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# taz.de -- Influencerin über den Literaturmarkt: „Nein, ich lese Rezensione…
> Sie kauft mehr Bücher, als sie lesen kann – von Berufswegen. Marie
> Völkening ist Literaturagentin in Hamburg und bloggt auf Instagram über
> Bücher.
Bild: „Ich lese Rezensionen“, sagt Marie Völkening, „da bin ich ganz kla…
wochentaz: Frau Völkening, als Literaturagentin kennen Sie sich aus. Was
braucht ein Roman, um sich gut zu verkaufen?
Marie Völkening: Es ist hilfreich, wenn das Buch einen Nerv trifft. Mit
einem Thema, das gerade gesellschaftlich relevant ist, diskutiert wird oder
einen Trend bedient. Manchmal ist es auch einfach nur Glück. Es gibt so
viele gute Bücher, die nur eine kleine LeserInnenschaft erreichen. Warum
werden dann ganz andere Kassenschlager? Entscheidend ist auch, wie wichtig
ein Buch für den Verlag ist. Die Marketingbudgets sind sehr
unterschiedlich; AutorInnen mit großen Namen bekommen oft unglaublich viel.
Da würde ich mir eine gleichmäßigere Verteilung wünschen. Dazu kommt noch
der Einfluss von Social Media. Es gibt große Erfolge von Büchern, die mit
Tiktok beworben werden, das wirkt manchmal willkürlich.
Über die Social-Media-Plattform Tiktok sprechen wir noch. Aber wie merkt
man, ob ein Buch etwas taugt?
Ich habe erst ein paar Jahre Erfahrung als Agentin, aber ich bin doch
überrascht, wie schnell man es merkt. Wer viel und gerne liest, hat schnell
ein Bauchgefühl. Andere Entscheidungen sind dann: Das ist eine schöne
Geschichte, aber wird das gerade gesucht? Gibt es dafür einen Markt? Gut
ist auch, wenn der Text durch irgendetwas aus der Masse heraussticht.
Was ist Ihr Job als Literaturagentin?
Wir vertreten die Interessen von AutorInnen. Wir versuchen, für sie den
passenden Verlag zu finden. Dabei fungieren wir wie ein Filter für die
Verlage, indem wir die Flut an Manuskripten sichten und eine Vorauswahl
treffen. Wir machen dann meistens schon ein erstes Lektorat, es hilft, wenn
schon ein bisschen an den Texten gearbeitet wurde. Wenn ein Verlag gefunden
ist, verhandeln wir die Verträge. Wir unterstützen und beraten, werden
manchmal auch einbezogen in Fragen der Covergestaltung. So begleiten wir
das Buch und die Autorin bis zur Veröffentlichung und darüber hinaus.
Die Covergestaltung ist in letzter Zeit wichtiger geworden. Kaufen Fans
bestimmter Reihen vielleicht Bücher nur, um sie sich ins Regal zu stellen?
Es gibt wirklich viele Sonder- und Schmuckausgaben. Das hat sicher mit
Sammeln zu tun. Ich würde mich da gar nicht ausschließen, auch ich kaufe
wohl mehr Bücher, als ich wirklich lesen kann.
Sie vertreten viele Romane, die eine jüngere Zielgruppen haben. Wenn ich
hier in Ihrem Büro ins Regal schaue, fällt auf: fast alle Publikationen
haben einen Farbschnitt, das heißt, die äußeren Kanten der Buchseiten sind
eingefärbt. Ist das nicht bloß ein Gimmick?
Dieser Aufwand wird heutzutage fast erwartet. Früher war das bloß ein
schönes Extra. Heute ist es im „New Adult“-Bereich fast die Regel.
Das Genre [1][„New Adult“] steht für Literatur für Heranwachsende. Auch
„Romantasy“, also die Verquickung von „Romance“ und „Fantasy“, ist
kommerziell sehr erfolgreich. Haben [2][Sie bei sich zu] Hause Rebecca
Yarros neben Kafka im Bücherregal stehen?
Noch nicht, aber ich habe den Platz schon freigehalten.
Sie empörten sich kürzlich, die „Literaturbubble“ solle „von ihrem hohen
Ross heruntersteigen“ und den Wert von Unterhaltungsliteratur, wie sie die
Millionen-Sellerin Rebecca Yarros schreibt, erkennen. Es sei völlig okay,
sich beim Lesen einfach bloß unterhalten zu lassen.
Das ist ein Phänomen, das mir innerhalb der Branche, aber auch privat
auffällt: Auf manche Genres wird herabgesehen. Den Leuten ist es
unangenehm, wenn sie nicht nur Bücher lesen, die Literaturpreise gewinnen.
Als ob man sich entscheiden müsste! Ich lese immer das, wonach mir ist, und
bin da überhaupt nicht festgelegt. Man darf auch mal Spaß bei der Lektüre
einer schönen Liebesgeschichte haben.
Sie bekamen viele Likes dafür, als Sie posteten, dass niemand auf Social
Media über leichte Literatur schreibe, ohne zu betonen, dass er so etwas
normalerweise natürlich nicht lese.
Mich irritiert diese Verteidigungshaltung, genau wie die Überraschung
einiger LeserInnen darüber, dass sie Fantasy mögen. Wenn etwas so gut
ankommt und sich so gut verkauft, dann muss es doch etwas haben! Ich lese
ja nicht nur, um mich weiterzubilden. Ich bin vielleicht gerade müde oder
möchte der Realität entfliehen und mich in eine andere Welt stürzen. Ich
kann mich in das Buch fallen lassen.
Haben die Leute in schweren Zeiten ein noch stärkeres Bedürfnis nach
Leichtigkeit?
Ich arbeite auch in einer Buchhandlung, und da höre ich von vielen, die
nach einer Empfehlung fragen, dass sie „mal wieder was Schönes“ lesen
wollen. „Bitte nicht zu schwer!“ Genau da steigen die Liebesgeschichten
ein. Wobei auch in diesen Romanen heftige Themen behandelt werden. Sonst
würde es schnell langweilig werden. Oft muss erst etwas aufgearbeitet
werden, bevor eine Liebe funktionieren kann.
Was sind das für Dinge, die da aufgearbeitet werden?
All das, was einem beim Erwachsenwerden so begleitet. Da ist viel
Identifikationspotenzial für die LeserInnen. Es geht um die Entwicklung
einer eigenen Identität, der Suche nach einem Platz in der Welt. Mental
Health, queere Figuren und solche mit Rassismuserfahrungen – auch der
Romance-Bereich wird zum Glück ständig diverser.
Wird über queere Figuren geschrieben, weil es im Trend ist?
Das ist kein Trend, das sind Lebensrealitäten, die es lange nicht zu lesen
gab. Als Trend würde ich andere Dinge bezeichnen, bei denen ich dann
einfach raus bin: „Dark Romance“ etwa. Da geht es um toxische Beziehungen,
bei denen meist ein Mann die Protagonistin schlecht behandelt und eindeutig
Grenzen überschreitet. Oft ist das Ende der Geschichte aber: sie kommen
zusammen und sind glücklich miteinander. Das möchten wir ungern an junge
LeserInnen weitergeben.
Genres wie Dark Romance und Romantasy sind oft bei „Booktok“ erfolgreich.
Der Begriff steht für Gruppen in der App Tiktok, die kurze Videos über
Bücher produzieren. Können Sie mir deren Erfolg erklären?
Ich mache keinen Booktok, ich bin nur auf Instagram aktiv. Aber klar: Das
ist das neue große Ding. Man sieht es überall. In den Buchhandlungen gibt
es Booktok-Tische, und es gibt sogar Booktok-Bestsellerlisten. Ähnliches
gab es schon früher auf Youtube: Leute, die gerne über Bücher gesprochen
und gebloggt haben. Und jetzt ist eben Tiktok als zusätzliche Plattform
noch dazugekommen, die sehr gut funktioniert.
Kaufen Sie sich ein Buch aufgrund eines 15-sekündigen Empfehlungsvideos in
sogenannten Bookstagram-Konten auf Instagram?
Nein, ich lese Rezensionen. Da bin ich ganz klassisch unterwegs. Mir reicht
es nicht, wenn ein Buch in die Kamera gehalten wird. So kann vielleicht
meine Neugier geweckt werden, aber es reicht noch nicht, um mich davon zu
überzeugen, dass ich das jetzt lesen muss. Da brauche ich dann schon eine
persönliche Meinung oder eine Empfehlung.
Social Media hat ganz neue Gruppen von LeserInnen aufgetan, gerade in der
New-Adult-Sparte. Menschen, die vorher gar nicht gelesen haben, lesen auf
einmal Dutzende von Büchern im Jahr – zumindest behaupten sie es online.
Wie sehen Sie das?
Plattformen wie Booktok oder Bookstagram vereinfachen und befeuern vieles.
Es wird immer direkt die nächste Empfehlung in den Feed gespült – das
erleichtert die Auswahl. Die, die viel Social Media konsumieren, sind nicht
unbedingt diejenigen, die sich in der Buchhandlung beraten lassen. Und dann
ist da noch die Nahbarkeit: Bei den Buchmessen beobachte ich, dass junge
New-Adult-AutorInnen heute ganze Messehallen füllen. Das sind AutorInnen,
die oft aus ihrer eigenen Zielgruppe stammen. Die haben ein Buch
geschrieben und sind mit Social Media und Veranstaltungen sehr nah bei
ihren Fans. Da werden Bücher signiert, man kann ein Foto machen. Das war
früher oft nicht möglich. Jetzt treffe ich ganz unkompliziert die Person
hinter meinem Lieblingsbuch.
Sie selbst sind als Influencerin nicht ganz so einflussreich, betreiben
aber immerhin einen reinen Buch-Account mit 2.000 FollowerInnen auf
Instagram. Warum machen Sie das, mit sorgfältig arrangierten Fotos und
längeren Texten?
Ich mag es, so mein eigenes Lesen zu dokumentieren und zu wissen, wann ich
was gelesen habe. Ich mache keine allgemeingültigen Aussagen zu dem Buch,
es geht nur um meine persönlichen Eindrücke. Ich freue mich, wenn Leute mir
schreiben, dass sie ein Buch auf meine Empfehlung hin gekauft haben. Meine
Mutter hat sich eigens Instagram installiert, nur um meinem Account zu
folgen. Immer wenn wir telefonieren, tauschen wir uns darüber aus.
Sie benutzen auch selbst Hashtags bei Instagram. Was wollen Sie damit
erreichen?
Bei Hashtags geht es um Sichtbarkeit der Beiträge und um Vernetzung. Ein
Hashtag, den man unter meinen Posts häufig findet, lautet #frauenlesen. Der
wurde ins Leben gerufen, um LeserInnen dazu zu animieren, ihre Bücherregale
hinsichtlich der Verteilung von männlichen und weiblichen AutorInnen zu
begutachten – und Literatur von Frauen bewusst zu pushen. Inzwischen lese
ich fast ausschließlich Bücher von Frauen.
Sie ignorieren die männliche Gegenwartsliteratur?
Nein, ich lese das schon. Ich sage auch nicht, dass Frauen besser
schreiben, ich frage mich nur, wem ich zuhören möchte. Ich suche mir diese
Geschichten aus, ganz ohne aktiv auf das Geschlecht zu achten. Weil sie
mich besonders interessieren oder selbst betreffen. Aber auch, weil ich in
meinem bisherigen Leben gefühlt schon genug Männern Aufmerksamkeit
geschenkt habe. In meiner Ausbildung, aber auch privat. In der Buchhandlung
hab ich die Erfahrung gemacht, dass es schwierig war, Männern Bücher von
Frauen zu empfehlen. Umgekehrt war nie ein Problem! Im allgemeinen
Literaturkanon und in aktuellen Verlagsprogrammen sind die Frauen schnell
gezählt. Ihr Schreiben wird gern als Frauenliteratur abgetan, dem möchte
ich mit meinem Lesen und Bloggen entgegenwirken.
Sie haben Germanistik und Romanistik studiert. Woher kommt Ihr Interesse an
Sprachen?
Die Leidenschaft für Fremdsprachen hat eigentlich mein Erasmus-Aufenthalt
erst so richtig entfacht. Ich habe in Neapel studiert, auf den ersten Blick
das absolute Italienklischee: Pizza, Pasta, Lebensfreude. Aber eben auch:
viel Dreck, viel Lärm, Mafia und hohe Arbeitslosigkeit. Von der schicken
Einkaufsstraße gehen die Gassen eines eher ärmeren Viertels ab, und man
steht praktisch direkt bei den Leuten in den Wohnzimmern. Es ist damals
kaum ein Tag vergangen, ohne dass eine Prozession unter meinem Balkon
vorbeizog. Eine einzigartige Stadt.
Während Ihres Studiums der Germanistik und Romanistik haben Sie als
Buchhändlerin gearbeitet. Warum machen Sie diesen Job noch immer,
zusätzlich zu der Arbeit in der Agentur?
Ich arbeite nur noch an manchen Samstagen in der Buchhandlung. Ich finde es
nach wie vor schön, auch außerhalb von Instagram Bücher zu empfehlen und
meine Begeisterung zu teilen. Es ist zudem eine gute Ergänzung zum
Agentinnen-Beruf. Man guckt dann von zwei Seiten auf die Branche.
Haben Sie nicht das Gefühl, am Wochenende vier Bücher lesen zu müssen, um
am Montag mitreden zu können?
Doch, schon. Als Agentinnen müssen wir uns in verschiedenen Genres
auskennen. Ich muss wissen, welche Bücher gerade funktionieren. Da
vermischt sich das berufliche und private Lesen schon mal, das geht gar
nicht anders. Die Bestseller muss ich eigentlich gelesen haben. Aber alles
lesen und überall mitreden, das ist natürlich gar nicht zu schaffen.
Haben Sie einen Lieblingsleseplatz?
Ich hätte gerne ein Bücherzimmer mit Regal, einer Leiter und Lesesessel.
Vielleicht irgendwann mal in der Zukunft. Aber das ist ja auch das Schöne
am Lesen: Man kann es überall machen. Man ist in der Geschichte und nimmt
das Drumherum nicht mehr so wahr.
Für den sich zu Hause ansammelnden Stapel ungelesener Bücher gibt es im
Japanischen ein eigenes Wort. Wie groß ist Ihr Tsundoku?
Ich würde schätzen: so um die 50 Bücher. Ich habe verschiedene Bücherstapel
in der Wohnung verteilt. Ich gucke am Anfang des Monats, auf welche Bücher
ich eventuell in den nächsten Wochen Lust haben könnte, und dann lege mir
die schon einmal zur Seite. Aber ich halte mich nur selten daran.
1 May 2024
## LINKS
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/New_Adult
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Rebecca_Yarros
## AUTOREN
Jan Paersch
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