
dem Tresen stapeln sich die Ausgaben der Taxi Times – der Zeitschrift für | |
das Taxigewerbe. Daneben flattern lose DIN-A4-Blätter, [3][die Uber als den | |
Hauptsponsor der Berlinale verfluchen]. Früher war das Berliner | |
Filmfestival das Revier der Berliner Taxifahrerinnen und Taxifahrer. Aber | |
auch hier wurden sie weggedrängt. | |
Die Berliner Taxi-Innung, eine von vier Interessenvertretungen des Berliner | |
Taxigewerbes, war mal mächtig. „2.000 Mitglieder zu Zeiten der Wende“, sagt | |
Nadolski. Doch im selben Satz muss er zugeben, dass auch die Innung | |
mittlerweile fast ausgestorben ist: „Knapp 200 Mitglieder haben wir noch.“ | |
Und hätte Nadolski während des Corona-Lockdowns nicht diese geniale Idee | |
gehabt, die seinen Leuten immer mehr Arbeit und ihm selbst immer weniger | |
Schlaf beschert, dann wären es heute vermutlich noch weniger. | |
Die Idee: Die Taxi-Innung schließt Verträge direkt mit den Krankenkassen ab | |
– damit sich bei Krankenfahrten weder Patienten und Patientinnen noch | |
Fahrer und Fahrerinnen um Anträge oder Abrechnungen kümmern müssen. Die | |
Innung übernimmt den Papierkram. | |
Das Berliner Taxigewerbe wäre längst tot, hätte den Kampf gegen Uber und | |
Co. schon verloren, gäbe es Nadolski und die Krankenfahrten nicht, sagen | |
seine Kollegen. Wer will, hat seit dieser Idee viel zu tun. Acht, zehn, | |
zwölf Stunden am Tag können die Taxifahrerinnen und Taxifahrer in Berlin | |
kranke Menschen zu Terminen kutschieren. | |
Doch nicht alle haben Bock darauf. | |
*** | |
Uwe Jessen zum Beispiel, der nachts am Mehringdamm steht und sich vor | |
Mustafa’s Gemüse Kebab eine Zigarette dreht, während leere Taxis und volle | |
Uber an ihm vorbeifahren. | |
Krankenfahrten? Die fangen meist früh morgens an, dann müsste Jessen schon | |
um fünf Uhr aufstehen. Lieber beginnt er seine Schicht nachmittags um vier. | |
Arbeiten, wann immer er will, das ist Freiheit. Und die kurzen Strecken, | |
die müssen ja auch gefahren werden, sagt er. Am liebsten fährt er rum und | |
sammelt die Leute direkt von der Straße ein, studiert die Spielpläne der | |
Opernhäuser und Theater, der Konzerthallen und Eventlocations. Bei | |
Fußballspielen fährt er raus zum Olympiastadion. | |
Mit Krankenfahrten müsste er seinen Traum von Freiheit begraben. | |
*** | |
Und dann ist da noch Rolf Feja, 66. Groß mit Schnauzbart, ein gemütlicher | |
Berliner Bär. Einer der dienstältesten Kutscher der Stadt, er fährt seit 45 | |
Jahren. Man kennt ihn in Berlin. Feja hat mal Mathe studiert, fuhr Taxi, um | |
sich das Studium zu finanzieren – und blieb dabei. Auch er liebte das | |
Abenteuer, die Freiheit. | |
Früher fuhr er am liebsten den Ku’damm hoch und runter, da konnte er noch | |
richtig Kohle machen. Doch das ist lange her. Seit die Fahrdienste wie Uber | |
den Markt erobert haben, lebt Feja von Stammkundschaft und Krankenfahrten. | |
Gerade rollt er mit seinem Elektroauto in die Einfahrt eines | |
Dialysezentrums in Treptow, um die 88-jährige Helga abzuholen. Regen | |
klatscht auf den Asphalt, so als würde ein wütender Nachbar einen Eimer | |
voll Wasser vom Balkon kippen. | |
Feja steigt aus und stellt sich unter das Vordach, um auf Helga zu warten. | |
Ohne Krankenfahrten hätte er längst hingeschmissen, sagt er. | |
*** | |
[4][Auf der Website der Taxi-Innung] hat Leszek Nadolski einen Liveticker | |
installiert, der zeigt, wie viele Fahrzeuge auf den Straßen Berlins | |
unterwegs sind. | |
„Taxis in Berlin“ – 5.620 | |
„Mietwagen in Berlin“, also Uber & Co. – 4.388. | |
Beinahe Gleichstand. Bald haben die Neuen die Alten eingeholt. | |
Vor fünf Jahren gab es in Berlin noch mehr als 8.000 Taxis und gut 1.800 | |
Mietwagen. | |
Der Ticker ist Nadolskis Schrei nach Hilfe. Seine Art zu sagen: „Wir | |
sterben.“ | |
*** | |
Während Gundi auf dem Parkplatz vor dem Rehazentrum auf Frau Haag wartet, | |
lehnt sie ihren Kopf an die Fensterscheibe. Draußen ist es viel zu grau und | |
viel zu kalt für diese Jahreszeit. Gundi erinnert sich an die goldenen | |
Taxizeiten, als Firmen wie Uber und Co. noch nicht einmal gegründet waren. | |
Als Taxifahren noch konkurrenzlos war. Als es den Flughafen Tegel noch gab. | |
Als sie sich dort mit Kolleginnen und Kollegen zum Kaffee traf. Als sie | |
jeden Morgen dort wartete, weil sie wusste: Irgendjemand will bestimmt bis | |
nach Dresden – und sie wird an den langen Fahrten richtig gut verdienen. | |
Bis zu 500 Mark hin und zurück. | |
*** | |
Im Büro der Taxi-Innung sitzt Leszek Nadolski wieder am dunklen Holztisch. | |
Vor ihm: Papierstapel. | |
„Buchstabier noch mal“, sagt er zu einem Kollegen. | |
„Ermeling“, sagt der Kollege. | |
Nadolski: „Also E, r, m … “. | |
Der Kollege unterbricht ihn. „Ja, hab ich doch gesagt.“ | |
„Aber die gibt’s nich.“ | |
„Muss es aber.“ | |
„Also ich finde hier keine Frau Ermeling. Wahrscheinlich ist die tot, oder | |
was?“, sagt Nadolski. | |
„Nein, die ist nicht tot. Ich hab sie doch gestern gefahrn“, sagt der | |
Kollege. | |
„Ja, ich seh hier die Unterschriften, aber ich finde keinen Patienten, dem | |
wir die Papiere zuordnen können“, sagt Nadolski. | |
Er sieht erschöpft aus. Dass die Innung die Abrechnungen bei | |
Krankentransporten übernimmt, entlastet zwar die Krankenkassen, die | |
Patienten und Patientinnen – nur Nadolski nicht. | |
Er sagt, er wolle weniger arbeiten, aber er arbeitet immer mehr. Er sagt, | |
er wisse, dass er sich übernehme. Er sagt, seine Frau sagt, dass er Hilfe | |
braucht. Ja, wahrscheinlich brauche er wirklich Hilfe, sagt Nadolski. Halb | |
scherzend, halb ernst. | |
Für heute lässt er den Papierkram gut sein. Die Abrechnung von Frau | |
Ermeling sucht er einfach ein anderes Mal. Außerdem muss er sich noch | |
vorbereiten. Am nächsten Tag trifft er [5][Franziska Giffey, die Berliner | |
Wirtschaftssenatorin]. Auch das gehört zu seinem Job, neben dem Kleinklein | |
der Abrechnungen – Lobbyist zu sein bei den Mächtigen. Damit es irgendwie | |
weitergeht mit dem Taxileben. | |
Zu jedem Treffen mit der Politik nimmt er eine Kamera mit. Eine Olympus | |
OM-1 oder eine Canon EOS 700D. Er habe mehrere Kameras. Zum Angeben, sagt | |
er. | |
*** | |
Der nächste Tag. Das Treffen mit Franziska Giffey steht an. „Wieso muss | |
immer Action sein? Wieso ist es nie entspannt?“, murmelt Nadolski mit | |
vollem Mund in seinen Laptop, Krümel fallen auf die Tastatur. Er beißt in | |
sein Butterbrötchen mit Lachs, dann holt er seine schicken Schuhe aus einem | |
Beutel und schlüpft hinein. Lesebrille in der linken, Mappe mit Unterlagen | |
in der rechten Hand, marschiert Nadolski zusammen mit zwei Kollegen zum | |
Büro der Senatsverwaltung. | |
Eine Stunde und zwanzig Minuten später sind sie fertig. Nadolski wirkt | |
erschöpft, aber sagt, er sei zufrieden. Zufrieden, dass bald auch in Berlin | |
Festpreise eingeführt werden, damit man vor der Fahrt weiß, wie viel sie | |
kostet. Zufrieden, dass es weiterhin Geld gibt, wenn man sein Taxi zu einem | |
Inklusionstaxi umbauen will, um Menschen mit Rollstuhl leichter befördern | |
zu können. Zufrieden, dass man Zuschüsse erhält, wenn man ein Elektrotaxi | |
kaufen möchte. | |
Zufrieden. Zufrieden. Zufrieden. | |
Nur blöd, dass er seine Kamera vergessen hat, weshalb es jetzt nur ein | |
Handyfoto von ihm und Franziska Giffey gibt. | |
Zurück in der Innung, tauscht Nadolski seine Anzugschuhe sofort gegen | |
Sneaker. Er schaut in die Runde: „Heute könn wir endlich die Sau | |
rauslassen“. Damit meint er das Wildsau-Logo auf einer Weinflasche. Die | |
will er heute Abend noch köpfen. Mit Schuhbeutel in der Hand und | |
Wildsau-Wein unterm Arm marschiert er zu seinem Mercedes. Er muss nach | |
Mitte, eine Patientin von der Dialyse abholen. | |
Auf dem Weg dorthin an einer roten Ampel hält ein anderes Taxi neben ihm. | |
Nadolski guckt rüber und sagt: „Den kenne ich gar nicht.“ | |
Der unbekannte Taxifahrer lässt die Scheibe herunter: „Da liegt ’ne Kamera | |
bei Ihnen auf dem Dach“, sagt er. „Ach du Scheiße! Zum Glück fahr ich so | |
vorsichtig“, sagt Nadolski, steigt aus, nimmt die Kamera und steigt wieder | |
ein. Die Ampel wird grün. Er fährt weiter. Glück gehabt. | |
*** | |
In Treptow wartet Rolf Feja noch immer vor dem Dialysezentrum. Als er Helga | |
kommen sieht, hält er ihr die Glastür auf: „Helgachen, komm rin, meine | |
Kleene.“ Sie hakt sich bei ihm unter, gemeinsam gehen sie zur Beifahrertür. | |
Schnell läuft Feja zum Fahrersitz. Nass wird er trotzdem. Auch Helga setzt | |
sich und zieht mit einem pinkfarbenen Ding, das aussieht wie eine Mischung | |
aus Greifzange und Gehstock, die Autotür zu. | |
Das ist ein Schuhanzieher, sagt sie. Sie habe sich mal beide Schultern | |
gebrochen. Seitdem sei das pinkfarbene Ding ihr ständiger Begleiter. Sie | |
ziehe sich damit die Hosen hoch, die Schuhe an, und auch sonst sei es sehr | |
praktisch. Sie legt ihr Kinn auf dem Ding ab und schaut den Regentropfen | |
hinterher. | |
Seit drei Jahren fährt Rolf Feja Helga schon zur Dialyse. Sie guckt ihn an. | |
„Ich bin froh, dass ich dich hab.“ „Ach, ist doch gut, Helga“, sagt Feja | |
und macht eine abwinkende Handbewegung. „Am Wochenende mach ich dir was mit | |
Apfel und Streusel. Pflaumenkuchen magste ja nich“, sagt Helga. | |
Sie biegen in ihre Straße ein. „Ick fahr dich direkt vor die Haustür, dit | |
is ja klar“, sagt Feja und manövriert sein Taxi durch die eigentlich viel | |
zu enge Gasse, so nah wie möglich an Helgas Haustür heran. Er nimmt ihre | |
Hand: „Schönes Wochenende, meine Kleene.“ | |
Als Rolf Feja den Rückwärtsgang einlegt, winkt Helga aus dem Hauseingang. | |
Er wendet und macht sich auf den Weg zum Vivantes-Krankenhaus in Neukölln. | |
Er fährt jetzt zu seiner eigenen Dialyse. | |
*Gundi möchte nicht, dass ihr Nachname veröffentlicht wird. Ihr | |
vollständiger Name ist der Redaktion bekannt. | |
Rolf Feja ist im April gestorben. | |
19 May 2024 | |
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