# taz.de -- Birkenstock goes Börse: Abschied auf Latschen | |
> Der Sandalenhersteller Birkenstock geht an die Börse. Unsere Autorin | |
> fragt sich: Ist das nun der Moment, um von der Marke Abschied zu nehmen? | |
Bild: Birkenstock: einen Schritt weiter oder ein Schritt zuviel? | |
Birkenstocks [1][gehen an die Börse]. Und die Boomer-Generation meiner | |
Eltern wundert sich, wie die verpönten Öko-Latschen aus ihrer Jugend nur | |
jemals so erfolgreich werden konnten. | |
Doch für die junge Generation Z ist ganz klar: Birkenstocks sind cool, | |
nachhaltig und feministisch: Denn [2][sogar Barbie] trägt jetzt lieber die | |
bequemen Leder-Latschen statt unbequem hoher Pumps. So präsentiert sich die | |
Marke zumindest in dem Kino-Hit und landet damit einen riesigen | |
Marketing-Erfolg. Im Film muss Barbie sich entscheiden: Entweder mit den | |
Stöckelschuhen in der rosaroten Barbie-Welt bleiben oder in der | |
Birkenstock-Sandale eine Reise der feministischen Selbstfindung antreten. | |
Der Witz dabei: Barbie darf sich gar nicht entscheiden. Der Birkenstock | |
wird ihr aufgedrängt. Ohne ihn gäbe es nämlich gar keinen Plot. Ein großer | |
Lacher im Kino. | |
Doch vielleicht sollte einem lieber das Lachen im Hals stecken bleiben, | |
wenn man sich mal ganz selbstkritisch fragt, warum man selbst doch so | |
selbstverständlich und ohne nachzudenken jeden Sommer zu der Trend-Sandale | |
greift. | |
Bewegt man sich in den sich doch als so links und progressiv verstehenden | |
Studierendenkreisen, kann man die Jahreszeiten am Schuhwerk der bei der | |
WG-Party abgestellten Schuhe ablesen: Im Winter reihen sich die Dr. Martens | |
aneinander, im Sommer die Birkenstocks. Alle tragen dieselben breiten und | |
robusten Treter. Alle sind im Einheitslook. Ist das dieser kritische | |
Konsum, den wir als junge Generation immer wieder gerne propagieren? Wir | |
mögen es halt alle gemütlich. Und Komfort war schon immer ein Ausdruck | |
feministischer Befreiung. So zumindest die Selbsterzählung. Und ein | |
bisschen stimmt es ja auch. | |
## Was für Arzthelfer*innen oder Mütter | |
Der Erfolg des fast 250 Jahre alten Unternehmens aus dem | |
Rheinland-pfälzischen Linz am Rhein basiert auf der Erfindung der flexiblen | |
Korksohle. Anfang des vergangenen Jahrhunderts erfand der damalige Chef | |
Konrad Birkenstock das „Fußbett“ und schuf damit den ersten orthopädischen | |
Schuh. Die aufgrund dieser Fuß-freundlichen Form seit den 1960er Jahren als | |
Gesundheitsschuh bekannte Latsche wurde genau deswegen von der Jugend lange | |
belächelt. Die praktische Alltags-Sandale war nur was für | |
Arzthelfer*innen oder Mütter – Menschen, die halt viel laufen. | |
Cool war also anders. Doch dann kamen Celebrities ins Spiel. So wie bei | |
jedem Mode-Trend. 2012 kopierte das Luxuslabel Celine eine | |
Birkenstock-Sandale und plötzlich trugen Supermodels wie Kate Moss und | |
Heidi Klum Birkenstocks. | |
Und damit kam auch meine ganz persönliche Befreiung. Endlich musste ich | |
meine für die damalige Frauen-Mode viel zu breiten Füße nicht mehr in enge | |
Ballerinas zwängen. Endlich musste ich mich im Sommer mit meinen Plattfüßen | |
nicht mehr „unfraulich“ und „uncool“ fühlen. | |
Aber genau diese Gefühlslage zeigt natürlich schon alles. Mit Feminismus | |
hatte das Ganze noch nie was zu tun. Ich war und bin einfach nur abhängig | |
von willkürlich gesetzten Trends. Mein Komfort wird diktiert von einem | |
Unternehmen, dessen letzter Firmenpatriarch Karl Birkenstock in den 1990ern | |
Betriebsräte als „Aussätzige“ beschimpfte und Frauen noch bis 2012 weniger | |
Gehalt zahlte als ihren männlichen Kollegen. | |
Doch die Vermarktung als Öko-Lifestyle-Schuh scheint nicht nur bei mir | |
funktioniert zu haben. Birkenstock ist mittlerweile der größte deutsche | |
Schuhhersteller, der vorwiegend in Deutschland produziert. Geliefert wird | |
weltweit. Im Sortiment sind Gürtel, Taschen, Betten und exklusive Modelle | |
der Schuhe, die immer teurer werden. | |
Das ganz typische Modell mit den zwei Riemen wie der „Arizona“ kostet | |
mittlerweile um die 100 Euro. Für einen „Arizona Bold“ aus Naturleder kann | |
man auch schnell mal 220 Euro ausgeben. Die Grenze nach oben? Offen. | |
Birkenstock wird zum Luxusprodukt und in normalen Schuh-Läden soll das | |
Lifestyle-Produkt bald auch nicht mehr verkauft werden. Separate sogenannte | |
Flagship-Stores dürften den Schuh nochmal exklusiver und unzugänglicher | |
machen. | |
Und nun der nächste Schritt: der Gang an die Börse. Das geschätzt mehr als | |
sieben Milliarden Dollar schwere Unternehmen hat bereits seine Unterlagen | |
für einen Börsengang in den USA eingereicht. Und während sich jetzt manch | |
einer überlegen kann, ob er oder sie sich Aktien-Anteile kaufen möchte, | |
frage ich mich, ob es nicht Zeit für einen Abschied ist. Meine | |
feministische Selbsterzählung bröckelt und der Geldbeutel meckert. | |
Und zum Glück gibt es ja immer mehr günstige Nachahmer-Produkte, die den | |
Entzug einfach machen. Zum Beispiel von der Marke „Palado“ – ein kleines | |
Unternehmen, das auch in Deutschland produziert und für Nachhaltigkeit | |
wirbt. Ob das stimmt? Keine Ahnung. Aber das kann ich dann ja in ein paar | |
Jahren nochmal hinterfragen. | |
13 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Anna Hollandt | |
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