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# taz.de -- Faszination Handtasche: Eine begehrte Begleiterin
> Die Handtasche ist seit jeher ein feiner Seismograf für die Sehnsüchte,
> die der Zeitgeist formt. Zu sehen ist das im Deutschen Ledermuseum
> Offenbach.
Bild: Parfleche sind Taschen und Kästen aus Rohleder, die von indigenen amerik…
Es spielt eigentlich keine Rolle, wo man beginnt. Begleitet dieses
Accessoire den Menschen – und keinesfalls allein die Frau, wie sich rasch
herausstellen soll – doch seit sehr langer Zeit. Als Handtasche oder
Reisetasche, Geldbeutel, Clutch oder Bügeltasche, Bauchtasche,
Handgelenkstasche, Aktentasche, Arztkoffer, Handarbeitstäschchen,
Tornister, Tabak- und Medizinbeutel.
Die Reihe ließe sich fortführen, weshalb die Kuratorinnen der Ausstellung
„immer dabei: Die Tasche“ im Deutschen Ledermuseum Offenbach (DLM) die
wörtliche Qual der Wahl hatten. Der umfangreichen Sammlung des Hauses
verdankt sich das Gros aller ausgestellten Accessoires. Mit den gut 200
hier ausgestellten Exemplaren hat man dabei gerade einen Bruchteil des
museumseigenen Taschenbestands, der wiederum nur eine winzige Sparte der
gesamten Sammlung ausmacht, ausgewählt. Der Schwerpunkt liegt auf Objekten
aus tierischem Leder, bleibt aber nicht hierauf beschränkt: Die beinahe
nostalgisch anzuschauende Plastiktüte ist ebenso vertreten wie der
ökobewegte Jutebeutel, das Klapptäschchen aus Edelmetall wie die
zeitgenössische Tasche aus Kaktusleder.
Die Ausstellung kann sich auf die Anziehungskraft ihrer Exponate verlassen:
Sie verströmen unwiderstehliche Präsenz in den Schauvitrinen und auf den
Ausstellungssockeln, man möchte sie aus nächster Nähe begutachten oder
begreifen, was in der zweiten Etage zumindest materialtechnisch auch
möglich ist.
## Neue Normen neue Distinktion
Dieses Vertrauen in die ausgestellten Objekte trägt die Schau. „immer
dabei: Die Tasche“ ist keine Thesenausstellung. Nicht jeder einstige
Modetrend erlaubt in der Rückschau eine exakte Deutung. Doch größere
Zusammenhänge lassen sich ablesen: Wie die Ausdifferenzierung der Tasche
eng mit dem Aufkommen eines gehobenen, zunehmend reisefreudigen Bürgertums
verknüpft war, zum Beispiel.
Dass es vor den Nationalstaaten geografisch zersplittert zuging, belegen
Objekte mit zahlreichen Unterteilungen, die Münzen unterschiedlicher
Währung für jede Gelegenheit bereithielten. Besonders prächtig eine
kunstvoll dekorierte Doppeltasche mit vielen Einzelfächern aus Deutschland,
Ende 16. Jahrhundert, die seinerzeit vom Mann am Gürtel getragen wurde.
Überhaupt war das Accessoire längere Zeit primär eine maskuline
Angelegenheit, die Tasche für die Frau auch ein Zeichen für
gesellschaftlichen Fortschritt.
Doch wann hat sich dieses Bild eigentlich geschlechtertechnisch
transformiert, und warum? Sicher kann das auch diese Ausstellung nicht
beantworten. Fest steht, dass neue Normen neue Distinktion ermöglichen:
Modehäuser werben bewusst mit Schauspielern und anderen männlichen Stars
für ihre Taschenkollektionen. Als Mann lässt sich immerhin heute noch oder
wieder einigermaßen Aufsehen erregen mit einer eher feminin assoziierten
Handtasche. Was ihren Trägern an manchen Orten zugleich auch gefährlich
werden kann.
Entlang mehrerer Themenschwerpunkte führt die Schau zwischen Kuriositäten
und Kontinuitäten, zwischen den Tendenzen und ihren Ausnahmen durch die
(primär europäischen) Jahrhunderte. Wiewohl das älteste Exponat, ein
Medizinbeutel aus Ägypten, schon rund 3.000 Jahre alt ist: Er misst gerade
eine Fingerlänge. Deutlich voluminöser wurden Taschen viel später.
## Das ewige Rumkramen
Das Herumschleppen halber Haushalte verbindet heute jene, die stets
flexibel bleiben müssen, wie die Wanderarbeiter Asiens oder die Obdachlosen
auf den Straßen Frankfurts, mit jenen, die es können – Handtaschen groß wie
Reisekoffer sind längst als Statussymbole etabliert, scheinen aber
inzwischen eher wieder auf dem Rückzug.
Als omnipräsentes unter den nicht unmittelbar notwendigen Accessoires ist
die Tasche feiner Seismograf für die Sehnsüchte und Geschmäcker, die der
jeweilige Zeitgeist formte und hervorbrachte. Damit ist sie natürlich auch
Zeugnis, an welche aktuellen Umstände ihre Trägerin, ihr Träger gerade
nicht erinnert werden wollten. Mode ist erfolgreiche Verdrängung,
Kanalisierung von Begehren.
Eine große Schauvitrine zeigt ein Jahrhundert der Farben- und
Formenvielfalt, in dem die Tasche endgültig zum Massenphänomen wurde.
Dazwischen immer wieder herausragende Einzelstücke: eine exklusive
Ledertasche von Straeter, die neben integriertem Spiegel auch noch einen
eingebauten Leuchtmechanismus beherbergt. Das ewige Rumkramen im
Tascheninnern wäre damit Geschichte, durchgesetzt hat sich die Erfindung
nicht.
## Die große Parfleche-Tasche der Crow
Mit einem geräumigen Exemplar von George, Gina & Lucy endet der
Jahrhundertblick in den frühen nuller Jahren. Vor 20 Jahren standen
Kund:Innen schon mal Schlange für die Taschen mit dem überdimensionierten
Selbstbewusstsein aus dem hessischen Langenselbold. Es überrascht nicht,
dass sie heute wieder gefragt sind – die Y2K-Manie, Sehnsucht nach der Mode
um die Jahrtausendwende, heizte auch die Nachfrage nach den
zwischenzeitlich vergessenen Modellen wieder an. In solcherlei
Zeitschleifen katapultiert die Schau je nach modischer Sozialisierung immer
wieder.
Im Zeitalter des Anything goes, also scheinbar unbegrenzter
Ausdrucksformen, ist sie längst nicht zu Ende, aber das Setzen konziser
Schlaglichter schwieriger. Eine Absolution der Beständigkeit erteilen die
Handtaschen der Luxuslabels, die rückwirkend gern nach ihren berühmtesten
Trägerinnen benannt werden – die „Jackie“ von Gucci oder die „Birking …
von Hèrmes haben diverse Transformationen überlebt. Ein weiterer Exkurs
führt zu den einst gefragten Manufakturen, die von Offenbach aus für
internationale Modehäuser produzierten. Heute greifen Designerinnen und
Designer wie Tsatsas die lokale Tradition des Kunsthandwerks wieder auf.
Durchkreuzt werden die Themenblöcke von außereuropäischen Objekten wie die
große Parfleche-Tasche der Crow aus bemaltem Bisonleder, um 1870, oder die
ausgesprochen findigen Entwürfe von Designstudierenden der Hochschule
Pforzheim aus diesem Jahr, die mit Hartplastik, extravaganter Knüpftechnik
und sich frei spielenden Formen neue Taschenvisionen in den Raum werfen.
Auch deshalb bleibt die Tasche seit Jahrhunderten begehrte Begleiterin: Wo
sie ist, da kann es theoretisch weitergehen. Die Tasche ist Versprechen
aufs Vorankommen. Von A nach B oder zumindest doch in eine nächste
Vorstellung davon.
16 Oct 2024
## AUTOREN
Katharina J. Cichosch
## TAGS
Mode
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Kolumne Digitalozän
Schwerpunkt Stadtland
Schuhe
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